Sprecherausschusswahlen im Frühjahr 2022

Jede Stimme zählt!

Im Zeitraum vom 1. März bis zum 31. Mai 2022 werden in vielen Unternehmen und Betrieben neben den Betriebsratswahlen auch die Sprecherausschusswahlen durchgeführt. Die Vorbereitungen dazu laufen bereits seit einigen Monaten. Da ein beachtlicher Teil der Beschäftigten aufgrund der aktuellen Situation im Homeoffice ist beziehungsweise mobil arbeitet und nicht an der Wahlurne erscheinen wird, stehen die Wahlen diesmal unter besonderen Voraussetzungen. Hierüber sowie über die Bedeutung der Wahl für den einzelnen leitenden Angestellten sprach das VAA Magazin mit dem VAA-Juristen Christian Lange.

VAA Magazin: Wird es überhaupt eine Präsenzwahl geben oder läuft es pandemiebedingt auf eine reine Briefwahl hinaus?

Lange: Die Wahlvorstände sowohl der Betriebsrats- als auch der Sprecherausschusswahlen müssen nach wie vor eine Wahlurne aufstellen. Aber sie dürfen aufgrund einer Änderung in den Wahlordnungen nun allen Beschäftigten, die längere Zeit im Betrieb abwesend sind, die Briefwahlunterlagen unaufgefordert zusenden. Eine Abwesenheit liegt insbesondere beim Arbeiten vom Homeoffice aus beziehungsweise beim mobilen Arbeiten vor sowie bei einer Tätigkeit im Außendienst. Aber auch diejenigen, deren Arbeitsverhältnis beispielsweise aufgrund von Elternzeit ruht oder die längere Zeit erkrankt sind, sollen die Briefwahlunterlagen unaufgefordert vom Wahlvorstand erhalten.

Somit eine erfreuliche Modernisierung der Wahlordnung?

Für den ein oder anderen Wahlvorstand, der bislang nur auf Verlangen der Beschäftigten die Briefwahlunterlagen zugesandt hatte, ist hiermit sicherlich ein gewisser Mehraufwand bei der Durchführung der Sprecherausschusswahl verbunden. Aber dieser Mehraufwand ist mehr als gerechtfertigt. Die großzügige Möglichkeit der Briefwahl wird zu einer höheren Wahlbeteiligung führen – und die ist enorm wichtig. Das gilt für den Betriebsrat ohnehin, aber in besonderem Maße auch für den Sprecherausschuss.

Inwiefern?

Der Sprecherausschuss ist das Vertretungsorgan der leitenden Angestellten. Er ist der Verhandlungspartner des Arbeitgebers, wenn es um die Interessen und die Rechte der Leitenden geht. Die leitenden Angestellten entscheiden mit ihrer Stimme, wer in den nächsten vier Jahren ihre Interessen im Sprecherausschuss vertritt. Die Arbeitgeber beobachten genau, wie viele Leitende sich an der Wahl beteiligt haben. Je höher die Wahlbeteiligung ist, desto mehr stehen die leitenden Angestellten hinter „ihrem Sprecherausschuss“. Somit wird die Grundlage für einen starken Sprecherausschuss und eine erfolgreiche Sprecherausschussarbeit geschaffen. Leitende Angestellte sollten daher unbedingt an der Wahl teilnehmen.

Mit welcher Wahlbeteiligung kann man zufrieden sein?

Wenn beim Arbeitgeber nur eine geringe Zahl von Leitenden, also zum Beispiel unter 30 Leitende beschäftigt sind, wäre eine Wahlbeteiligung von über 90 Prozent durchaus üblich und wirklich zufriedenstellend. Je mehr leitende Angestellte wahlberechtigt sind, desto schwerer wird es jedoch, derart hohe Wahlbeteiligungen zu erreichen. Bei der letzten Wahl 2018 hatten wir eine durchschnittliche Beteiligung von 77 Prozent. Diese Zahl sollte ein Maßstab sein!

Welche Bedeutung hat die Wahl für die einzelnen Leitenden, was kann der Sprecherausschuss für sie tun?

Der Sprecherausschuss vertritt die kollektiven und individuellen Interessen der Leitenden. Kollektiv regelt er durch Richtlinien und Vereinbarungen die wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Rahmenbedingungen. Beispiele hierfür sind Sprecherausschussvereinbarungen zu Vergütungsgrundsätzen oder Bonussystemen sowie Regelungen zur betrieblichen Altersversorgung. Individuell ist der Sprecherausschuss Ansprechpartner für die einzelnen leitenden Angestellten, wenn es um Unterstützung zu einer persönlichen Fragestellung oder einem Problem mit dem Arbeitgeber geht. Auf die Erfahrungen und Unterstützung des Sprecherausschusses können alle leitenden Angestellten zurückgreifen.

Wie stellt sich die Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Sprecherausschuss dar?

Sprecherausschuss und Betriebsrat vertreten beide die Interessen von Arbeitnehmern. Leitende Angestellte befinden sich in einer Doppelfunktion: Sie sind einerseits selbst Arbeitnehmer und anderseits Vorgesetzte. Sie können also nicht vom Betriebsrat vertreten werden. Deshalb vertritt der Sprecherausschuss die Interessen der leitenden Angestellten. Vergütung, Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit von Arbeitsplätzen, demografische Entwicklung, betriebliche Altersversorgung – die Liste gemeinsamer Interessen von Sprecherausschuss und Betriebsrat, mit jeweils unterschiedlicher Ausprägung, ist lang. Ein partnerschaftlicher Umgang und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat sollten daher für den Sprecherausschuss selbstverständlich sein.

Wie sehen Sie das Verhältnis des Sprecherausschusses zur Unternehmensführung?

Anders als der Betriebsrat hat der Sprecherausschuss keine Mitbestimmungsrechte, sondern lediglich Mitwirkungsrechte. Diese Unterschiedlichkeit erfordert eine andere Verhandlungskultur mit der Unternehmensleitung. Wichtig sind starke, überzeugende Sachargumente und eine hohe Legitimation des Sprecherausschusses. Die Arbeitgeber beobachten sehr genau, welche Rückendeckung der Sprecherausschuss von den Wahlberechtigten erfährt. Ein vertrauensvoller Umgang miteinander ist wichtig. Die meisten Unternehmen haben erkannt, dass die Sprecherausschüsse konstruktiv die Interessen der Leitenden vertreten und wichtige Beiträge zu Unternehmensentscheidungen liefern können.

Gibt es vor dem Hintergrund der zunehmenden Arbeitsverdichtung in vielen Unternehmen überhaupt noch genügend Kandidatinnen und Kandidaten für die Betriebsrats- oder Sprecherausschussarbeit?

Im Regelfall schon. Aus meiner Wahrnehmung ist es ein sehr interessantes ehrenamtliches Engagement. Man kann bei wichtigen unternehmens- oder personalpolitischen Punkten als Betriebsrat mitbestimmen und als Sprecherausschuss mitgestalten. Hierbei erfährt man frühzeitig von geplanten Veränderungen beim Arbeitgeber und bringt die Interessen der Arbeitnehmer mit in die Veränderungsprozesse im Unternehmen ein.

Zugleich hilft ein Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen in den jeweiligen Gremien und der direkte Kontakt zur Personalabteilung und Geschäftsleitung wird sehr geschätzt. Entscheidend ist auch, dass man betroffenen Beschäftigten, die aktuell irgendwelche Fragen oder Probleme mit dem Unternehmen haben, konkret helfen kann. Die individuelle Unterstützung der Beschäftigten ist eine Kernaufgabe für Betriebsräte sowie Sprecherausschüsse und bietet den jeweiligen Beschäftigten enorme Hilfe.

Können sich alle leitenden Angestellten zur Wahl stellen?

Voraussetzung ist, dass man mindestens sechs Monate bei dem Arbeitgeber beschäftigt ist. Sofern man aber zuvor bei einem konzernangehörigen Unternehmen beschäftigt war, gilt diese Frist nicht. Umgekehrt ist man jedoch unmittelbar wahlberechtigt.

Ansonsten ist zu beachten, dass diejenigen leitenden Angestellten, die in Elternzeit sind oder nur vorübergehend ins Ausland gesandt wurden, grundsätzlich wahlberechtigt sind. Sofern man allerdings einvernehmlich vom Arbeitgeber freigestellt wurde, beispielsweise bei einer Frühpensionierung, fehlt es an der notwendigen Eingliederung in den Betrieb – und damit entfällt nach der Rechtsprechung das aktive und passive Wahlrecht.

Wie unterstützt der VAA die Sprecherausschüsse?

In einer Broschüre „Sprecherausschusswahlen 2022“ haben wir anschaulich zusammengestellt, welche Aufgaben ein Sprecherausschuss hat und wie er die Leitenden unterstützt. Diese ist unter www.vaa.de unter „Presse/Publikationen/Infobroschüren“ abrufbar.

Für die Wahlvorstände, welche die Wahl organisieren, steht mit dem Onlinetool www.spa-wahlen.de eine moderne Software zur Verfügung. Jeder einzelne Schritt bei der Wahl wird erläutert – hierbei werden Mustertexte zur Verfügung gestellt. Zugleich enthält die Software einen individuellen Fristenkalender, damit man alle Termine im Wahlverfahren vor Augen hat.

Sowohl für die Sprecherausschusswahlen als auch für die Betriebsratswahlen gilt, dass der VAA seinen Mitgliedern bei allen Fragestellungen im Wahlverfahren für eine kompetente Beratung zur Verfügung steht.

Auf der Mitgliederplattform MeinVAA unter mein.vaa.de stehen für eingeloggte VAA-Mitglieder zahlreiche Infobroschüren zu arbeitsrechtlichen Themen zum Download bereit.

Jahresstatistik zum Juristischen Service

Mehr Beratungen, weniger Beistandsfälle

Im Laufe des zweiten Coronajahres scheinen sich die Fallzahlen bei der Rechtsberatung sowie beim Rechtsschutz und Rechtsbeistand auf einem hohen Niveau eingependelt zu haben. Während es bei den Beratungsfällen einen leichten Anstieg gegeben hat, ist die Zahl der Rechtsschutz- und Beistandsfälle leicht zurückgegangen.

Im Vergleich zum ersten Jahr der Coronapandemie ist die Zahl der Rechtsberatungen nochmals um rund 200 auf nunmehr 4.200 gestiegen. Dazu gehören zum Beispiel telefonische und persönliche Beratungstermine zu den unterschiedlichsten arbeits- und sozialrechtlichen Themen. Ähnlich wie 2020 sah die Themengewichtung jedoch etwas anders aus als in den Jahren vor der Pandemie. „Vor allem Kurzarbeit, Kündigung und Homeoffice haben die Nachfragen unserer Mitglieder dominiert“, gibt VAA-Hauptgeschäftsführer Stephan Gilow zu Protokoll. „Auch Fragen rund um Aufhebungsverträge, flexible Arbeitsmodelle und die Auslegung der Arbeitszeit im Homeoffice spielten gerade bei außertariflichen und leitenden Angestellten, die ja zum Großteil Arbeitszeitsouveränität genießen, eine wichtige Rolle.“ 

Von der Expertise der VAA-Juristen mit ihren jahrelangen Erfahrungen in der chemisch-pharmazeutischen Industrie und den angrenzenden Branchen können alle VAA-Mitglieder profitieren – nicht nur in Krisenzeiten wie der Coronapandemie. „Wir kennen uns zudem mit den besonderen arbeitsrechtlichen Problemen von außertariflichen und leitenden Angestellten aus“, hebt Gilow hervor. „Das war, ist und bleibt das Alleinstellungsmerkmal unseres Juristischen Service etwa im Vergleich mit der Beratungspraxis anderer gewerkschaftlicher Organisationen.“ Zum Team des Juristischen Service beim VAA gehören Christian Lange, Hinnerk Wolff, Pauline Rust, Thomas Spilke, Ilga Möllenbrink, Stephan Gilow, Stefan Ladeburg, Catharina Einbacher, Christof Böhmer und Dr. Torsten Glinke (im Gruppenbild von links nach rechts).

Wie im Vorjahr haben sich die VAA-Juristen in der Geschäftsstelle Köln und im Berliner Büro wieder viel mit Sprecherausschuss- und Betriebsvereinbarungen beschäftigt. „Durch Corona wird das Thema New Work viel schneller Realität in den Unternehmen und das sollte man arbeitsrechtlich aufmerksam und genau begleiten“, so Gilow. Wie bei Arbeitsverträgen gebe es in zahlreichen Vereinbarungen gewisse Punkte und Klauseln, die rechtlich nicht haltbar seien. „Hier kommt es auf die genaue Prüfung erfahrener Arbeitsrechtler an. Unsere Juristen haben hier echte Expertise und können VAA-Mitgliedern rechtlichen Rückhalt bieten.“ Nicht umsonst zählt der Juristische Service zu den wichtigsten Dienstleistungen des VAA für seine Mitglieder. VAA-Hauptgeschäftsführer Gilow betont: „Ich kann es nicht oft genug wiederholen: Der Leistungsumfang unseres Rechtspakets geht weit über das übliche Angebot von Rechtsschutzversicherungen hinaus.“ 

Beratung, Beistand und Rechtsschutz klar definiert

2021 ist die Zahl der offiziellen Beistandsfälle für VAA-Mitglieder gegenüber ihrem jeweiligen Arbeitgeber auf 296 gesunken. Was ist der Unterschied zwischen Rechtsberatung, Rechtsbeistand und Rechtsschutz? Stephan Gilow erläutert: „Zur Rechtsberatung zählen alle Beratungen, die nicht in ein offizielles Eintreten des VAA als Beistand aufseiten des Mitglieds gegenüber dem Unternehmen in einer Rechtssache münden.“ Mitunter können auch anfänglich schwierig erscheinende Themen etwa bei Prüfungen von Arbeitsverträgen und Entgeltsystemen durch eine eingehende Beratung zur Zufriedenheit des betroffenen Mitglieds gelöst werden und für Aufklärung sorgen. „Sobald es aber zur Einschaltung des VAA in der Kommunikation mit dem Arbeitgeber kommt, reden wir von einem Beistandsfall.“ Geht es dann schließlich noch vor Gericht, sprechen Juristen von einem Rechtsschutzfall.

In Sachen Rechtsschutz bewegt sich die Gesamtzahl von 236 Fällen in etwa auf dem Vorjahresniveau, mit vier Rechtsschutzfällen weniger als im ersten Coronajahr. „Es zeigt sich, dass sich in den wenigen Fällen, in denen es wirklich vor Gericht zur Sache geht, an der Dynamik nicht viel verändert hat“, erklärt Stephan Gilow. Doch zähle man Beratung, Beistand und Rechtsschutz zusammen – also sämtliche Rechtsanfragen, bei denen VAA-Mitglieder um juristischen Rat suchen –, werde eines deutlich: „Meistens schaffen wir es, langwierige Rechtsstreitigkeiten entweder im Vorfeld oder in einer sehr frühen Phase zu verhindern – zum Wohle unserer Mitglieder.“ Denn die VAA-Juristen schalten sich in Konflikten schon sehr früh ein und versuchen, in Verhandlungen mit den Unternehmensvertretern das beste Ergebnis herauszuholen. Der VAA-Hauptgeschäftsführer resümiert: „Auch in diesem Punkt gilt ein alter, aber bewährter Leitspruch im Arbeitsrecht unvermindert fort: Der beste Gerichtsprozess ist oft derjenige, den man schon im Vorfeld verhindert.“

Urteil

Weg vom Bett ins Homeoffice gesetzlich unfallversichert

Beschäftigte, die auf dem morgendlichen erstmaligen Weg vom Bett ins Homeoffice stürzen, sind durch die gesetzliche Unfallversicherung geschützt. Das hat das Bundessozialgericht entschieden.

Ein Arbeitnehmer befand er sich auf dem Weg zur erstmaligen Arbeitsaufnahme von seinem Schlafzimmer in das eine Etage tiefer gelegene häusliche Büro (Homeoffice). Üblicherweise begann er dort unmittelbar zu arbeiten, ohne vorher zu frühstücken. Beim Beschreiten der die Räume verbindenden Wendeltreppe rutschte er aus und brach sich einen Brustwirbel.

Die beklagte Berufsgenossenschaft (BG) lehnte Leistungen aus Anlass des Unfalls ab. Der Unfallversicherungsschutz beginne in einer Privatwohnung auf dem Weg zum Zwecke der erstmaligen Arbeitsaufnahme erst mit Erreichen des häuslichen Arbeitszimmers. Die Klage des Arbeitnehmers auf Feststellung eines Arbeitsunfalls war vor dem Sozialgericht erfolgreich, das Landessozialgericht beurteilte den Weg hingegen als unversicherte Vorbereitungshandlung, die der eigentlichen Tätigkeit nur vorausgeht. 

Das Bundessozialgericht hat nun die Entscheidung des Sozialgerichts bestätigt und damit dem Arbeitnehmer Recht gegeben (Urteil vom 8. Dezember 2021, Aktenzeichen B 2 U 4/21 R).

Das Gericht entschied, dass der Gang ins häusliche Büro zur erstmaligen Arbeitsaufnahme als Betriebsweg versichert war. Denn ein Betriebsweg sei auch im häuslichen Bereich denkbar, wenn sich Wohnung und Arbeitsstätte im selben Gebäude befinden.

Ob ein Weg als Betriebsweg im unmittelbaren Unternehmensinteresse zurückgelegt wird und deswegen im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, bestimme sich auch im Homeoffice nach der objektivierten Handlungstendenz der versicherten Person. Also danach, ob diese bei der zum Unfallereignis führenden Verrichtung eine dem Unternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird.

VAA-Praxistipp:
Gerade in der aktuellen Pandemielage arbeiten viele Menschen von zu Hause aus. Das Bundessozialgericht hat mit seinem Urteil nun klargestellt – entgegen seiner früheren Rechtsprechung –, dass sie dabei hinsichtlich des Schutzes der gesetzlichen Unfallversicherung nicht schlechter gestellt werden dürfen als die Beschäftigten vor Ort im Betrieb.