Versetzungsklauseln ohne Radiusangabe transparent
Versetzungsklauseln in Arbeitsverträgen, die inhaltlich der Regelung in § 106 S. 1 Gewerbeordnung entsprechen, unterliegen nicht der Angemessenheitskontrolle nach § 307 I 1 BGB. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden.
Ein Arbeitgeber wollte eine Mitarbeiterin, die sieben Jahre lang in seinem Betrieb in Bielefeld gearbeitet hatte, nach München versetzen. Er berief sich dabei auf eine Versetzungsklausel, die als Teil der Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Arbeitsvertrag vereinbart worden war. Die Arbeitnehmerin war mit der Versetzung nicht einverstanden und verweigerte den Arbeitsantritt in München. Sie vertrat die Auffassung, sie habe aufgrund ihrer jahrelangen Tätigkeit in Bielefeld nicht mehr an einen anderen Ort versetzt werden dürfen. Daraufhin kündigte ihr der Arbeitgeber wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung. Zuvor hatte er den Betriebsrat am Standort Bielefeld zu der Kündigung angehört.
LAG gab Arbeitnehmerin Recht
Die Arbeitnehmerin klagte vor dem Arbeitsgericht Bielefeld und vor dem Landesarbeitsgericht Hamm (LAG) erfolgreich gegen die Versetzung und die Kündigung. Das LAG entschied, dass die Versetzungsklausel als unangemessene Benachteiligung nach § 307 I BGB unwirksam sei. Eine Klausel, die eine bundesweite Versetzung ermögliche, müsse Angaben zum maximalen Entfernungsradius der Versetzung sowie zu den Ankündigungsfristen enthalten. Da dies nicht der Fall war, erklärte das LAG die Versetzung und die Kündigung für unwirksam. Der Arbeitgeber ging gegen diese Entscheidung in Revision vor das Bundesarbeitsgericht (BAG).
§ 307 BGB: Inhaltskontrolle
(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
Das BAG hob mit seinem Urteil (9 AZR 36/09 vom 13.04.2010) die Entscheidung des LAG teilweise auf. Es entschied, dass die Angemessenheitskontrolle nach § 307 I 1 BGB nicht auf die Versetzungsklausel anzuwenden ist. Die Klausel entspreche inhaltlich der Regelung des § 106 S. 1 Gewerbeordnung (GewO). Sie stelle daher keine von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelung dar, für die der Anwendungsbereich des § 307 I 1 BGB eröffnet ist.
Eine Unwirksamkeit der Klausel ergibt sich aus Sicht des BAG auch nicht aus der Transparenzkontrolle nach § 307 I 2 BGB. Diese sei zwar auf die Versetzungsklausel anwendbar, allerdings genüge diese dem Transparenzerfordernis. Insbesondere bestehe keine Pflicht des Arbeitgebers, einen maximalen Entfernungsradius oder eine angemessene Ankündigungsfrist zu vereinbaren. Eine solche Konkretisierungsverpflichtung werde dem Bedürfnis des Arbeitgebers, auf im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht vorhersehbare Veränderungen reagieren zu können, nicht gerecht. Der Arbeitnehmer sei gegen unbillige Entscheidungen des Arbeitsgebers hinreichend dadurch geschützt, dass dieser sein Direktionsrecht nur im Rahmen billigen Ermessens ausüben dürfe und diese Ermessensentscheidung gerichtlich voll überprüfbar sei. Diese Prüfung habe das LAG nachzuholen und die Wirksamkeit der Versetzung neu zu beurteilen.
§ 106 Gewerbeordnung: Weisungsrecht des Arbeitgebers, Satz 1
Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind.
Hinsichtlich der Kündigung gab das BAG allerdings – wie schon die Vorinstanzen –der Arbeitnehmerin recht. Der Arbeitgeber hat sich in eine Zwickmühle manövriert. Sollte die Versetzung unwirksam sein, musste die Klägerin nicht in München arbeiten. Sollte die Versetzung wirksam sein, hätte die Beklagte den Betriebsrat der Niederlassung München zu den Kündigungen anhören müssen. Das Gericht betonte, dass eine Anhörung des falschen Betriebsrates ebenso zur Unwirksamkeit einer Kündigung führe wie eine unterlassene Anhörung.
VAA-Praxistipp
Das BAG hat mit dem Urteil seine bisherige Praxis zu räumlichen Direktionsvorbehalten fortgesetzt. Bereits in einer Entscheidung im Jahr 2008 (9 AZR 433/06) hatten die Erfurter Richter unter Hinweis auf § 106 S. 1 GewO eine nähere Konkretisierung bei einem räumlichen Direktionsvorbehalt nicht für erforderlich gehalten.