LAG Köln: Unwirksamkeit erheblich verspäteter Zielvorgaben
Zwischen einem Arbeitnehmer mit Führungsverantwortung und seinem Arbeitgeber war arbeitsvertraglich ein Jahreszielgehalt vereinbart worden, das sich aus einem Bruttofixgehalt und einer variablen Vergütung zusammensetzen sollte. Deren Höhe sollte sich nach dem Grad der Zielerreichung richten, wobei sich die Zielvorgabe aus individuellen und unternehmensbezogenen Zielen zusammensetzte. Eine Betriebsvereinbarung sah zudem vor, dass die Beschäftigten bis zum 1. März eines Kalenderjahres eine zuvor mit ihnen zu besprechende Zielvorgabe erhalten sollten.
Im Jahr 2019 teilte der Arbeitgeber den betroffenen Beschäftigten des Unternehmens erst am 15. Oktober konkrete Zahlen zu den Unternehmenszielen, zu deren Gewichtung und zum Zielkorridor mit. Der Arbeitnehmer beendete sein Arbeitsverhältnis zu Ende November und erhielt für das Jahr 2019 eine anteilige variable Vergütung, deren Höhe sich auch nach der Erreichung der mitgeteilten und nicht zu 100 Prozent erreichten Unternehmensziele richtete. Dagegen klagte er, weil nach seiner Auffassung die Unternehmenszielvorgabe durch die späte Mitteilung unwirksam geworden war. Somit hätte seine variable Vergütung so ausfallen müssen, als seien die Unternehmensziele zu 100 Prozent erreicht worden. Das Arbeitsgericht Köln wies die Klage hab, weil aus seiner Sicht die Erreichung der Unternehmensziele durch die Mitteilung noch während des maßgeblichen Kalenderjahres nicht unmöglich geworden war. Eine Unmöglichkeit durch verspätete Mitteilung komme nur bei Individualzielen in Betracht, bei denen der Arbeitnehmer die Zielerreichung im Wesentlichen selbst maßgeblich beeinflussen könne.
Das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) entschied in der Berufung anders und gab dem Arbeitnehmer recht (Urteil vom 6. Februar 2024, Aktenzeichen: 4 Sa 390/23). Das LAG verweist auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG), wonach eine Zielvereinbarung ihre Anreizfunktion nur dann erfüllen kann, wenn der Arbeitnehmer bereits bei der Ausübung seiner Tätigkeit die von ihm zu verfolgenden Ziele kennt. Eine Zielvereinbarung sei somit spätestens nach Ablauf der Zeit, für die ein Arbeitgeber mit einem Arbeitnehmer Ziele zu vereinbaren hat, nicht mehr möglich und der betroffene Arbeitnehmer könne dann Schadensersatz statt Erfüllung verlangen. Nach Ansicht des LAGs war der Zeitpunkt der Unmöglichkeit für die Erreichung der Unternehmensziele in diesem Fall durch die Mitteilung im Oktober des maßgeblichen Kalenderjahres bereits eingetreten, weil bereits mehr als drei Viertel des Jahres abgelaufen waren. Dem steht laut LAG auch nicht entgegen, dass es sich um unternehmensbezogene Ziele handelte, da gerade Beschäftigte auf höheren Hierarchieebenen auf die Erreichung solcher Ziele Einfluss nehmen könnten. Andernfalls sei eine entsprechende Zielvereinbarung grundsätzlich nicht gerechtfertigt. Die Vereinbarung der Unternehmensziele sei somit so zu behandeln, als sei sie überhaupt nicht erfolgt, und dem Arbeitnehmer stehe eine variable Vergütung zu, bei der eine diesbezügliche Zielerreichung von 100 Prozent berücksichtigt ist.
VAA-Praxistipp
In seiner Rechtsprechung hat das BAG bereits entschieden, dass eine nachträgliche Zielvereinbarung nach Ablauf des maßgeblichen Zeitraums nicht möglich ist. Offengelassen hat das BAG bisher, was gilt, wenn der Arbeitgeber zu einer Zielvorgabe verpflichtet ist, diese aber nicht innerhalb der Zielperiode erfolgt, und ob die Unmöglichkeit der Zielerreichung und der dadurch begründete Schadensersatzanspruch bereits vor Ablauf der Zielperiode eintreten kann. Hier hat das LAG nun entschieden, dass jedenfalls nach Verstreichen von mehr als drei Vierteln des maßgeblichen Geschäftsjahres die Zielvorgabe für die Unternehmensziele ihre Anreizfunktion nicht mehr sinnvoll erfüllen kann und deshalb so zu behandeln ist, als sei sie überhaupt nicht erfolgt. Bei der Berechnung der Zielerreichung war deshalb von einer 100-prozentigen Erfüllung auszugehen.
Dieser Artikel ist erstmals im VAA Newsletter in der Aprilausgabe 2024 veröffentlicht worden.