Wettbewerbsfähigkeit: Die Grenzen der Vergleichbarkeit
„Deutschland steigt auf.“ „Deutschland ist schon fast Wirtschafts-Weltmeister.“ Solche Schlagzeilen waren Anfang September in der überregionalen Presse zu finden. Anlass war die Veröffentlichung des WEF-Wettbewerbsindex, den das Weltwirtschaftsforum (WEF) einmal pro Jahr herausgibt. Deutschland landet dieses Jahr auf Platz 4 und konnte sich damit im Vergleich zum Vorjahr um zwei Plätze verbessern. Angeführt wird das Ranking weiterhin von der Schweiz, gefolgt von Finnland und Singapur.
Die Ökonomen des WEF legen ihrem Ländervergleich der Wettbewerbsfähigkeit im „Global Competitiveness Report“ zwölf Kategorien zugrunde, darunter die Infrastruktur, die Finanzstabilität, das Bildungssystem, die Innovationskraft und die Flexibilität des Arbeitsmarktes. Die entsprechenden Daten liefern wirtschaftswissenschaftliche Institute und Statistikbehörden. Dass Deutschland in so einem Vergleich gut abschneidet, ist grundsätzlich erfreulich, wenn auch nicht sonderlich überraschend. Als ökonomischer Fels in der Brandung der europäischen Finanzkrise haben wir allen Grund, selbstbewusst zu sein.
Aber auch bei guten Nachrichten lohnt es sich, auf die Zwischentöne zu hören. Tatsächlich lobt der WEF-Bericht vor allem die Innovationskraft der deutschen Unternehmen. Kritik üben die Schweizer Wirtschaftswissenschaftler hingegen an der aus ihrer Sicht mangelnden Flexibilität des deutschen Arbeitsmarktes. Hier steht Deutschland auf Platz 118 von 144. Nun ist diese Kritik keineswegs neu. Das deutsche Kündigungsschutzrecht ist Arbeitgebern und liberalen Think Tanks – zu denen auch das WEF gehört – schon lange ein Dorn im Auge. In diesem Fall weist der WEF-Bericht denn auch auf ein ganz anderes Problem hin: Das Konzept der Wettbewerbsfähigkeit fußt auf dem Vergleich verschiedener Volkswirtschaften miteinander. Und diese Vergleichbarkeit ist begrenzt.
Denn Volkswirtschaften sind hochkomplexe Systeme, die sich nur bis zu einem gewissen Grad kategorisieren, messen und vergleichen lassen. Die deutschen Unternehmen sind auch deshalb so innovativ, weil ihre hochqualifizierten Mitarbeiter sich der Stabilität ihrer Arbeitsverhältnisse einigermaßen sicher sein können und dementsprechend einen hohes Maß an Identifikation und Einsatzbereitschaft mitbringen. Und dass der deutsche Arbeitsmarkt dank Instrumenten wie der Kurzarbeit und der Zusammenarbeit der Sozialpartner im Fall der Fälle sehr flexibel sein kann, hat die letzte Krise eindrücklich bewiesen.
Dass der Vergleich von Wettbewerbsfähigkeit keine exakte Wissenschaft ist, zeigt auch ein Blick zur WEF-Konkurrenz: Das bereits im Mai veröffentliche Wettbewerbsranking der Schweizer Wirtschaftshochschule IMD sieht die USA, die Schweiz und Hongkong ganz vorn. Deutschland erreicht dort „nur“ Platz 9, WEF-Vize-Wettbewerbsweltmeister Finnland sogar nur Platz 20. Letztlich bleibt also festzuhalten: Deutschland ist ein starker und konkurrenzfähiger Wirtschaftsstandort. Schönheitskonkurrenzen mit anderen Ländern mögen interessant sein, können aber naturgemäß nicht die ganze Komplexität einer Volkswirtschaft berücksichtigen und sind deshalb mit Vorsicht zu genießen. Und das gilt erst recht für Schlussfolgerungen im Hinblick auf Teilsysteme wie den Kündigungsschutz.