Renaissance der Tugend
Gerade in Krisenzeiten fällt es manchem Unternehmer oder Manager schwer, Erfolg und Moral miteinander in Einklang zu bringen. Wirtschaftsethiker Pater Johannes Zabel warnt jedoch davor, das Gewissen allein ökonomischen Zwängen zu unterwerfen.
VAA: Nach einer erfolgreichen Karriere in Politik und Wirtschaft haben Sie sich dem Theologie- und Philosophiestudium gewidmet und sind 2007 zum Priester geweiht worden. Sie versuchen, Wirtschaft und Tugend miteinander zu versöhnen. Eignet sich Gott als ökonomische Kontrollinstanz?
Zabel: Gott kann eine Kontrollinstanz für diejenigen sein, die an Gott glauben. Ja. Die ist konsequent gegeben. Es gilt dann der Satz: „So etwas tut man nicht!“ Wenn man diesen Satz internalisiert hat, hat man so etwas wie eine göttliche Sphäre, ein Gewissen internalisiert. Man kann die 10 Gebote als obersten Maßstab ansetzen. Dahinter steht für mich auch Gott, weil in den Geboten ethisches Verhalten und Tugenden zum Ausdruck kommen. Das Wort „Tugenden“ haben wir heute nicht mehr so im Kopf wie es vielleicht vor 20, 30 oder 50 Jahren noch war. Die Tugenden kommen aber so langsam wieder. Sie kommen im Bild des „ehrbaren Kaufmanns“ wieder – das Bild ist ja jetzt wieder in der letzten Zeit mehrfach bemüht worden – und das ist wiederum eine Richtung, die mir gefällt. Was an Tugend im Menschen noch da ist, müsste wieder geweckt werden.
Ethik statt Geschäft?
VAA: Die Tugend also schlummert tief und fest, vom Ehrbaren Kaufmann abgesehen. Ist der Markt denn ein gottloser Raum?
Zabel: In der Tat gibt es insbesondere dort einen Konflikt, wo der Wettbewerb so groß ist, dass es nur noch marginale Anbieter im Markt gibt. Und da kommt auch die Ethik erst richtig zum Tragen. Wer genug Geld und Ressourcen hat, steht häufig nicht in diesem Zielkonflikt, hier und dort so oder anders entscheiden zu müssen. Dem geht es auch ethisch besser, weil er die Konfliktlage nicht vor sich hat. Er kann führen, er kann etwas mehr Geld ausgeben, da kommen die Konflikte erst gar nicht zum tragen. In der Situation des Wettbewerbers mit Marginalanbietern, wo jeder um seine Existenz kämpft, kommt die Ethik leichter zum Ausdruck und dort ist sie auch am schwierigsten zu vermitteln. Ich nenne ein Beispiel: Sich ethisch zu verhalten heißt auf das Geschäft zu verzichten, das nicht so ganz sauber ist nach ethischen Maßstäben. In der Konsequenz heißt dies, am Markt unterzugehen. Ich bin skeptisch, dass ein moralischer Zeigefinger dort angebracht ist. Es ist durchaus ethisch wertvoll, wenn einer so handelt, aber das muss aus sich heraus, aus dem Menschen heraus kommen und kann nicht angeordnet werden von einer höheren Instanz.
VAA: Kann denn das Gewissen als „höhere Instanz“ aus dem Inneren heraus fungieren?
Zabel: Ich habe da ein Bild vom Eigentümerunternehmer vor Augen. Er hat ein Gewissen, wie jeder Unternehmer auch, wie jeder Manager es haben sollte. Aber bei diesem Eigentümerunternehmer kommt ein Aspekt hinzu: Er denkt, wenn es gut geht, über seine Generation hinaus, weil er etwas vererben will. Er denkt anders als ein angestellter Manager. Der hat auch ein Gewissen, aber neben dem Gewissen, das bei einem angestellten Manager zum Ausdruck kommt, besteht beim Eigentümerunternehmer vor allem noch der Punkt des eigenen Vermögens. Er muss haften, und das führt bei ihm schon zu einer vorsichtigeren Haltung. Vielleicht auch in eine Haltung, wo er die letzten Reserven der Familie dafür aufopfert, dass ein Unternehmen noch weiter fortgeführt werden kann, obwohl man aus einer anderen Sichtweise schon längst hätte etwas kürzen müssen. Ein Eigentümerunternehmer hat aus meiner Sicht generell den Vorteil, dass er langfristiger denken kann, dass er sich nicht vom Quartalsdenken abhängig macht. Vielleicht kann hier und dort auch ein Nachteil dadurch existieren, dass er zu sehr mit der Familie verbunden ist und dann außerökonomische Faktoren in ein Unternehmen hineinragen, die nicht immer produktiv sind.
VAA: Aber Sie argumentieren jetzt mit Produktivitätseinbußen und nicht mit dem Gewissen.
Zabel: Das Gewissen ist für mich eine absolute Kategorie. Aber ich weiß, das Gewissen ist nur von mir selbst steuerbar. Ich kann schlecht in die Menschen hineinblicken. Dann kann ich keine Garantie abgeben, dass ein Gewissen funktioniert oder nicht. Deshalb brauche ich durchaus eine Kontrolle von außen: den Wettbewerb, den Markt oder auch rechtliche Rahmenbedingungen, einen Kodex. Aber man darf nie davon ausgehen, und sollte nie davon ausgehen können, dass die rechtliche Steuerung von außen alles andere kompensieren kann, was an Gewissen nicht mehr da ist. Eine rechtliche Steuerung kann nie so umfassend sein, um ein Gewissen, eine Tugendethik zu ersetzen. Sie kann sie in Grenzen, in Teilen ersetzen, wenn der Wettbewerb stark und die Transparenz groß ist. Nur dann kann das Gewissen teilweise im Marktgeschehen aufgefangen werden, wenn Kontrolle und Druck von außen existieren.
Weitere Teile des Interviews werden in der August-Ausgabe des VAA Magazins abgedruckt.