Privatüberwachung erkrankter Beschäftigter ohne Verdacht nicht rechtens

07.06.2023 Kategorie:  Urteile und Recht

Karikatur: Stefan Bayer – pixelio.de

Ohne hinreichende Verdachtsmomente ist ein Arbeitgeber nicht befugt, einen arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmer auf seinem Privatgrundstück beobachten und filmen zu lassen. Das hat das Landesarbeitsgericht Nürnberg entschieden.

Ein als Betontechnologe beschäftigter Arbeitnehmer war über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr krankgeschrieben. Da der Arbeitgeber Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers hatte, ließ er ihn bei Tätigkeiten auf seinem Hausgrundstück von einem Privatdetektiv beobachten und durch ein Loch in der Hecke mit einer Kamera beim Pflastern einer Terrasse und beim Bau einer Gartenmauer aufzeichnen. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit sofortiger Wirkung. Als Begründung trug er vor, der Arbeitnehmer habe über einen längeren Zeitraum hinweg schwere körperliche Arbeiten verrichtet und somit die Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht, sich zumindest aber genesungswidrig verhalten.

Der Arbeitnehmer wehrte sich gegen die Kündigung vor dem Arbeitsgericht. Er sei bei den Arbeiten in seinem Garten seinem Schwiegersohn und seinem Nachbarn nur mit leichten Tätigkeiten zur Hand gegangen und habe dabei ein- oder zweimal eine Motorschubkarre beladen sowie etwa 20 Minuten lang einen Zweitaktstampfer bedient. Auf diese Weise habe er im privaten Umfeld ohne Druck den Versuch unternehmen wollen, die Belastungsfähigkeit seiner verletzten Schulter zu testen und sich somit gerade nicht genesungswidrig verhalten. 

Das Arbeitsgericht erklärte die Kündigung für unwirksam, weil aus seiner Sicht vor Ausspruch der Kündigung eine Abmahnung erforderlich gewesen wäre. Das genesungswidrige Verhalten des Arbeitnehmers sei nicht so schwerwiegend, dass dem Arbeitgeber eine Vorsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten gewesen wäre. Der Arbeitgeber legte gegen das Urteil Berufung ein und bot dem Arbeitnehmer nach Aufforderung durch dessen Anwalt zugleich eine Weiterbeschäftigung an.

Im Rahmen der Weiterbeschäftigung wurde der Arbeitnehmer zeitweise in einem Baucontainer ohne Tageslicht mitten in einer Produktionshalle mit erheblicher Lärmbelästigung untergebracht und durfte nur noch im Werk und nicht mehr auf Baustellen arbeiten. Über längere Zeit wurde ihm keinerlei Tätigkeiten zugewiesen und einen Zugriff auf das Firmennetzwerk verweigerte ihm der Arbeitgeber. Der Arbeitnehmer beantragte deshalb für den Fall der Abweisung der Berufung des Arbeitgebers die Auflösung des Arbeitsverhältnisses sowie die Zahlung einer Abfindung in Höhe von mindestens 60.000 Euro, weil ihm eine Weiterbeschäftigung nicht mehr zumutbar sei. 

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg entschied in der Berufung ebenfalls im Sinne des Arbeitnehmers (Urteil vom 29. November 2022, Aktenzeichen: 1 Sa 250/22).

Dieser Artikel ist erstmals im VAA Newsletter in der Maiausgabe 2023 veröffentlicht worden.

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