Verfallener Urlaub trotz unterbliebener Belehrung?

18.10.2023 Kategorie:  Urteile und Recht

Foto: Annett Vauteck – iStock

Sind Beschäftigte langfristig erkrankt, muss ihr Arbeitgeber die durchgängige Arbeitsunfähigkeit beweisen. Das hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg entschieden. Für betroffene Arbeitnehmer können aber unter bestimmten Umständen auch Darlegungslasten bestehen.

Wenn sich ein Arbeitgeber darauf beruft, dass Urlaubsansprüche eines Arbeitnehmers trotz Versäumung der arbeitgeberseitigen Mitwirkungspflicht bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs erloschen sind, weil der Arbeitnehmer während des gesamten Urlaubsjahres arbeitsunfähig erkrankt oder erwerbsgemindert war, trägt er dafür grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast.

Im konkreten Fall war ein Arbeitnehmer seit 1998 bei seinem Arbeitgeber beschäftigt. Seit Oktober 2006 war er dauerhaft arbeitsunfähig und erhielt mehrfach eine befristete Erwerbsminderungsrente bewilligt. Im Juni 2019 teilte die Deutsche Rentenversicherung dem Arbeitnehmer mit, dass die ihm gewährte Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Ende September 2026 als Dauerrente weitergewährt werde. Der Arbeitnehmer übersandte seinem Arbeitgeber den Rentenbescheid und wies auf die dadurch eingetretene Beendigung des Arbeitsverhältnisses hin. Zudem verlangte er die Abgeltung der ihm noch zustehenden Urlaubstage seit dem Jahr 2006. Da der Arbeitgeber nur zur Zahlung von Urlaubsabgeltung für die Jahre 2018 und 2019 bereit war, klagte der Arbeitnehmer vor dem Arbeitsgericht. Er vertrat die Auffassung, dass infolge der unterbliebenen Belehrung über das Bestehen und den drohenden Verfall von Urlaubsansprüchen durch den Arbeitgeber ein Verfall des Urlaubs nicht eingetreten sei. Vielmehr seien die Ansprüche seit 2006 jeweils in das Folgejahr übertragen worden und hätten sich mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Zahlungsansprüche verwandelt. Das Arbeitsgericht wies die Klage mit der Begründung ab, die Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers bis 2017 seien verfallen, weil die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers bei der Verwirklichung des Urlaubs gegenüber dem langzeiterkrankten Arbeitnehmer nicht bestanden hätten.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts (Urteil vom 12. Mai 2023, Aktenzeichen: 12 Sa 1250/22). Das LAG betonte unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet sei, den Arbeitnehmer über das Bestehen und den drohenden Verfall von Urlaubsansprüchen zu informieren – andernfalls blieben die Urlaubsansprüche bestehen. Dies gelte allerdings nicht, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig beziehungsweise voll erwerbsgemindert war. In diesem Fall verfalle der Urlaubsanspruch weiterhin nach Ablauf der 15-Monatsfrist – unabhängig davon, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist. Denn hier seien nicht Handlungen oder Unterlassungen des Arbeitgebers, sondern allein die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers für den Verfall des Urlaubs kausal.

Auch eine Abgeltung von Urlaubsansprüchen aus dem Jahr 2006 – also vor einer dauerhaften Erwerbsminderung – konnte der Arbeitnehmer laut LAG nicht verlangen. Grundsätzlich trage der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Arbeitnehmer während des gesamten Urlaubsjahres arbeitsunfähig erkrankt oder erwerbsgemindert war und deshalb der Urlaubsanspruch trotz Versäumung der arbeitgeberseitigen Mitwirkungspflicht erloschen ist. Jedoch besteht laut LAG für den Arbeitnehmer eine Darlegungslast, wenn der Arbeitgeber außerhalb des fraglichen Geschehensablaufs steht und nur der Arbeitnehmer aufgrund seiner Sachnähe die wesentlichen Tatsachen kennt. Im vorliegenden Fall war strittig, ob der Arbeitnehmer zwischen der Erkrankung seit Jahresbeginn 2006 bis zum 29. Juli 2006 und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Ende September 2006 arbeitsunfähig erkrankt war oder nicht. Im Hinblick auf den lang währenden Krankengeldbezug und die anschließende Rentenbewilligung sowie die zeitliche Distanz zum Geschehen hätte der Arbeitnehmer aus Sicht des LAG darlegen müssen, aufgrund welcher besonderen Umstände in dem Intervall von zwei Monaten ab Ende Juli 2006 Arbeitsfähigkeit eingetreten sein soll und weshalb die Rentenversicherung dennoch für die Zeit ab Oktober 2006 eine volle Erwerbsminderung angenommen hat.

VAA-Praxistipp

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat im Dezember 2022 entschieden, dass der gesetzliche Anspruch von Beschäftigten auf bezahlten Jahresurlaub zwar der gesetzlichen Verjährung unterliegt, aber erst wenn eine Belehrung zu den Verfallfristen durch den Arbeitgeber erfolgt ist. Das gilt laut BAG allerdings nicht, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig beziehungsweise voll erwerbsgemindert war. Das LAG Berlin-Brandenburg hat in seinem Urteil nun entschieden, dass der Arbeitgeber dafür grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast trägt, für den Arbeitnehmer unter bestimmten Umständen allerdings auch Darlegungslasten können bestehen.

Dieser Artikel ist erstmals im VAA Magazin Oktober 2023 veröffentlicht worden.

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