BAG: Pflicht zur Kenntnisnahme von Weisungen nach Feierabend

19.01.2024 Kategorie:  Urteile und Recht

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Ist Beschäftigten auf Grundlage betrieblicher Regelungen bekannt, dass der Arbeitgeber die Arbeitsleistung für den folgenden Tag in Bezug auf Uhrzeit und Ort konkretisieren wird, sind sie laut BAG verpflichtet, eine dazu per SMS mitgeteilte Weisung auch in ihrer Freizeit zur Kenntnis zu nehmen.

Ein als Rettungssanitäter beschäftigter Arbeitnehmer war für seinen Arbeitgeber im Rahmen eines Schichtmodells tätig gewesen, das unter anderem die Verpflichtung vorsah, kurzfristige Konkretisierungen hinsichtlich Einsatzort und Uhrzeit zu befolgen. Ein solch unkonkreter Springerdienst war im Dienstplan des Arbeitnehmers für den 8. April 2021 vorgesehen. Am 7. April um 13:20 Uhr teilte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer für den Folgetag in der Tagschicht mit Arbeitsbeginn 06:00 Uhr ein und versuchte vergeblich, den Arbeitnehmer telefonisch hierüber zu informieren. Um 13:27 Uhr übersandte der Arbeitgeber dem Mitarbeiter eine SMS mit der Information über den zugeteilten Dienst. Laut betrieblicher Regelung wäre dies noch bis 20:00 Uhr möglich gewesen. Der Arbeitnehmer zeigte am nächsten Tag um 07:30 Uhr telefonisch seine Arbeitsbereitschaft an, der Arbeitgeber hatte jedoch zwischenzeitlich einen Mitarbeiter aus der Rufbereitschaft herangezogen und setzte den Arbeitnehmer an diesem Tag nicht mehr ein. Außerdem erteilte dem Arbeitnehmer eine Ermahnung, bewertete den Tag als unentschuldigtes Fehlen und zog elf Stunden vom Arbeitszeitkonto ab. 

In einem vergleichbaren Fall einige Monate später trat der Arbeitnehmer seinen Dienst rund zwei Stunden später an als am Vortag per SMS und E-Mail zugewiesen. Der Arbeitgeber zog die entsprechenden Stunden erneut vom Arbeitszeitkonto ab und sprach eine Abmahnung wegen unentschuldigten Fehlens aus. Der Arbeitnehmer klagte dagegen vor dem Arbeitsgericht mit der Begründung, er sei nicht verpflichtet, sich während seiner Freizeit über die Dienstzuteilung zu informieren. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, das Landesarbeitsgericht gab dem Arbeitnehmer jedoch Recht.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied, dass der Arbeitnehmer seiner Nebenpflicht aus dem Vertragsverhältnis, die Zuteilung des Dienstes zur Kenntnis zu nehmen, auch außerhalb seiner eigentlichen Dienstzeit nachkommen müsse. Das ergebe sich aus § 241 Absatz 2 BGB, wonach jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet ist (Urteil vom 23. August 2023, Aktenzeichen: 5 AZR 349/22). Dafür habe der Arbeitnehmer – anders als von ihm behauptet – nicht ununterbrochen für den Arbeitgeber erreichbar sein müssen. Es sei ihm überlassen gewesen, wann und wo er Kenntnis von der SMS nehmen wollte, mit der ihn der Arbeitgeber über die Konkretisierung seines Springerdienstes informiert hat. Der eigentliche Moment der Kenntnisnahme der SMS sei zeitlich derart geringfügig, dass auch dadurch nicht von einer erheblichen Beeinträchtigung der Nutzung der freien Zeit ausgegangen werden könne, so das BAG. Folglich sei der Arbeitnehmer verpflichtet gewesen, die geschuldete Arbeitsleistung entsprechend der vom Arbeitgeber hinsichtlich Zeit und Ort erfolgten Konkretisierung anzubieten. Da er das nicht getan hatte, durfte der Arbeitgeber das Arbeitszeitkonto entsprechend kürzen und eine Abmahnung aussprechen. 

VAA-Praxistipp

Mit seinem Urteil hat das BAG klargestellt, dass es für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kein absolutes Recht auf Unerreichbarkeit in der Freizeit gibt. Vielmehr kann eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht zur Kenntnisnahme von Weisungen in der Freizeit bestehen, wenn die betrieblichen Regelungen das so vorsehen.

Dieser Artikel ist erstmals im VAA Newsletter in der Januarausgabe 2024 veröffentlicht worden.

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