Compliance: Pfeifen verpfeifen?
Das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz wird sich auf das Verhältnis der zweiten Leitungsebene zu Vorstand und Aufsichtsrat auswirken
Als Reaktion auf die Krise und auf Korruptionsfälle hat die Rechtspolitik das Bilanzrecht modernisiert. Das am 29.05.2009 in Kraft getretene Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) beschreibt sehr viel konkreter als bislang, was und wie der Aufsichtsrat überwachen soll. Aufsichtsratsmitglieder und Führungskräfte - insbesondere der zweiten Ebene - müssen sich auf Änderungen einstellen.
Whistleblowing-Systeme bilden eine Facette der Diskussion um die genauer gefassten Kontrollpflichten des Aufsichtsrats. Whistleblowing-Systeme können als eigene Informationsquellen oder als Bestandteil des Risikomanagements aufgefasst werden, harren allerdings im Arbeitsrecht noch einer ausdrücklichen, gesetzlichen Verankerung.
§ 107 des Aktiengesetzes (AktG) ist durch das BilMoG neu gefasst.
§ 107 Absatz 3 Aktiengesetz
Der Aufsichtsrat kann aus seiner Mitte einen oder mehrere Ausschüsse bestellen, namentlich, um seine Verhandlungen und Beschlüsse vorzubereiten oder die Ausführung seiner Beschlüsse zu überwachen. Er kann insbesondere einen Prüfungsausschuss bestellen, der sich mit der Überwachung des Rechnungslegungsprozesses, der Wirksamkeit des internen Kontrollsystems, des Risikomanagementsystems und des internen Revisionssystems sowie der Abschlussprüfung, hier insbesondere der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers und der vom Abschlussprüfer zusätzlich erbrachten Leistungen, befasst. (...)
Handelt es sich um ein kapitalmarktorientiertes Unternehmen, muss dem nunmehr eigens erwähnten Prüfungsausschuss künftig ein unabhängiger Finanzexperte angehören. Damit erhält die Diskussion um Unabhängigkeit und Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder durch das BilMoG neue Nahrung. Weiterhin legt der Gesetzgeber nunmehr ausdrücklich fest, dass sich der Ausschuss mit der Überwachung des Rechnungslegungsprozesses befasst. Sodann soll er die Wirksamkeit des internen Kontrollsystems, des Risikomanagementsystems und des internen Revisionssystems überwachen.
Deutlich stärker als in der Vergangenheit dürfte sich der Aufsichtsrat in Zukunft damit auseinandersetzen, ob die Kontrollsysteme so funktionieren, wie sie es sollen. Er kann sich jedenfalls nicht mit formalen Auskünften des Vorstands zufrieden geben. Deshalb ist damit zu rechnen, dass künftig Führungskräfte aus der zweiten Leitungsebene häufiger noch als in der Vergangenheit Berichte an den Aufsichtsrat erstatten müssen. Das Verhältnis zum Vorstand kann in dieser Situation problematisch werden.
Abzuwarten bleibt, inwieweit der Prüfungsausschuss sich selbst unmittelbar Informationen aus dem Unternehmen beschaffen darf oder sogar muss. Der Vorstand seinerseits muss das Unternehmen so organisieren, dass nicht gegen betriebsbezogene Pflichten verstoßen wird. Risiken, die den Bestand des Unternehmens gefährden können, müssen frühzeitig erkannt werden.
Das verlangt § 91 Abs. 2 AktG. Nach § 130 Ordnungswidrigkeitsgesetz kann die Verletzung dieser Organisationspflichten mit erheblichen Bußgeldern geahndet werden. Eine effektive Compliance-Organisation ist deshalb sicherzustellen.
Als Reaktion auf mehrere Gammelfleischskandale, bei denen ganz offensichtlich erheblich gegen das Lebensmittelrecht verstoßen worden war, befasste sich der Bundestag im vergangenen Jahr mit der Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts und der Einführung eines „Whistleblowing-Paragrafen“. Der Entwurf für einen Paragraf § 612a BGB war umstritten. Er wollte einem Arbeitnehmer, der auf Grund konkreter Anhaltspunkte der Auffassung war, dass im Betrieb oder einer betrieblichen Tätigkeit gesetzliche Pflichten verletzt werden, das Recht geben, sich zum Beispiel direkt an die Aufsichtsbehörde, die Staatsanwaltschaft oder die Presse zu wenden. Dieser Entwurf ist in den <link http: www.bundestag.de ausschuesse a10 anhoerungen a10_81 index.html external-link-new-window einen externen link in einem neuen>Beratungen des Bundestages stecken geblieben. Experten kritisierten vor allem, dass die Anzeige nicht nur davon abhängen dürfe, welche subjektiven Auffassung der Mitarbeiter von betrieblichen Missstände habe. Rachemotive und Denunziantentum müßten ausgeschaltet werden. Außerdem sei es keineswegs in allen Fällen erforderlich, die Presse einzuschalten.
Umstrittener Whistleblowing-Paragraf
Gleichzeitig machten die Experten darauf aufmerksam, dass die in Großunternehmen zusehends verbreiteten Ethik-Hotlines neu überdacht werden müssten. An der Börse in New York gelistete Unternehmen hatten - ausgelöst durch den Sarbanes-Oxley Act - zuvor vielfach interne Hotlines eingerichtet. Sie forderten die Mitarbeiter zur anonymen Anzeigen von Missständen in den Unternehmen auf. In Europa hatten kurz darauf die Datenschutzbeauftragten der 25 EU-Mitgliedstaaten die Anonymität solcher Whistleblowing-Systeme bemängelt und anderslautende Empfehlungen abgegeben. Dieser Konflikt ganz unterschiedlicher Rechtskulturen, die im us-amerikanischen Recht den Mut zur Anzeige und im europäischen Fall die Feigheit der Flucht in die Anonymität in den Vordergrund stellen, wird durch die aktienrechtliche Verschärfung der Kontrollpflichten des Aufsichtsrats voraussichtlich sehr bald in der Unternehmenspraxis akut und aktuell. Er könnte den Gesetzgeber erneut beschäftigen, wenn als Lehre aus den jüngsten Fällen der Mitarbeiterbespitzelung das angekündigte Arbeitnehmerdatenschutzgesetz in Angriff genommen wird.