Re-Identifizierbarkeit von Einkommens- oder Biodaten
Das Verfahren des elektronischen Entgeltnachweises (ELENA) schafft verfassungswidrige Datenschutzrisiken. Außerdem deutet sich bei der Einrichtung von Biodatenbanken an, dass die Einwilligung als Rechtsgrundlage für die Datenerhebung unzureichend ist.
Unsicherheit darüber, was andere über die eigene Person wissen und an Daten haben, kann beunruhigen, einschüchtern und im schlimmsten Fall die freiheitswidrige Atmosphäre einer Spitzelgesellschaft erzeugen. Wer befürchten muss, es befänden sich Daten über die eigene Person ohne sachlichen, gesetzlich geregelten Grund oder vorherige Einwilligung im Umlauf, ist in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung berührt. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit kann dadurch beeinträchtigt oder verletzt sein.
Das seit diesem Jahr geltende Verfahren des elektronischen Entgeltnachweises (ELENA) bei dem nunmehr die Einkommens- und Erwerbsgeschichte eines jeden Bundesbürgers in pseudonymisierter Weise zentral und minutiös in Würzburg erhoben und gespeichert wird, schafft vermeidbare und damit unverhältnismäßige Datenschutzrisiken.
Zu diesem Ergebnis kommt der Verfassungsrechtler, Prof. Heinrich Wilms vom Institut für Recht und Politik der Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsbeziehungen an der Zeppelin-Universität als Gutachter. Das Gutachten haben der VAA und der Marburger Bund gemeinsam in Auftrag gegeben. Es wird in seinen Einzelheiten im September in Berlin vorgestellt. Wilms bemängelt unbestimmte Gesetzesvorschriften, eine unzureichende Zweckbindung und kritisiert, dass die Einkommensdaten vom Arbeitgeber ohne Einwilligung des Arbeitnehmers gemeldet werden müssen.
Zum Schutz der freien Persönlichkeitsentfaltung verlangt der Gesetzgeber dagegen seit der Schöpfung des „Rechts auf informationelle Selbstbestimmung“ durch das Bundesverfassungsgericht im sogenannten Volkszählungsurteil vom Dezember 1983 (AZ. 1 BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83): Jede Datenerhebung, -verarbeitung oder -nutzung muss grundsätzlich auf gesetzlicher Rechtsgrundlage erfolgen und darf nur zu einem vorher klar bestimmten Zweck erfolgen.
Fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage, kommt nur noch eine persönliche Einwilligung als Alternative in Betracht, durch die eine Datenerhebung legitimiert werden kann.
Biobankgeheimnis
Sind im Bereich des Entgeltnachweises als rein verwaltungstechnischer Frage prinzipiell noch Regelungsalternativen denkbar, bei denen auf die individuelle Einwilligung als Legitimationsgrundlage und –grenze zurückgegriffen wird, so könnte man mit der informierten Einwilligung zur Datenerhebung allein die Probleme im Bereich der für den Fortschritt der humangenetischen Forschung erfolgskritischen Einrichtung von Biodatenbanken nicht in den Griff bekommen.
Dieser Ansicht ist jedenfalls der Deutsche Ethikrat. In einer Empfehlung an den Deutschen Bundestag tritt er dringend für die Schaffung eines Biobankgeheimnisses ein, da aufgrund der strukturellen Besonderheiten von Biobanken der individuellen Einwilligung der Spender nur noch eine schwache Schutzfunktion zukomme.
Was beide Problemkomplexe, ELENA und Biodatenbanken miteinander verbindet, ist die bange Frage danach, inwieweit Daten späterer Re-Identifizierung zugänglich sind. Sie trennt, dass dem angestrebten Zweck von ELENA, nämlich Bürokratie zu vermindern, mit Abstand weniger Zukunftsrelevanz zukommen dürfte als der Einrichtung von datenschutzkonformen Biodatenbanken für die moderne Forschung. Umso mehr fällt die Feststellung des Ethikrates ins Gewicht, wenn er das jüngst geschaffene Gendiagnostikgesetz für unzureichend hält.
<link http: dip21.bundestag.de dip21 btd external-link-new-window external link in new>Stellungnahme des Deutschen Ethikrats "Humanbiobanken für die Forschung"