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2026 finden wieder reguläre Betriebsrats- und Sprecherausschusswahlen statt. Überall in den Betrieben starten die Vorbereitungen für den Wahlkampf. Besonders schwierig dabei: das Finden von motivierten und engagierten Kandidatinnen und Kandidaten für die Gremien. Was würde eigentlich passieren, wenn es zu wenig oder gar keine Bewerberinnen und Bewerber gäbe? Welche Folgen das hätte und wie insbesondere außertarifliche Angestellte betroffen wären, beleuchtet das VAA Magazin zusammen mit Thomas Spilke vom Juristischen Service des VAA, der vonseiten der Geschäftsführung die Betriebsratsarbeit des Verbandes koordiniert.
VAA Magazin: Nehmen wir an, es gäbe zu wenig Kandidatinnen und Kandidaten für die je nach Betriebsgröße gesetzlich festgelegten Plätze in den Gremien: Wäre die Wahl dann von vornherein unwirksam?
Spilke: Eine grausige Vorstellung! Der Gesetzgeber hat ja extra die Gremien mit umso mehr Sitzen ausgestattet, je mehr Arbeit zu erwarten ist. Je mehr Mitarbeitende in den Betrieben, desto mehr Aufgaben müssen auf die Schultern der gewählten Betriebsräte oder Sprecherausschüsse verteilt werden. Die Funktionsfähigkeit wäre bei zu wenig Bewerbern zumindest gefährdet.
Aber wäre eine solche Wahl überhaupt wirksam?
Ja, daran könnte man tatsächlich zweifeln, denn immerhin schreibt die Wahlordnung zum Betriebsverfassungsgesetz vor, dass eine Vorschlagsliste doppelt so viele Bewerber vorsehen soll, wie Sitze im Betriebsrat zu vergeben sind. Aber hier muss wieder genau gelesen werden: Das Wörtchen „soll“ bedeutet in der Gesetzessprache eben nicht „muss“, sondern nur: „Es wäre schön, wenn …“. In der Praxis wird das tatsächlich nicht immer eingehalten. Zulässig sind sogar Vorschlagslisten mit nur einem Bewerber. Aber zurück zur Wirksamkeit der Wahl bei insgesamt zu wenig Kandidaten: Hier hat das Bundesarbeitsgericht am 24. April 2024 – Aktenzeichen 7 ABR 26/23 – entschieden, dass auch eine solche Wahl wirksam ist.
Worüber hatte das BAG zu entscheiden?
Beim Träger einer Klinik mit 170 Wahlberechtigten hatten sich nur drei Bewerber für den Betriebsrat gefunden. Das Gesetz schreibt für diese Betriebsgröße aber sieben Sitze vor! Folglich wurden die drei gewählt. Der Arbeitgeber hielt das aber nicht für zulässig und klagte mittels Wahlanfechtung gegen die Gültigkeit der Wahl. Das BAG hat aber die Wahl für zulässig erklärt. Es werde in einem solchen Fall die jeweils nächstniedrigere Gremiengröße mit ungerader Zahl gewählt, hier also drei Sitze. Das wäre auch bei vier Bewerbern so geschehen. Der nach Stimmen vierte Kandidat wäre dann erstes Ersatzmitglied. Das BAG gibt also der bloßen Existenz eines Betriebsrats den Vorrang gegenüber der gesetzlichen Größe.
Was passiert denn, wenn es gar keine Wahlbewerber gibt? Setzt dann das Arbeitsgericht eine Art „Notbetriebsrat“ ein?
Nein, das gibt es nicht. Es kann zwar ein Wahlvorstand gerichtlich bestellt werden, aber der Betriebsrat muss gewählt werden – und dafür braucht es Kandidaten. Für die muss die Belegschaft sorgen. Ohne Engagement geht also nichts.
Wäre das denn so schlimm? Was wären die Folgen, wenn kein Betriebsrat gewählt wird?
Folge wäre der sogenannte betriebsratslose Betrieb. Der Arbeitgeber könnte machen, was er will. Er müsste sich „nur noch“ an die arbeitsrechtlichen Gesetze und die Tarifverträge halten, aber das würde jedenfalls kein Betriebsrat mehr überwachen, ob das überhaupt geschieht. Ein Beispiel: Der Arbeitgeber will eine Umstrukturierung vornehmen und dabei eine größere Zahl Arbeitnehmende entlassen. Er müsste zwar eine Massenentlassung bei der Arbeitsagentur anzeigen, aber er müsste weder Interessenausgleich- noch Sozialplanverhandlungen mit dem Betriebsrat führen. Es ist ja keiner da! Folglich gibt es zunächst auch keine festgelegten Abfindungen für die Betroffenen. Die kann nur ein Betriebsrat verhandeln. Gesetzlich gibt es auch keine garantierten Abfindungen. Keine schöne Situation.
Welche weiteren Folgen hätte das Fehlen eines Betriebsrats?
Der Arbeitgeber müsste vor der Kündigung den Betriebsrat nicht mehr anhören. Das hat direkte Folgen für den möglichen Prozess vor dem Arbeitsgericht um die Kündigung. Mit dem, was der Arbeitgeber dem Betriebsrat normalerweise vor Ausspruch der Kündigung vorlegen muss, legt der Arbeitgeber auch fest, worauf er sich zur Begründung der Kündigung vor dem Arbeitsgericht berufen kann. Musste er das nicht, kann er die Gründe für die Kündigung je nach Sach- und Streitstand an die jeweilige Lage „anpassen“. Das geht halt nicht, wenn er vorher schon alles dem Betriebsrat darlegen musste.
Hört sich nicht gut an. Gibt es weitere negative Folgen speziell für außertarifliche Angestellte? Oft hört man ja, dass ein Betriebsrat gar nicht für die ATs zuständig sei …
Es ist ein fast unausrottbares Gerücht, dass Betriebsräte nicht für die AT-Angestellten da wären. Nein! Der Betriebsrat hat die Interessen der gesamten Belegschaft zu vertreten. Ausnahme sind die leitenden Angestellten, für die es den Sprecherausschuss gibt. Dass man das in der betrieblichen Praxis nicht immer wahrnimmt, mag an der Besetzung der Gremien liegen. Gibt es keine außertariflichen Angestellten im Betriebsrat, ist es schwer, die Interessen dieses Bereichs zu berücksichtigen.
Welche speziellen AT-Interessen gibt es denn?
AT-Themen gibt es genug. Die lassen sich insbesondere im Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung für Betriebsräte finden. Während im Tarifbereich die Vergütung weitestgehend festgeschrieben ist, muss im AT-Bereich ein gerechtes und transparentes Gehaltssystem ausgehandelt werden, damit der Arbeitgeber nicht nach Nasenfaktor Gehälter verteilt. Ohne Betriebsrat kein System.
Gleiches gilt im Bereich der Vergütung für Boni oder die Verteilung von Dienstwagen. Hier bestimmen Betriebsräte im Normalfall mit. Auch die Vertrauensarbeitszeit oder die Möglichkeit der Gleitzeit wäre in Gefahr. Denn ohne entsprechende Betriebsvereinbarungen bestimmt der Arbeitgeber durch sein Direktionsrecht im Rahmen des Arbeitszeitgesetzes, wer von wann bis wann an welchem Tag zu arbeiten hat. Flexibilität ade!
Dann müssen also gerade AT-Angestellte in die Betriebsräte! Gibt es nicht auch bei personellen Einzelmaßnahmen eine Mitbestimmung der Betriebsräte?
Über die Anhörung vor Kündigungen haben wir ja schon gesprochen. Ohne Betriebsrat könnte der Arbeitgeber zum Beispiel auch die Mitarbeitenden völlig frei versetzen, wohin er will. Auch bei der Frage, wer eingestellt wird, hat der Betriebsrat mitzureden. Aber auch der gesamte Bereich der digitalen Transformation, zum Beispiel Leistungskontrolle über KI, wäre allein dem Arbeitgeber überlassen. Auch Urlaubspläne, die betriebliche Weiterbildung und die Ausgestaltung mobiler Arbeit wären mitbestimmungsfrei. Da könnte man noch Stunden weiterreden.
Dann sollte ein solches Szenario nach Möglichkeit vermieden werden.
Das will ich meinen! Eine Kandidatur für den Betriebsrat hat ja auch Vorteile: Neben dem gerade in diesen Zeiten nicht zu verachtenden Kündigungsschutz als Wahlbewerber oder später als Betriebsratsmitglied, ist man immer zuerst informiert und kann alle Themen, die wir angesprochen haben, selbst mitgestalten. Es geht doch letztlich darum, dass alle im Betrieb tolle Arbeitsbedingungen vorfinden und gesund bleiben. Sich darum zu kümmern, kann durchaus Spaß machen. Und mit konstruktiver Arbeit aus der „grauen Masse“ hervorzustechen, ist auch nicht immer verkehrt. Erster Schritt dazu: sich als Wahlbewerberin oder Wahlbewerber in den VAA-Werksgruppen oder beim Wahlvorstand melden.
Sieht eigentlich der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD Maßnahmen vor, um Betriebsräten und Sprecherausschüssen die Arbeit leichter zu machen?
Ja, ich habe mit Freude gelesen, dass die Digitalisierung der Arbeit voranschreitet. Der gesetzliche Vorrang von Präsenzsitzungen und das Verbot von digitalen oder hybriden Betriebsversammlungen soll fallen. Die digitalen Möglichkeiten, die Arbeit zu erleichtern, sollen gleichgestellt werden. Die Gewerkschaften sollen ein gesetzliches digitales Zugangsrecht bekommen und es könnte sogar eine Möglichkeit geben, seine Stimme bei den Wahlen digital abzugeben. Da muss sich der Gesetzgeber allerdings beeilen, denn im nächsten Frühjahr wird gewählt.
VAA-Jurist Thomas Spilke ist Fachanwalt für Arbeitsrecht. Vonseiten der VAA-Geschäftsführung koordiniert der Rechtsanwalt auch die Betriebsratsarbeit des Verbandes.
Bestimmt eine Verfallsklausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, dass „gevestete“ virtuelle Aktienoptionsrechte verfallen, nachdem Beschäftigte eigenständig gekündigt haben, handelt es sich um eine unangemessene Benachteiligung.
Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. Im konkreten Fall war ein Arbeitnehmer war vom 1. April 2018 bis zum 31. August 2020 bei einem Unternehmen beschäftigt, bevor er selbst fristgerecht kündigte. Im Jahr 2019 erhielt er ein Angebot über 23 virtuelle Aktienptionsrechte (sogenannte „Allowance Letter“), das er durch eine separate Erklärung annahm, also unabhängig vom Arbeitsvertrag.
Nach den Regelungen für Mitarbeiter-Aktienoptionen (Employee Stock Option Provisions – „ESOP“) des Unternehmens können diese virtuellen Optionen unter bestimmten Bedingungen ausgeübt werden, was zu einem Zahlungsanspruch gegen das Unternehmen führen kann. Voraussetzung für die Ausübung ist zum einen ein Ausübungsereignis, zum Beispiel ein Börsengang, und zum anderen das Ablaufen einer sogenannten Vesting-Periode. Dabei werden die dem Arbeitnehmer zugeteilten virtuellen Optionen nach einer Mindestwartezeit von zwölf Monaten innerhalb einer Vesting-Periode von insgesamt vier Jahren gestaffelt ausübbar. Zur Info: Das sogenannte Vesting ist eine Form der Mitarbeiterbeteiligung. Hierbei verdienen sich die Beschäftigten pro Monat einen gewissen Anteil des Unternehmens – häufig handelt es sich um Start-ups –, indem sie im Unternehmen arbeiten.
Der Arbeitnehmer vertrat die Ansicht, dass ihm die bereits „gevesteten“, also durch Zeitablauf freigewordenen, virtuellen Optionen zustünden – auch nach Ablauf seines Arbeitsverhältnisses. Er argumentierte, dass die Optionen ein essenzieller Bestandteil seiner Vergütung gewesen seien, die er sich durch seine Arbeit bei seinem Arbeitgeber während der Vesting-Phaseverdient habe. Die Verfallsklauseln seien deshalb unwirksam.
Der Arbeitgeber argumentierte hingegen, die Optionen seien eine Belohnung für die Betriebstreue bis zum Eintritt eines bestimmten Ereignisses wie zum Beispiel eines Börsengangs. Es handele sich lediglich um eine Aussicht auf Vergütung, nicht um bereits verdienten Lohn.
Nachdem sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht die Klage abwiesen hatten, gab das Bundesarbeitsgericht dem Arbeitnehmer recht (Urteil vom 19. März 2025, Aktenzeichen: 10 AZR 67/24): Die „gevesteten“ virtuellen Optionen gelten als Gegenleistung für die Arbeit, die der Arbeitnehmer während der Vesting-Zeit erbracht hat. Laut BAG ist es unzulässig, dass Beschäftigte durch eine arbeitsvertragliche Verfallsklausel ihre bereits verdienten Ansprüche nach Eigenkündigung verlieren. Eine solche Regelung schränke die Kündigungsfreiheit unzulässig ein.
Das Urteil des BAG und die damit einhergehende Abweichung von der früheren Rechtsprechung bedeutet eine echte Veränderung für die Bedeutung von Mitarbeiterbeteiligungen, da Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer deutlich in ihren Rechten gestärkt werden. Vermutlich werden viele Arbeitgeber ihre ESOP-Regelungen überarbeiten. Zu beachten ist, dass sich das Urteil des BAG nicht auf Verfallsregelungen für noch nicht „gevestete“ Optionsrechte bezieht.
Dieser Artikel ist erstmals im VAA Newsletter in der Aprilausgabe 2025 veröffentlicht worden.
Auf der Mitgliederplattform MeinVAA unter mein.vaa.de stehen für eingeloggte VAA-Mitglieder zahlreiche Infobroschüren zu arbeitsrechtlichen Themen zum Download bereit.