Analytik der Rating-Analysten
Die Europäische Kommission will die Rating-Agenturen in Europa besser beaufsichtigen. Sie hat als Beitrag zur neuen Finanzmarktarchitektur einen Verordnungsvorschlag veröffentlicht.
Die Redaktion des VAA-Newsletters hat mit Alexandra Krieger, Wirtschaftsexpertin bei der Hans-Böckler-Stiftung, und Jens Schmidt-Bürgel, Chef von Fitch-Ratings in Deutschland, über die harsche Kritik der Kommission an der Rolle der Rating-Agenturen in der Finanzmarktkrise gesprochen. Lesen Sie hier Auszüge aus den beiden Interviews. Die vollständigen Fassungen finden Sie am Ende des Artikels.
VAA-Newsletter: Finanzmarktstabilität wird inzwischen als öffentliches Gut wahrgenommen. Muss man eine Rating Agentur als Sachwalter eines öffentlichen Amtes verstehen?
Krieger: Ich denke schon. De facto erfüllen Rating-Agenturen Ordnungsfunktion. Sie beeinflussen das Finanzsystem ganzer Länder, was in den internationalen Finanzbeziehungen zu erheblichen Verwerfungen führen kann. Seit der Finanzkrise bemerke ich einen Sinneswandel. Man nimmt inzwischen viel stärker die gesamtwirtschaftliche Funktion der Rating-Agenturen wahr.
Schmidt-Bürgel: Sie sprechen das Problem der Verstaatlichung, die Diskussion um eine staatliche Agentur an. Ich denke aber, das ist nicht die zentrale Fragestellung. Es geht um die Unabhängigkeit und die Objektivität der Rating-Agenturen. Darauf sollte zur Zeit das Hauptaugenmerk liegen. Was könnte der Staat denn in der Krise von einer staatlichen Agentur erwarten? Sie stehen in der jetzigen Wirtschaftslage vor schwierigen, sehr schwierigen Entscheidungen. Stellen Sie sich vor, wenn Sie jetzt über eine Bank etwas Negatives feststellen, dann kann das leicht den Todesstoß für die betroffene Bank bedeuten. Staatliche Agenturen würden aber womöglich mit der Bank nicht so harsch ins Gericht gehen können...
VAA-Newsletter: Halten Sie den Vorwurf, den sich jetzt auch die Europäische Kommission zu eigen gemacht hat, für gerechtfertigt: Rating-Agenturen hätten systematisch aufgrund unzulänglicher Datenbasis und nicht angemessener Modelle das Risiko strukturierter Kreditprodukte unterschätzt?
Schmidt-Bürgel: Das ist allenfalls in Teilen richtig. Wenn wir uns den Verbriefungsmarkt anschauen, so war der von extremen Wachstumsschüben gekennzeichnet. Allerdings muss man die Extremfacette des Subprime-Markts in den USA von den konservativen Verbriefungsprodukten unterscheiden, die bei einer deutschen Immobilienfinanzierung eine Rolle spielen. Ich gebe der Kommission insoweit recht, als es bei neuen Produktgenerationen Entwicklungen gab, die nicht positiv waren.
Krieger: Die Kommission versucht ja jetzt dem Problem gerecht zu werden, in dem ein Experte für strukturierte Kreditprodukte in den Verwaltungs- beziehungsweise den Aufsichtsrat muss. (...)
VAA-Newsletter: Bringt diese Maßnahme denn etwas?
Krieger: Ich kann mir nicht vorstellen, dass es sich um ein Kompetenzproblem handelt. Das Problem bei den strukturierten Kreditprodukten beruht eher darauf, dass es sich häufig um „Ziel-Ratings“ gehandelt hat. Es musste ein bestimmtes Rating her, dann hat man solange das Produkt nachjustiert, bis das Rating vergeben werden konnte. Das ist kein ergebnisoffenes Verfahren. Man hat dabei das Pferd vom Schwanz her aufgezäumt. Das war der Fehler. Ich verspreche mir dagegen mehr von der Absicht, für strukturierte Produkte eigene Rating-Kategorien zu schaffen. Man muss dem Markt klar machen, dass es sich bei strukturierten Kreditprodukten um ganz andere Risiken handelt.
VAA-Newsletter: Der zweite Teil des Vorwurfs der Kommission ist, dass es die Rating-Agenturen zumindest versäumt hätten, ihre Ratings rechtzeitig anzupassen.
Schmidt-Bürgel: Im Nachhinein ist es häufig leicht gute Ratschläge zu geben. Aber wir müssen einsehen, dass auch ein vorzeitigeres Anpassen der Ratings diese Krise nicht verhindert hätte. Wenn Sie in der Situation stecken, und Sie keine belastbaren neuen Informationen haben, müssen Sie sich auf die Fakten und vorhandenen Informationen stützen. Wir hatten im Subprime-Markt eigentlich ein Liquiditätsproblem. Das führte zu einem starken Preisverfall. Dieser hatte aber zunächst nichts mit der Kreditqualität zu tun. Der Ansatz der Ratingagenturen, ist „durch den Zyklus hindurch zu analysieren“.