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Interview mit Dr. Marc Heider: Verlässlichkeit und Transparenz sind Trumpf

Für Fach- und Führungskräfte ist die Betriebliche Altersversorgung ein zentraler Bestandteil ihrer finanziellen Zukunftsplanung. Dennoch steht diese sogenannte zweite Säule der Altersvorsorge meist nicht im Fokus der Aufmerksamkeit. Als Vorsitzender der VAA-Kommission Betriebliche Altersversorgung kennt sich Dr. Marc Heider von der Werksgruppe BASF Ludwigshafen mit betriebsrentenspezifischen Fragen gut aus. Im Interview benennt er die praktischen, individuellen Herausforderungen ebenso wie die strukturellen Schwächen, aber auch Stärken des Systems. Im Gespräch erklärt Heider, warum Transparenz, Rechtssicherheit und eine sachgerechte Umsetzung entscheidend sind – und welche Entwicklungen er zur Absicherung der Betriebsrenten in der Chemie- und Pharmaindustrie für dringend notwendig hält.

VAA Magazin: Die Betriebliche Altersversorgung – kurz bAV – ist ein äußerst komplexes Feld, das der VAA mit seiner Kommission seit vielen Jahrzehnten äußerst kompetent begleitet. Was sind denn die größten Herausforderungen für Fach- und Führungskräfte in unserer Branche heute? 

Heider: Die größte Herausforderung ist aus meiner Sicht die fehlende Kenntnis über die zu erwartenden Leistungen. Viele unserer Mitglieder wissen gar nicht so genau, was sie von ihrer Betrieblichen Altersversorgung eigentlich zu erwarten haben – sowohl bezüglich der Zusagen als auch der tatsächlichen Höhe der ausgezahlten Leistungen. Das liegt zum einen an der Vielzahl an Modellen und Rechtsgrundlagen, zum anderen aber auch daran, dass Informationen nicht immer leicht zugänglich oder verständlich aufbereitet sind.

Gibt es da Unterschiede je nach Unternehmen?

Definitiv. Wir sehen in unseren Analysen, die wir in der Kommission erstellen, dass selbst zwischen etablierten Großunternehmen der Chemie- und Pharmaindustrie zum Teil große Unterschiede in der Qualität der bAV bestehen. Das sollte man bei möglichen Jobwechseln immer mit einkalkulieren und sich beim VAA auch einmal informieren. Die Kommission hilft hier gern auf Anfrage weiter.

Selbst innerhalb eines Unternehmens kann es große Unterschiede geben – etwa zwischen älteren und neueren Versorgungssystemen, zwischen tariflichen und außertariflichen Angestellten oder zwischen verschiedenen Gesellschaften eines Konzerns. In vielen Chemie- und Pharmaunternehmen gibt es historisch gewachsene Versorgungswerke, die mal mehr, mal weniger gepflegt wurden. Gerade bei Umstrukturierungen oder Fusionen kommt es oft zu Brüchen in der Versorgungsstruktur.

Was bedeutet das konkret für die Beschäftigten?

Sie können sich immer weniger darauf verlassen, dass alles so bleibt, wie es einmal war. Viele blicken auf ein jahrzehntelanges Berufsleben zurück und erleben dann, dass ihre Versorgung nicht wie erwartet ausfällt. 

Welche Rolle spielt die Betriebszugehörigkeit bei der Betrieblichen Altersversorgung?

Wer früh anfängt, profitiert am meisten. Das zeigt im Prinzip jede Musterrechnung, auch branchenübergreifend. Ein Unterschied von fünf Jahren beim Einstieg kann in der Auszahlungsphase mehrere zehntausend Euro ausmachen, je nach individueller Gehaltsentwicklung. Und auch bei der Unverfallbarkeit der Anwartschaften gibt es mittlerweile kürzere Fristen: Nach dem Betriebsrentenstärkungsgesetz gelten Anwartschaften schon nach drei Jahren Betriebszugehörigkeit als unverfallbar. Das war früher anders und hat die Attraktivität der Betrieblichen Altersversorgung deutlich erhöht. 

Dennoch schöpft etwa ein Drittel der potenziellen Anspruchsberechtigten in unserer Branche die Möglichkeiten schlicht nicht aus. Dabei handelt es sich vor allem um das Instrument des sogenannten Matchings, das ihnen im wahrsten Sinne des Wortes Geld sichert, indem der Arbeitgeber den Betrag, den der Arbeitnehmer über das Mindestmaß hinaus per Entgeltumwandlung zurücklegt, noch einmal von sich aus „matcht“. Es gibt also noch Luft nach oben, was die Beteiligung angeht.

Gibt es Unterschiede je nach Altersgruppe?

Absolut. In Deutschland nutzen nur knapp die Hälfte der Menschen unter 35 Jahren die Betriebliche Altersversorgung. Klar, da steht man ja noch am Anfang des Berufslebens. Die Beteiligungsquote steigt nach Anzahl der Berufsjahre an. Je näher die Menschen dem Ruhestand kommen, desto mehr setzen sie sich mit dem Thema auseinander. Das ist aber schon zu spät: Wir sollten dahin kommen, dass die Auseinandersetzung mit diesem Thema früher beginnt – nicht erst zehn Jahre vor Renteneintritt.

Was könnte Unternehmen motivieren, die Betriebsrente stärker zu fördern?

Betriebliche Altersversorgungssysteme sind ein echter Mehrwert im Wettbewerb um Talente – gerade in Zeiten des Fachkräftemangels. Die Betriebsrente kann ein starkes Argument sein, sich für einen bestimmten Arbeitgeber zu entscheiden oder ihm treu zu bleiben. Dafür sollten aber Sichtbarkeit, Transparenz und Ansprache stimmen. 

Welche Rolle spielt der VAA als Unterstützer seiner Mitglieder in solchen Fällen?

Wir beraten unsere Mitglieder in allen Problemfällen rund um die Betriebsrente. Unsere Aufgabe ist es, Klarheit und Durchblick zu verschaffen, die Versorgungsansprüche zu prüfen und, wenn nötig, auch mit den Unternehmen in einen Dialog zu treten. In Konfliktfällen kann es durchaus bis vor Gericht gehen.

In vielen Fällen konnten wir durch unsere Unterstützung erreichen, dass Ungerechtigkeiten beseitigt und Versorgungszusagen richtiggestellt wurden. Wichtig ist aber auch, dass wir als Verband auf struktureller Ebene Verbesserungen einfordern – etwa durch klare gesetzliche Regelungen oder durch faire Ausgestaltung neuer Modelle.

Sie sprechen neue Modelle an: Wie schätzen Sie die politischen Reformen der letzten Jahre ein, insbesondere das Betriebsrentenstärkungsgesetz?

Wissen Sie, die Idee an sich war ja gut: mehr Menschen in die Betriebliche Altersversorgung zu bringen, besonders in kleinen und mittleren Unternehmen – die großen Konzerne verfügen ja bereits seit Jahrzehnten über ihre eigenen, gewachsenen Systeme. In der Praxis hat sich allerdings gezeigt, dass die neuen Modelle wie die sogenannte Zielrente oder der Wegfall der Garantien nicht immer zur Akzeptanz beitragen. Gerade unsere Mitglieder, die als Fach- und Führungskräfte unserer Branche ja viel um die Ohren haben und verantwortungsvolle Aufgaben erledigen, legen Wert auf Verlässlichkeit. 

Hinzu kommt: Auch steuerlich und in Bezug auf die Beiträge zur Sozialversicherung sind viele Betriebsrentensysteme nicht mehr so richtig attraktiv. Hier sollte aus Sicht der VAA-Kommission Betriebliche Altersversorgung dringend nachgesteuert werden.

Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf?

Zum einen in der Kommunikation: Unternehmen sollten offen und verständlich über ihre Versorgungswerke informieren. Transparenz ist hier Trumpf! Auch Themen wie Anpassungspflichten in der Rentenphase oder die Hinterbliebenenversorgung sollten wieder stärker in den Blick genommen werden. Und schließlich: Wir brauchen tragfähige Modelle für die Zukunft, die sowohl für Arbeitgeber als auch für Beschäftigte verlässlich sind.

Was raten Sie VAA-Mitgliedern, die sich über ihre eigene Versorgung informieren wollen?

Erstens: Nicht warten, sondern bereits ab Berufsbeginn die Altersversorgung und angebotene Optionen im Blick behalten! Zweitens: Die eigenen Unterlagen – Versorgungsordnung, Zusage, Renteninformationen – genau prüfen. Und drittens: Bei Unsicherheit unbedingt unseren Juristischen Service kontaktieren. Die Juristinnen und Juristen in der Geschäftsstelle Köln und im Büro Berlin schauen sich das individuell an und erklären, was zugesagt wurde, was zu erwarten ist und was vielleicht auch problematisch sein könnte. Und in vielen Unternehmen haben wir zudem große Werksgruppen mit Leuten, die sich mit dem Thema ebenfalls gut auskennen und schon einmal einen groben Überblick geben können.

Wie schätzen Sie die Zukunft der Betrieblichen Altersversorgung ein?

Ich denke, sie bleibt ein unverzichtbarer Bestandteil des Gesamtpakets für Fach- und Führungskräfte. Aber sie sollte dringend noch verständlicher, transparenter und attraktiver ausgestaltet werden. Gerade in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit, die ja mittelfristig Bestand haben werden, ist die Nachfrage nach einer soliden Betrieblichen Altersversorgung groß. Das merken wir an der wachsenden Zahl an Anfragen. Der VAA wird hier auch in Zukunft ganz genau hinschauen und sich dafür einsetzen, dass die Betriebsrente nicht nur ein Versprechen bleibt, sondern verlässlich eingelöst wird.

Dr. Marc Heider, Vorsitzender der VAA-Kommission Betriebliche Altersversorgung und Director Strategic Asset Development bei der BASF.
Foto: BASF

Dr. Marc Heider ist Vorsitzender der VAA-Kommission Betriebliche Altersversorgung und Director Strategic Asset Development bei der BASF.

Performance Management in Chemie und Pharma

Prof. Christian Grund ist Inhaber des Lehrstuhls für Personal an der RWTH Aachen. Zuvor hatte er Professuren an den Universitäten Würzburg und Duisburg-Essen inne. Die VAA-Einkommensumfrage betreut er seit 2008. Foto: Heike Lachmann – RWTH Aachen

Zwischen Bonus, Feedback und Kultur: Wohin steuert die Leistungsbeurteilung?

Transparenz, Fairness und Wirksamkeit – an diesen Maßstäben sollten sich gute Performance-Management-Systeme messen lassen. Doch wie steht es darum in den Unternehmen der Chemie- und Pharmabranche? Welche Erfahrungen machen Fach- und Führungskräfte? Im Interview mit dem VAA Magazin diskutieren Prof. Christian Grund von der RWTH Aachen, die Vorsitzende der VAA-Kommission Führung Katja Rejl und der Vorsitzende der VAA-Kommission Einkommen Dr. Hans-Dieter Gerriets über gute Leistungsbeurteilungen und den Nachholbedarf in der Industrie.

VAA Magazin: Herr Grund, was unterscheidet heutiges Performance Management von den Systemen vor zwanzig Jahren?

Grund: Die Landschaft ist heterogen. Unternehmen stehen an unterschiedlichen Punkten, abhängig von Kultur und Reifegrad. Man sieht Zyklen: Ein Problem wird gelöst, es entstehen Folgeprobleme, dann wird gegengesteuert. Ein Beispiel sind frühere Forced-Distribution-Ansätze: Unterschiede sollten sichtbarer werden, die Nebenwirkungen führten aber vielerorts zum Rückbau. Gleichzeitig ist Performance Management heute strategischer ins Unternehmen eingebettet als früher, aber mit Licht und Schatten. Systeme werden heute stärker mit Unternehmensstrategie verknüpft, was Vorteile hat, aber auch zu Überfrachtung führen kann.

Herr Gerriets, Sie sind erst vor Kurzem nach vielen Jahren bei Lanxess in den Ruhestand getreten. Sehr viele Jahre haben Sie mit der VAA-Kommission Einkommen das Thema begleitet. Wie erleben Sie diese Entwicklung?

Gerriets: Ganz früher, vor der Ausgliederung von Lanxess, gab es bei meinem damaligen Arbeitgeber bis ins kleinste Detail formulierte Zielvereinbarungen. Nicht selten auf Basis von bis zu einem Dutzend Einzelzielen, die wiederum mit unterschiedlichen Prozentsätzen gewichtet wurden. Zum Termin des Zielreviews bat mich der Chef um einen Vorschlag, bei dem ich einmal rechnerisch auf 104,8 Prozent Zielerreichung kam. Der Chef unterbrach sofort und sagte: „Alles, nur nicht über 100.“ Da war das System für mich erledigt. Solche Rechenexzesse haben das Vertrauen in die Systeme stark beschädigt. Später dann habe ich auch Gegenentwürfe erlebt: Weg von überdrehten Algorithmen, hin zu mehr Einfachheit und Nachvollziehbarkeit, was in der Belegschaft hervorragend ankam. Andererseits hängt heute viel mehr Geld an der Bewertung als vor 30 Jahren: Boni sind nicht mehr nur ein Zubrot. Das verändert das Spiel.

Rejl: Oft wird Performance Management als eine Art Krücke genutzt, um Defizite in der Führungskultur zu kompensieren – als Zwang, endlich Dialoge zu führen. Früher schon gab es sehr ausgeklügelte Zielsysteme bis in operative Bereiche, teils fraglich in der Sinnhaftigkeit. In der Beratung wiederum dominieren KPIs und Sales, Zielgespräche sind oft Kür statt Pflicht. Jetzt ist das Bild eher durchmischt. Und immer wieder zeigt sich der übergroße Fokus auf Bonus statt auf Führung und Entwicklung. Genau da entsteht Frust. Denn Mitarbeitende fragen nach Anerkennung und Entwicklung, bekommen aber nur eine Zahl.

Grund: Performance hat mehrere Dimensionen: Fähigkeit, Anstrengung, Ergebnis. In der Beratung sind sogenannte Billable Hours eine dominante KPI; in vielen anderen Jobs ist die Messbarkeit nicht so klar. Darum braucht es eine belastbare Feedback- und Gesprächskultur – formell und informell. Die Evidenz zeigt: Schon allein regelmäßige Mitarbeitergespräche steigern die Zufriedenheit, das Engagement und das Commitment. Schon ein zusätzliches Gespräch pro Jahr kann messbare Effekte erzeugen.

Spannend ist auch die Forschung, wonach kollektiv verknüpfte Bonussysteme häufig besser funktionieren als rein individuelle. Und es gibt Fehlschläge: Ein Feldexperiment zur Anwesenheitsprämie ließ Normen erodieren – die Abwesenheit stieg. Entscheidend ist die kulturelle Passung. Denn was in den USA funktioniert – etwa Auszeichnungen zum „Mitarbeiter des Monats“ –, stößt in Deutschland eher auf Ablehnung.

Ziele ändern sich, Krisen wie in den letzten Jahren zeigen das brutal auf. Werden Ziele bei Schocks angepasst?

Gerriets: So gut wie nie. Erst kam Corona, dann der Krieg – jedes Mal waren Jahresziele plötzlich Makulatur. Gab es dann unterjährige Anpassungen? In 36 Dienstjahren habe ich das kaum erlebt. Stattdessen hieß es oft: Augen zu und durch, auch wenn Ziele objektiv nicht mehr erreichbar waren und ganz andere Themen hätten Beachtung finden müssen.

Grund: Das befördert im Übrigen relative Systeme: Wenn alle gleichermaßen vom Schock betroffen sind, bleibt die Relation – man spart sich Anpassungen. Aber solche relativen Verfahren bringen wiederum eigene Nebenwirkungen mit. Genau diese Schleifen sehe ich immer wieder.

Was raten Sie der Branche? Gibt es eigentlich so eine Art Vorbildsystem, das oft funktioniert?

Grund: Pauschale Empfehlungen sind schwierig. Theoretisch ließe sich die VAA-Befindlichkeitsumfrage mit den Einkommensdaten hervorragend kombinieren: Das gäbe spannende Einblicke, wird aber aktuell nicht gemacht, weil die Zusammenführung der Datensätze problematisch ist. Anhand anekdotischer Evidenz werden in einigen Unternehmen kollektive Maße mit geringer Spreizung von Einzelunterschieden positiv wahrgenommen. In US-Firmen fühlten sich Top-Performer in solchen Settings teilweise unterwertschätzt. Es hängt wieder alles an der Einbettung und der Unternehmenskultur.

Rejl: Oh ja, denn dieses sogenannte Low-Performer-Management gelingt nur mit einem funktionierenden Prozess. Ohne den richtigen Prozess verschwinden Menschen im Rauschen – geholfen ist ihnen damit nicht. Und selbst wenn „Forced Distribution“ offiziell verschwinden mag, wird sie nicht selten informell doch weiter gewünscht sein – mit den bekannten Effekten. Gute Führung heißt eben auch, die Rollen zu schärfen, Aufgaben neu zuzuschneiden und notfalls einen Team- oder Vorgesetztenwechsel zu ermöglichen.

Gerriets: Am Ende steht und fällt viel mit der Führungskraft. Wer Mitarbeitende entwickeln will, muss häufig intern kämpfen, und zwar manchmal durch mehrere Ebenen und teilweise bis hoch in den Vorstand. Es kostet Energie, konsequent Feedback zu geben und für Gehaltserhöhungen seiner Mitarbeitenden in der eigenen Linie einzutreten. Das weiß ich aus meiner aktiven Zeit als Vorgesetzter und Sprecherausschuss nur zu gut. Manche kleben dann eben ihre monetären „Pflaster“. Das sind dann kleine Boni statt echter Korrekturen beim Gehalt. So verliert man Leute zur Konkurrenz um die Ecke.

Wenn wir Geld und Systeme betrachten, was sehen Sie aktuell aus Perspektive der Wissenschaft, Herr Grund?

Grund: In den Daten sah man zuletzt sinkende Boni. Erwartungshaltungen bleiben aber hoch, was ein großes Risiko für Enttäuschungen birgt. Einige Firmen experimentieren mit sogenannten Spot-Boni. Aber hier ist wichtig zu wissen: Je mehr Töpfe es gibt, also Bonus, Spot-Bonus und Fixgehalt, desto komplexer und intransparenter wird das ganze System.

Rejl: Ich kenne Spot-Boni auch aus meiner eigenen Erfahrung in einer Pilotphase. Die wurden mit einem Mitarbeitenden-Gremium aufgesetzt. Die Sorge war: Introvertierte Teammitglieder oder auf den ersten Blick nicht „sichtbare“ Beiträge fallen dann einfach durchs Raster. Gerade in der Projektarbeit werden oft leise, aber entscheidende Leistungen übersehen.

Gerriets: Ich kenne ja durch die Kommission die Vergütungsmodelle in vielen Unternehmen. Es gibt beispielsweise ein System mit circa 80 Prozent Unternehmensbonus und 20 Prozent Leistungszahlungstopf, über den die Führungskraft frei verfügen kann. Wenn letzterer krisenbedingt zusammengestrichen wird, fehlt dem Chef die Möglichkeit der Incentivierung. Und gerade aktuell in der tiefgreifenden Krise der Chemie sind die Corporate-Boni häufig auch nur noch gering oder schon bei null.

Gleichzeitig tauchen Spot-Boni auf. Ich nenne mal ein erfundenes, aber realitätsnahes Beispiel: Man hat rund 100 Personen, die jeweils 10.000 Euro für die Umsetzung eines IT-Projekts erhalten. Oder es gibt Sonderzahlungen nach Akquisitionen. Solche Dinge wirken in den Augen der Beschäftigten manchmal „gutsherrenartig“, da sie keinen klaren Regeln über die gesamte Belegschaft hinweg folgen. Und natürlich greifen Führungskräfte dann zu alternativen Töpfen, wenn Fixgehaltsanpassungen gedeckelt sind. Das Ergebnis: Wir haben eine immense Komplexität und wenig Nachvollziehbarkeit.

Können Digitalisierung und KI etwas dazu beitragen, diese Komplexität etwas zu entwirren oder verschärfen undurchsichtige Algorithmen nur die Probleme?

Grund: Im Performance Management habe ich dazu noch keine belastbaren Befunde. Und es gibt ganz klar Risiken, von der Diskriminierung aus Vergangenheitsdaten über Black-Box-Entscheidungen hin zu fehlender Erklärbarkeit und Akzeptanz bei den Beschäftigten. Ich sage es noch einmal: Transparenz ist hier entscheidend, sonst fehlt das Vertrauen. Hinzu kommt: Will ich denn in einem Unternehmen arbeiten, in dem eine KI alles besser kann und eigenständig entscheidet? Auch das gehört zur Attraktivitätsfrage.

Rejl: Gerade informelle Netzwerke stiften Wert, denn sie lassen sich nicht einfach digitalisieren. Unsere Branche implementiert Innovationen ohnehin eher konservativ. Man wird sehen, was in zwei, drei Jahren real ankommt.

Wollen Sie einen Blick fünf bis zehn Jahre voraus wagen?

Grund: Ich sehe eher Zyklen als eine klare Trendlinie. Natürlich wird Big Data mehr Messung ermöglichen, doch vieles bleibt menschliche Interaktion, etwa Mentoring und Kommunikation zwischen Beschäftigten, die wir nicht per Kamera erfassen können oder wollen. Wirtschaftliche Lagen verändern Rahmenbedingungen: Oft implementiert man in guten Zeiten Systeme, die in schlechten Zeiten nachjustiert werden müssen. Die Realität mit ihren wirtschafts- und geopolitischen Schocks zwingt zur permanenten Anpassung.

Gerriets: Dazu kommen Demografie und Arbeitnehmerpräferenzen. Viele jüngere Menschen priorisieren Zeit statt Geld und reduzieren lieber Stunden, als ihr Gehalt zu erhöhen. Das muss man akzeptieren und in Sachen Performance Management berücksichtigen.

Grund: Genau. Wir gewinnen hier künftig neue „Währungen“ der Leistungsmessung und der Gratifikation: Arbeitszeit, Weiterbildung, Entwicklung. Wer das versteht, macht Performance Management anschlussfähig an neue Generationen.

Rejl: Das ist eine gute Perspektive: weniger reine Bonuslogik, mehr Entwicklung, mehr Zeitkompetenz. So wird es anschlussfähig, sowohl für die Unternehmen als auch die Menschen.

Katja Rejl ist Vorsitzende der VAA-Kommission Führung und war lange als Führungskraft bei Merck und Deloitte tätig. Seit August 2025 ist Rejl Leiterin Supply Chain Planning und Logistics bei der DAW in Ober-Ramstadt.
Foto: privat

Katja Rejl ist Vorsitzende der VAA-Kommission Führung und war lange als Führungskraft bei Merck und Deloitte tätig. Seit August 2025 ist Rejl Leiterin Supply Chain Planning und Logistics bei der DAW in Ober-Ramstadt.

Dr. Hans-Dieter Gerriets ist Vorsitzender der VAA-Kommission Einkommen und war über viele Jahre Vorsitzender der VAA-Werksgruppe Lanxess und des Konzernsprecherausschusses von Lanxess.

Dr. Hans-Dieter Gerriets ist Vorsitzender der VAA-Kommission Einkommen.
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