Branche

Oops, an error occurred! Code: 20250930023741c396e7ec

Wie Bayer das Thema Führung neu denkt

Weniger Führungsebenen, größere Teams, neue Rollen: Mit der Einführung des neuartigen Organisationsmodells Dynamic Shared Ownership (DSO) ist die klassische Führungsstruktur im Konzern grundlegend verändert worden. Damit sollen Hierarchien abgebaut, Entscheidungen beschleunigt und die interne Zusammenarbeit gefördert werden. Im Interview mit dem VAA Magazin sprechen Bayer-Geschäftsführerin Karin Guendel Gonzalez, Geschäftsführerin der Bayer CropScience Deutschland GmbH, und die Vorsitzende der VAA-Kommission Führung Katja Rejl über größere Führungsspannen, den Umgang mit betroffenen Beschäftigten sowie die Bedeutung von Vertrauen und Coaching für Führungskräfte. Guendel Gonzalez erklärt dabei auch, wieso der durch DSO in Gang gesetzte Wandel nicht weniger, sondern andere Führung braucht.

VAA Magazin: Bei Bayer wird die Führungsstruktur ziemlich tiefgreifend reformiert. Das gilt auch für ihren Unternehmensteil Bayer CropScience. Was hat sich verändert?

Guendel Gonzalez: Die Verantwortung für unsere Mitarbeitenden und unser Geschäft bleibt bestehen, aber die Art, wie wir führen, verändert sich grundlegend. Wir haben unsere Führungsstrukturen verschlankt, neue Rollen eingeführt und setzen jetzt auf größere Führungsspannen. Damit geht ein verändertes Führungsverständnis einher: Der Führungsanspruch bleibt, aber wir leben ihn anders – mit einem stärkeren Fokus auf Coaching, Befähigung und Vertrauen.

Wir haben heute nur noch eine Führungsebene zwischen der Geschäftsleitung und den Mitarbeitenden – mit Führungsspannen zwischen 20 und 40 Personen. Zuvor hatten viele Teams zwischen drei und etwa 15 Mitarbeitern. Diese Verdichtung stellt hohe Anforderungen an unsere Führungskräfte, es zwingt uns anders zu führen. Auch deshalb haben wir das Modell über zwei Jahre hinweg Schritt für Schritt eingeführt, langsamer als andere Einheiten in unserem Konzern. Am 1. Juni 2024 sind wir mit DSO offiziell live gegangen.

Wie lief dieser Prozess ab? Gab es Pilotprojekte?

Guendel Gonzalez: Wir haben das gesamte Modell in einer europäischen Designphase mitentwickelt. Unsere Mitarbeitenden und ich selbst auch haben aktiv in Design-Build-Teams mitgearbeitet, damit dieses Konzept zu uns passt und nicht einfach von außen übernommen wird. Pilotländer sind uns vorausgegangen, wir selbst konnten zunächst Erfahrungen sammeln, bevor wir unser Modell vollständig umsetzen, und konnten so auch bereits Gelerntes in unser Konzept einfließen lassen. Wir sind bewusst in Etappen vorgegangen: Zuerst haben wir die Kundenteams neu aufgebaut, dann die restliche Organisation angepasst. Es war uns sehr wichtig, in der absoluten Nähe unserer Kunden mit den Anpassungen zu beginnen und die Organisation von dort aus aufzubauen.

Rejl: Was bedeutet das neue Führungsmodell eigentlich für die Mitarbeitenden? Wurden sie konkret einbezogen oder „an die Hand genommen“? Gab es Beschäftigte und Führungskräfte, die vom Wandel nicht betroffen waren?

Guendel Gonzalez: Alle waren betroffen und wir haben alle konsequent mitgenommen, zum Beispiel mit Aktivierungsworkshops und 90-Tage-Zyklen, in denen wir ausprobieren, lernen und anpassen konnten. Ein zentrales Element ist das klare Setzen von Entscheidungsräumen: Welche Dinge sind unverhandelbar, zum Beispiel aus Compliance-Gründen, und wo haben die Teams neue Entscheidungsfreiheit?

Rejl: Werden durch die neuen Strukturen die Entscheidungen tatsächlich schneller getroffen? Bei uns in der Kommission gibt es Stimmen, dass die Geschwindigkeit zunimmt, weil viel mehr Entscheidungsfreiheit beim größeren Team liege. Andere berichten wiederum, dass es Themen gebe, die am Ende doch eine Führungskraft entscheiden müsse. Dadurch komme es zu Entscheidungsstaus und es dauere länger. Was ist Ihre Erfahrung?

Guendel Gonzalez: Ich glaube nicht an einen Entscheidungsstau. Im Gegenteil: Wenn Verantwortung wirklich in die Teams verlagert wird, beschleunigt das viele Abläufe. Natürlich müssen wir anfangs Rahmenbedingungen klären: Was darf wer entscheiden? Welche Fehler sind akzeptabel? Aber insgesamt wird das System effizienter und schneller. Es tragen aber nun auch alle mehr Eigenverantwortung.

Wie begegnen Sie der Befürchtung, dass mit weniger Führungsebenen auch weniger Raum für Karrieren bleibt?

Guendel Gonzalez: Es stimmt: Die Zahl klassischer Führungsrollen mit Personalverantwortung nimmt ab. Aber das bedeutet nicht, dass es weniger Entwicklungsmöglichkeiten gibt. Wir haben in unserer Organisation bewusst neue Rollen geschaffen, etwa sogenannte Integratoren, die ohne Personalverantwortung Führungsaufgaben übernehmen, zum Beispiel in Projekten oder als fachliche Leitfiguren. Diese Rollen werden aktiv kommuniziert und als gleichwertige Führungsformen anerkannt. Karriere muss insgesamt neu gedacht werden. Es geht um eine Ansammlung und stetige Verbesserung von bestimmten Fähigkeiten und nicht um eine Ansammlung von Berichtslinien. 

Rejl: Wird das in der Organisation auch als Entwicklung wahrgenommen? Wir diskutieren kommissionsintern oft über die fehlenden Möglichkeiten, Talente zu entwickeln, vor allem in Führungsrollen hinein. Bietet Ihr Modell gute Alternativen?

Guendel Gonzalez: Ja. Wir haben in unseren internen Ankündigungen deutlich gemacht, welche Integratorenrollen es gibt und welche Personen diese übernommen haben. Das Ziel ist, Verantwortung sichtbar zu machen – unabhängig davon, ob jemand Mitarbeitende direkt führt oder indirekt über Expertise und Einfluss. Das ist ein wichtiger Schritt, um neue Karrierewege zu öffnen.

Rejl: Wie stellen Sie sicher, dass trotz großer Teams Nähe zur Führung erhalten bleibt?

Guendel Gonzalez: Indem wir den direkten Kontakt, das Coaching priorisieren. Unsere Führungskräfte im Vertrieb begleiten aktuell mit unseren Außendienstkollegen in ihrem Arbeitsalltag, um sie und ihre tägliche Realität wirklich gut kennenzulernen. Das ist essenziell. Und gleichzeitig lernen auch die Mitarbeitenden dabei, ihre Bedürfnisse zu artikulieren. Führung ist keine Einbahnstraße mehr – sie lebt heute vom Dialog und vom Einfordern.

Was bedeutet das für das Rollenverständnis Ihrer Führungskräfte?

Guendel Gonzalez: Wir haben sehr bewusst auf die Auswahl der richtigen Führungspersönlichkeiten geachtet. Sie sollten nicht nur geschäftlich kompetent sein, sondern vor allem auf der menschlichen Ebene extrem stark. Es geht darum, vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen, zuzuhören, Orientierung zu geben und Coaching zu leben. Es geht darum, die Teams zum selbstständigen Entscheiden zu entwickeln und zu animieren. Gleichzeitig akzeptieren wir, dass nicht immer alles perfekt läuft: Wir lernen gemeinsam.

Rejl: Wie sind Sie eigentlich mit der Situation umgegangen, dass viele frühere Führungskräfte heute keine klassische Personalverantwortung mehr haben?

Guendel Gonzalez: Sehr individuell. Manche haben es als Entlastung empfunden, andere als Verlust. Mit letzteren haben wir offen gesprochen: Was ist es, was Du vermisst – die Verantwortung, den Status, das Teamgefühl? Manchmal hilft es, andere Rollen aufzuzeigen, manchmal zeigt sich, dass die Person sich nicht mehr wohlfühlt im neuen System. Dann muss man ehrlich sein und gemeinsam entscheiden, ob es noch passt.

Gab es Fälle, in denen Mitarbeitende gegangen sind oder zum Gehen animiert wurden?

Guendel Gonzalez: Ja, aber das waren absolute Einzelfälle. Die meisten geben dem neuen Modell eine echte Chance. Und wir haben organisatorisch vieles getan, um Übergänge fair zu gestalten, zum Beispiel durch die Kombination von Rollen, damit Aufgaben und Wertigkeit erhalten bleiben. Unsere HR hat das eng begleitet.

Haben sich durch die neuen Rollen auch Gehälter verändert?

Guendel Gonzalez: Nein. Wir haben bewusst darauf geachtet, dass die Wertschätzung für Expertise und Verantwortung erhalten bleibt. Es gab keine generellen Abwertungen, sondern gute Kombinationen und Zuschnitte von Rollen, damit wir den Geschäftserfolg sicherstellen können. Gleichzeitig wird in Zukunft über neue Bewertungssysteme gesprochen, aber das ist noch Zukunftsmusik.

Rejl: Bei uns in der Kommission kommt in der Diskussion um die Transformation von Führungsebenen oft das Thema Incentivierung zur Sprache. Welche Rolle spielt Incentivierung in Ihrem neuen Modell?

Guendel Gonzalez: Eine zentrale. Wir stellen derzeit unser Incentivierungssystem um – hin zu Teamzielen und einem peerbasierten Feedback. Es geht verstärkt um Teamleistung. Wir arbeiten daran, das Ganze – also Sales Performance, Marktanteile, Profitabilität und Cashflow – nachvollziehbar bis auf die Teamebene herunterzubrechen.

Wie hat sich die Stimmung durch die Veränderungen entwickelt?

Guendel Gonzalez: Wir sind eine Vertriebsorganisation. Wir sind daher sehr nah an den Kunden und haben gar nicht viel Zeit, uns mit internen Themen aufzuhalten. Das hilft uns in dieser Phase. Natürlich gab es Turbulenzen, aber heute, ein Jahr nach dem Launch, bekomme ich viel positives Feedback. Unsere Leute erkennen Sinn und sehen Struktur. Das motiviert uns.

Rejl: Ein Aspekt, der bei vielen Transformationen in der Branche mitschwingt, ist die aktuelle wirtschaftliche Situation und die Unternehmensstrategie. Das kenne ich auch noch gut aus meiner eigenen Zeit in der Industrie. Welchen Einfluss hat die Gesamtstrategie des Konzerns?

Guendel Gonzalez: Bayer ist riesig – da gibt es keine einheitliche Stimmung. Was bei uns gut funktioniert hat, war das Tempo. Wir haben uns Zeit genommen, genau hingeschaut und bewusst geführt. Das zahlt sich aus. Und ich bin mir sicher: Die Stimmung hängt entscheidend davon ab, ob direkte Führungskräfte in ihrer Rolle überzeugen, die Organisation stark in die Veränderungen einbezogen worden ist, diese Veränderungen gut begleitet werden – und immer mit der Bereitschaft, dort anzupassen, wo Dinge nicht gut funktionieren. Das bleibt unser Fokus.

Wenn Sie einen Ausblick wagen: Wo stehen Sie heute im Wandel und was kommt noch?

Guendel Gonzalez: Wir sind gut aufgestellt. Aber DSO ist nur eine von mehreren Transformationen, die wir derzeit vorantreiben. Es gilt, alle diese Veränderungen mit dem Team gemeinsam voranzutreiben. Der Wandel ist nicht abgeschlossen, aber wir haben eine sehr stabile Basis gelegt.

Katja Rejl ist Vorsitzende der VAA-Kommission Führung und war lange als Führungskraft bei Merck und Deloitte tätig. Seit August 2025 ist Rejl Leiterin Supply Chain Planning und Logistics bei der DAW in Ober-Ramstadt.

Katja Rejl ist Vorsitzende der VAA-Kommission Führung und war lange als Führungskraft bei Merck und Deloitte tätig. Seit August 2025 ist Rejl Leiterin Supply Chain Planning und Logistics bei der DAW in Ober-Ramstadt.
Foto: privat

VAA connect zu Gast bei Evonik

Der Saal von oben: Teilnehmerinnen und Teilnehmer schauen auf die Bühne, wo Maike Schuh steht und spricht.
Foto: Silke Steinraths Photography – VAA

„Female Financial Leadership“ in den Fokus rücken

Unter dem Motto „Female Financial Leadership“ haben sich Mitte September 2025 insgesamt 80 Teilnehmerinnen und einige Teilnehmer aus verschiedenen VAA-Communitys und Partnernetzwerken getroffen. Wer mehr Frauen in Führungspositionen bringen will, braucht möglichst große und vor allem unternehmensübergreifende Karrierenetzwerke.

In der Branche ist das Netzwerk von großer Bedeutung und steht deshalb bei allen VAA-Veranstaltungen im Vordergrund. Mit „VAA connect“ unterstützt der VAA Frauen in Führungspositionen und auf dem Weg dahin. Denn dort, wo Kompetenz und Leistung sichtbar werden, eröffnen sich neue Chancen. Dies zeigte sich auch wieder am 12. September 2025 auf dem VAA-connect-Event zu Gast bei der Evonik Industries AG in Essen. 

Female Financial Leadership ist ein höchst relevanter Themenbereich, in dem Frauen dringend aktiver werden sollten. Mit Keynotes rund ums Thema Finanzen verdeutlichten Top-Speakerinnen Maike Schuh, zum Zeitpunkt der Veranstaltung CFO von Evonik, Prof. Anja Seng, FidAR-Präsidentin und Professorin an der FOM Hochschule, Halime Dzeladini, Sales Managerin bei Flossbach von Storch, sowie Katja Ruhnke, CEO bei der CK Venture Capital GmbH, wie wichtig Sichtbarkeit ist.

Maike Schuh ermutigte die Anwesenden, sich selbst viel zuzutrauen und unterstrich die Bedeutung von Vielfalt: „Netzwerke wie VAA connect sind essenziell, um Raum für Austausch zu geben und Karrieren von engagierten Frauen gezielt zu fördern. Wer Vielfalt in Führung zulässt, investiert nicht nur in wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch in die Zukunftsfähigkeit und Resilienz unserer Unternehmen.“ Kurz nach der Veranstaltung hat Evonik am 18. September 2025 in einer Pressemitteilung bekanntgegeben, dass Schuh das Unternehmen nach zehn Jahren auf eigenen Wunsch verlassen hat.

Prof. Anja Seng betonte in ihrem Vortrag, dass Gesetze Türen für Gleichstellung öffnen könnten und damit Rahmenbedingungen in Organisationen geschaffen würden. Halime Dzeladini präsentierte Zahlen und Fakten über das Investitionsverhalten von Frauen im Gegensatz zu dem von Männern. Frauen seien an rund 80 Prozent der Kaufentscheidungen beteiligt. Dennoch sei das Thema Finanzen und Geldanlage oft ein männerdominiertes. Unternehmerin und Business Angel Katja Ruhnke machte in ihrer Präsentation ein für viele unbekanntes Investitionsfeld auf: Start-ups. Hierbei betonte sie, dass Vermögensbildung immer in eigener Verantwortung liege.

Das neue Format „Career Spotlights“ bot Raum für die inspirierenden Karrierewege von Dr. Marielouise Schneider und Dr. Susanne Buchholz. Die beiden VAA-Mitglieder zeigten, dass Karriere eigene Entscheidungen und Mut braucht. Sie rieten den Teilnehmerinnen, immer mutig für sich selbst zu sein und den eigenen Prioritäten treu zu bleiben. Bei der anschließenden Podiumsdiskussion stellten die Teilnehmerinnen den Speakerinnen Fragen und teilten eigene Erfahrungen miteinander.

Porträt von Prof. Anja Seng
Foto: Lichtschacht/Essen

Prof. Anja Seng, FidAR-Präsidentin: „Zehn Jahre nach Einführung des Führungspositionengesetzes zeigt sich, dass die gesetzliche Rahmung wirkt – wenn auch zu wenig Unternehmen betroffen sind, um gleichberechtigte Teilhabe in Führungspositionen gesellschaftlich Normalität werden zu lassen. Es ist weiterhin das Engagement von Unternehmen ebenso wie einzelnen Führungskräften gefragt, die strukturelle Anpassungen in Bezug auf Strategie, Zielgrößen und HR-Prozesse vornehmen und so faire Bedingungen für alle Beschäftigten ermöglichen.“

Weitere Eindrücke von der Veranstaltung

Dr. Marielouise Schneider und Dr. Susanne Buchholz nebeneinander.
Fotos: Silke Steinraths Photography – VAA