Abfindung: Mit dem Turbo in die Sperrzeit
Arbeitnehmern, die für die frühzeitige Auflösung ihres Arbeitsverhältnisses eine erhöhte Abfindung in Anspruch nehmen, droht eine Sperrzeit beim Arbeitslosengeld. Das hat das Hessische Landessozialgericht entschieden.
Eine Arbeitnehmerin war in einem Betrieb in Kassel beschäftigt, dessen Schließung ihr Arbeitgeber im März 2010 bekanntgab. Umgehend nach der Bekanntgabe der Standortschließung unterschrieb die Arbeitnehmerin einen Aufhebungsvertrag und erhielt dafür eine erhöhte „Turbo-Abfindung“. Als sie sich danach arbeitslos meldete und Arbeitslosengeld beantragte, verhängte die Arbeitsagentur eine zwölfwöchige Sperrzeit für den Arbeitslosengeld-Bezug. Die Agentur verwies darauf, dass die Arbeitnehmerin ihr Beschäftigungsverhältnis selbst gelöst habe, ohne eine konkrete Aussicht auf eine unmittelbar anschließende Dauerbeschäftigung zu haben, und ihre Arbeitslosigkeit somit grob fahrlässig herbeigeführt habe. Die Arbeitnehmerin legte Widerspruch gegen die Verhängung der Sperrzeit ein. Es sei erkennbar gewesen, dass ihr Arbeitgeber die Betriebstätigkeit in Kassel vollständig einstellen werde und lediglich die Vermittlung eines Arbeitsplatzes an einen der anderen Standorte des Arbeitgebers möglich gewesen wäre. Da sie damals ihre pflegebedürftigen Eltern habe versorgen müssen und deshalb nicht an einem weit entfernten Ort hätte arbeiten können, habe sie den Aufhebungsvertrag akzeptiert. Als die Arbeitsagentur den Widerspruch zurückwies, klagte die Arbeitnehmerin erfolglos vor dem Sozialgericht Kassel gegen die Sperrfrist.
Auch das Hessische Landessozialgericht (LSG) hat die Sperrfrist in der Berufung für rechtens erklärt (Urteil vom 22. Juni 2012, Aktenzeichen: L7 AL 186/11). Die Richter verwiesen darauf, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis laut Sozialplan erst nach der Durchführung eines sogenannten Clearingverfahrens hätte kündigen können. In diesem Verfahren hätte der Arbeitgeber zunächst versuchen müssen, der Arbeitnehmerin einen zumutbaren anderen Arbeitsplatz zu vermitteln. Insofern sei auch die Argumentation der Arbeitnehmerin nicht zwingend, da ihre familiäre Situation bei der Vermittlung berücksichtigt worden wäre. Hätte kein zumutbarer Arbeitsplatz zur Verfügung gestanden, wäre frühestens mit Wirkung zum 31. Dezember 2010 eine betriebsbedingte Kündigung möglich gewesen, die entsprechend des Sozialplans mit der Zahlung einer Abfindung in normaler Höhe verbunden gewesen wäre.
Dementsprechend habe die Arbeitnehmerin den früheren Eintritt ihrer Arbeitslosigkeit zumindest grob fahrlässig herbeigeführt und sei zu Recht für den Bezug des Arbeitslosengeldes gesperrt worden. Das LSG stellte klar, dass die Arbeitsagentur bei der Verhängung der Sperrzeit nicht berücksichtigen muss, ob ein Arbeitnehmer durch die frühzeitige Zustimmung zu einem Aufhebungsvertrag eine höhere Abfindung hätte erhalten können.
Drittes Sozialgesetzbuch
§ 159 Ruhen bei Sperrzeit
Absatz 1, Satz 1: Hat die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben, ruht der Anspruch [auf Arbeitslosengeld] für die Dauer einer Sperrzeit. Versicherungswidriges Verhalten liegt vor, wenn
1. die oder der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben oder dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe) [...].
VAA-Praxistipp
Arbeitgeber bieten bei Massenentlassungen häufig sogenannte Turbo- oder Sprinter-Prämien für Arbeitnehmer an, die frühzeitig einem Aufhebungsvertrag zustimmen. Das Urteil des LSG Hessen zeigt, dass die Annahme solcher Angebote im Hinblick auf die möglichen Konsequenzen in der Sozialversicherung sorgfältig abgewogen werden muss. VAA-Mitglieder sollten bei Fragen zu Aufhebungsverträgen die im Mitgliedsbeitrag inkludierte Rechtsberatung durch die Verbandsjuristen nutzen.