Energiewende: Moderate Kostensteigerungen für Industrie
Der jüngst beschlossene Atomausstieg stellt Industrie und Verbraucher vor große Herausforderungen. Über die Stromkosten und den Bedarf an neuen Netzen sprach der VAA mit Stephan Kohler, dem Vorsitzenden der Geschäftsführung der Deutschen Energie-Agen
VAA: Wie schätzen Sie die Kostenentwicklung für die Industrie ein?
Kohler: Zu den Kosten von 4,5 bis 5 Cent für die Haushaltskunden gehören auch die Netzausbaukosten von ungefähr einem Cent pro Kilowattstunde. Wobei man da für die Industrie differenzieren muss. Gerade die chemische Industrie liegt ja an der Höchstspannungsstufe. Für die Industrie sind das ungefähr 0,5 Cent pro Kilowattstunde mehr an Netzausbaukosten. Der zweite Punkt sind die höheren Kosten im konventionellen Kraftwerkspark, die wir mit 1 bis 1,5 Cent abgeschätzt haben und die natürlich auch für Industriekunden relevant sind. Wichtig ist, dass die Industrie, insbesondere die chemische Industrie, ja weitgehend von der EEG-Umlage ausgenommen ist. Die 2 bis 2,5 Cent, die wir da für die Haushaltskunden abgeschätzt haben, die treffen auf die chemische Industrie nicht zu. In puncto Kostensteigerungen für die Industrie sind wir also insgesamt bei der Summe von ungefähr 1,5 bis 2 Cent pro Kilowattstunde im Jahr 2020.
VAA: Wie viele neue Stromleitungen müssen gebaut, wie viele bestehende modernisiert werden?
Kohler: Wir haben die dena-Netzstudie I und die dena-Netzstudie II durchgeführt. Im Ergebnis benötigen wir einen Netzausbau auf der Höchstspannungsstufe von bis zu 4.500 Kilometern. Das kommt ganz darauf an, welche Technik wir benutzen. Wenn wir zum Beispiel die heutige Verbundnetztechnik nehmen, dann sind es 4.500 Kilometer. Wenn wir Hochtemperaturleiterseile nehmen, kann man das entsprechend auf 1.600 Kilometer reduzieren. Dann müssen aber 5.000 Kilometer im bestehenden Verbundnetz umgerüstet werden, um eben auch die Hochtemperaturleiterseile vernünftig einbinden und nutzen zu können. Dies ist die Größenordnung, die wir abgeschätzt haben für einen Windenergieausbau von ungefähr 45.000 Megawatt Leistung. Neuere Untersuchungen aber gehen davon aus, dass wir im Jahr 2020 eine viel höhere Windenergieleistung haben, insbesondere im Norden, weshalb unsere Abschätzungen von 4.500 Kilometern eher am unteren und nicht am oberen Rand liegen.
VAA: In der Bevölkerung werden verstärkt Forderungen nach einer unterirdischen Verlegung der Netze laut. Mit welchen Zusatzkosten ist das verbunden?
Kohler: Wir haben ungefähr dreimal so hohe Kosten bei Erdkabeln wie bei Freileitungen. Deshalb würden wir die flächendeckende Erdverkabelung auf der Höchstspannungsebene auf keinen Fall empfehlen. Dies sollte nur in den Fällen gemacht werden, wenn es aus Gründen des Natur-, Landschafts- oder Bevölkerungsschutzes notwendig ist, also an besonders sensiblen Landschaftsstellen oder wenn die Trasse besonders nah an Wohngebieten verläuft. Ich habe eine grundsätzliche Anmerkung in Bezug auf die Umweltverträglichkeit von Erdkabeln: Diese wird häufig überschätzt oder falsch eingeschätzt. Denn auch Erdkabel stellen einen Eingriff in die Natur und das Landschaftsbild dar. Wir haben beispielsweise eine Trasse von ungefähr 50 Metern Breite in der Bauphase und zwischen 25 und 30 Metern in der Betriebsphase, die dann auch permanent freigehalten werden muss. Das ist natürlich ein Eingriff in den Naturhaushalt.
VAA Magazin: Für wie realistisch halten Sie den von der Regierung zugrundegelegten Zeitplan für den Netzausbau?
Kohler: Wir brauchen bis zum Jahr 2020 die dargelegten Ausbautrassen. Wenn wir es nicht schaffen, müssen zum Beispiel Windkraftwerke abgeriegelt werden, was ja bereits passiert. Bei Starkwindzeiten können Windkraftwerke schon heute nicht voll laufen, weil die Stromtrassen nicht zur Verfügung stehen. Wenn das Netzausbaubeschleunigungsgesetz entsprechend greift und auch die Bevölkerung Netzausbaumaßnahmen akzeptiert, kann man den Netzausbau im Zeitraum von 2020 bis 2025 schaffen. Schaffen wir ihn nicht, haben wir ein Problem. Dann bauen wir Windkraftwerke, etwa im Offshorebereich, die dann nicht die optimale Stromerzeugung bereitstellen können. Das wäre unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten völlig unsinnig. Deshalb sollten wir schon auf die Einhaltung des Zeitplans drängen.