Überstundenvergütung bei fehlender Regelung
Arbeitnehmer, deren Einkommen unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze liegt, haben in vielen Fällen auch dann Anspruch auf die Vergütung ihrer Überstunden, wenn diese nicht im Arbeitsvertrag geregelt ist. Das hat das Bundesarbeitsgericht entschieden.
Ein Arbeitnehmer mit einem monatlichen Bruttolohn von 1.800 Euro hatte zwischen 2006 und 2008 fast 1.000 Überstunden geleistet. In seinem Arbeitsvertrag war geregelt, dass er „bei betrieblicher Erfordernis“ auch zu Mehrarbeit verpflichtet war, für diese aber keine weitergehende Vergütung erhalten sollte. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangte der Arbeitnehmer dennoch die Vergütung der Überstunden, die der Arbeitgeber jedoch verweigerte. Daraufhin klagte der Arbeitnehmer. Das Arbeitsgericht wies seine Klage ab, das Landesarbeitsgericht gab ihm Recht.
BAG: Regelung muss transparent sein
Das Bundesarbeitsgericht entschied in der Revision ebenfalls zu Gunsten des Arbeitnehmers (Az. 5 AZR 765/10, Urteil vom 22.02.2012). Angesichts der Höhe des vereinbarten Bruttolohns sei die Leistung von Überstunden nur gegen eine zusätzliche Vergütung zu erwarten gewesen, so die Erfurter Richter. Da es sich bei der Klausel des Arbeitsvertrages, nach der keine zusätzliche Vergütung für Überstunden gezahlt werden sollte, um einen Teil der Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Arbeitgebers handelt, unterliegt sie der Transparenzkontrolle gemäß § 307 Absatz 1 Satz 2 BGB.
§ 307 BGB: Inhaltskontrolle
Absatz 1: Bestimmungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
Dem darin enthaltenen Bestimmtheitsgebot entspricht eine pauschale Vergütung von Überstunden laut BAG nur dann, wenn sich aus dem Arbeitsvertrag ergibt, welche Arbeitsleistungen in welchem zeitlichen Umfang von ihr erfasst werden sollen. Da dieses Erfordernis nicht erfüllt war, erklärte das BAG die Klausel für unwirksam. Dementsprechend stehe dem Arbeitnehmer gemäß § 612 Absatz 1 BGB die Vergütung seiner Überstunden zu. Zwar gebe es keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, nach dem jede Mehrarbeitszeit zu vergüten sei. Bei Einkommen unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze und Tätigkeiten, die keine „Dienste höherer Art“ umfassen, ist aus Sicht der BAG-Richter jedoch grundsätzlich von einer objektiven Vergütungserwartung auszugehen.
§ 612 BGB: Vergütung
Absatz 1: Eine Vergütung gilt als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist.
VAA-Praxistipp
Das BAG hat mit seinem Urteil klargestellt, dass Arbeitgeber nachträglich zur Vergütung von Überstunden verpflichtet sein können, obwohl dies im Arbeitsvertrag nicht konkret geregelt ist. Dies gilt aber nur, wenn der Arbeitnehmer mit seinem Bruttoeinkommen unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze der Gesetzlichen Rentenversicherung von derzeit 67.200 Euro (West) pro Jahr liegt. Auch Arbeitnehmer, die „Dienste höherer Art“ ausüben, dürfen nach dem BAG-Urteil keine Vergütung ihrer Überstunden erwarten. Welche Tätigkeiten unter dieses Kriterium fallen, hat das BAG allerdings bislang nicht eindeutig definiert.