Verfassungsgericht bestätigt umstrittenes EuGH-Urteil
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) will Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nur in extremen Ausnahmefällen blockieren. Das geht aus seiner Entscheidung zum umstrittenen „Mangold“-Urteil des EuGH hervor.
Das BVerfG hatte über die Verfassungsbeschwerde eines Automobilzulieferers zu entscheiden. Dieser hatte 2003 einen 53-jährigen Arbeitnehmer befristet eingestellt. Grundsätzlich bedarf es zur Begründung befristeter Arbeitsverhältnisse eines sachlichen Grundes. Nach der damals geltenden Fassung des § 14 Abs. 3 Satz 4 Teilzeit- und Befristungsgesetz konnte von diesem Grundsatz bei Arbeitnehmern im Alter über 52 Jahren abgewichen werden. Der Arbeitnehmer klagte jedoch unter Berufung auf die EU-Antidiskriminierungsrichtlinie gegen die Befristung seines Arbeitsverhältnisses. Nach dem Gang durch die Instanzen wurde die Befristung 2006 vom Bundesarbeitsgericht (BAG) für unwirksam erklärt. Das BAG berief sich dabei auf das so genannte Mangold-Urteil des EuGH aus dem Jahr 2005. Darin hatten die Luxemburger Richter entschieden, dass die deutsche Befristungsregelung nicht angewendet werden dürfe, weil sie gegen die damals in Umsetzung befindliche EU-Richtlinie und den allgemeinen Grundsatz des Verbots der Altersdiskriminierung verstoße.
Der Arbeitgeber legte gegen das BAG-Urteil Verfassungsbeschwerde ein. Mit dem Mangold-Urteil, auf das sich der BAG berufen hatte, habe der EuGH seine Kompetenzen überschritten, indem er ein allgemeines gemeinschaftsrechtliches Verbot der Altersdiskriminierung hergeleitet habe, welches erst zur unmittelbaren Anwendung der Richtlinie unter Privatleuten geführt habe. Das BVerfG wies die Verfassungsbeschwerde jedoch zurück. Es entschied, dass die Voraussetzungen nicht erfüllt seien, unter denen es eine Entscheidung der europäischen Institutionen als sogenannten „ausbrechenden Rechtsakt“ beanstanden kann.
Dazu müssten diese ihre Kompetenzen in offensichtlicher und schwerwiegender Weise überschreiten und dadurch erheblich in das Kompetenzgefüge zwischen Mitgliedsstaaten und Union eingreifen. Durch die Entwicklung des Altersdiskriminierungsverbots sei aber weder eine neue EU-Kompetenz begründet noch eine bestehende Kompetenz ausgedehnt worden.
Hohe Anforderungen für Eingriff
Die Mangold-Entscheidung des EuGH ist unter deutschen Juristen zum Teil auf heftige Kritik gestoßen. Sie vertreten die Auffassung, die rechtliche Grundlage für die Herleitung des Diskriminierungsverbots durch den EuGH sei zu dünn gewesen. Er habe sich deshalb als Gesetzgeber gebärdet und seine Kompetenzen deutlich überschritten. In seinem Urteil zum EU-Vertrag von Lissabon hatte das BVerfG die Kompetenzüberschreitung als einen der Fälle definiert, in denen es gegen eine EU-Entscheidung einzugreifen hätte.
Mit seinem neuen Urteil hat das Gericht die Voraussetzungen für diese Eingriffsmöglichkeiten nun so hoch angesetzt, dass ein solcher Fall kaum eintreten dürfte. Die Entscheidung des BVerfG mag für den Moment die Europaskeptiker enttäuschen. Sie ist aber klug. Denn durch eine andrere Passage der Entscheidung könnte sich vermutlich ein Konsultationsmodus zwischen den obersten Gerichtshöfen Europas entwickeln, der der Einheitlichkeit der Rechtskulturen dient und in Zukunft die berühmten Überrasschungscoups aus Luxemburg seltener werden lässt.