Sprecherausschusskonferenz in Essen

Leitende gestalten den Wandel mit

2022 haben in den Unternehmen der Chemie- und Pharmaindustrie die Wahlen zu den Sprecherausschüssen der leitenden Angestellten stattgefunden, die für den VAA erneut sehr erfolgreich waren. Doch Zeit für ein Durchatmen nach der Wahl gibt es nicht. Denn für die neuen und wiedergewählten Sprecherausschussmitglieder geht die kontinuierliche und gründliche Arbeit in den Gremien weiter. Welche Rolle spielen Sprecherausschüsse für die Begleitung und Umsetzung der Transformation in den Unternehmen? Wie können sie ihre Mitwirkungsrechte sinnvoll einsetzen? Kann es helfen, wenn sich Vertreter der Sprecherausschüsse regelmäßig mit denen der Betriebsräte austauschen, um damit ihren Platz im System der deutschen Mitbestimmung weiter zu festigen und noch effektiver für die Belange der Leitenden einzutreten? Mitte September auf der Sprecherausschusskonferenz des VAA in Essen gab es Antworten auf diese Fragen. Teilgenommen an der ersten Konferenz in Präsenz seit der Coronapause haben über 40 Sprecherausschussmitglieder aus verschiedenen Unternehmen der Branche.

Während in manchen Unternehmen nur ein sporadischer Austausch zwischen dem Betriebsrat, der über starke Mitbestimmungsrechte verfügt, und dem Sprecherausschuss mit seinen „weicheren“ Mitwirkungsrechten besteht, gilt der Essener Chemiekonzern Evonik als Best-Practice-Beispiel für eine gute Zusammenarbeit zwischen den beiden Arbeitnehmervertretungen. In ihrem Vortrag haben der freigestellte Evonik-Betriebsrat Martin Kubessa und der Vorsitzende des Evonik-Gesamtsprecherausschusses Dr. Thomas Sauer, zugleich Mitglied im VAA-Vorstand, den langen, mitunter steinigen Weg zur vertrauensvollen Kooperation geschildert. Durch ein möglichst gemeinsames Auftreten der Beschäftigtengruppen etwa in Verhandlungen mit dem Arbeitgeber ergeben sich zahlreiche Vorteile, die es erlauben, die Arbeitsbedingungen sowohl für tarifliche und außertarifliche als auch für leitende Angestellte zu verbessern.

Wie man Verhandlungssituationen klug und sicher meistert, hat zuvor Business Trainer Michael Fridrich erläutert. Zu den weiteren Referenten gehörten unter anderem Dr. Hubertus Porschen, der über die Rolle von Führungskräften beim Change Management sprach, und die Vorsitzende der VAA-Kommission Führung Katja Rejl. Die langjährige Führungskraft beim Darmstädter Chemie- und Pharmaunternehmen Merck ist seit März 2022 als Senior Manager bei Deloitte Consultants tätig und hat auf der Konferenz im Essener Ruhrturm die Ergebnisse der Sprecherausschusswahlen in der Chemie analysiert.

„Wir als Vertreter der Sprecherausschüsse stehen auch in der Verantwortung, mit den Betriebsräten möglichst gut und konstruktiv zusammenzuarbeiten, um das Optimum für alle Beschäftigtengruppen herauszuholen.“

Dr. Rolf Peter Schulz, Führungskraft bei Celanese Chemicals Europe und Vorsitzender der VAA-Kommission Sprecherausschüsse in seiner Begrüßungsrede zur Sprecherausschusskonferenz 2022.

 

Stephan Gilow, Hauptgeschäftsführer des VAA:

„80 Prozent der Mitglieder aller Sprechausschüsse der Chemie- und Pharmaunternehmen sowie 90 Prozent der Sprecherausschussvorsitzenden sind Mitglied im VAA! Damit ist und bleibt der VAA die originäre Interessenvertretung der Führungskräfte der Branche. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die leitenden Angestellten eine Schlüsselrolle dabei spielen, die Transformation der Arbeitswelt sowohl im Sinne der Unternehmen als auch der Beschäftigten zu gestalten.“

Werksgruppenarbeit bei Shell Deutschland

Wahlerfolge durch Teamwork und Professionalität

Bei den zurückliegenden Betriebsratswahlen im Frühjahr 2022 haben die Kandidatinnen und Kandidaten des VAA in zahlreichen Unternehmen Erfolge gefeiert. Ein Ausrufezeichen hat dabei auch das Team der VAA-Liste bei Shell am Standort des Energy and Chemicals Park Rheinland bei Köln gesetzt: Die Zahl der Sitze im Betriebsrat konnte von keinem auf nunmehr vier gesteigert werden. Doch nicht nur das: Die Aktivitäten der VAA-Werksgruppe Shell Deutschland wurden innerhalb der letzten zwei Jahre auf den Prüfstand gestellt, optimiert und sind mittlerweile ein echtes Best-Practice-Beispiel für Teamwork und Effizienz.

In seiner Zeit als Werksgruppenvorsitzender bei Shell hat Michael Dusy einiges erlebt. Das VAA-Urgestein, seit 30 Jahren Mitglied im Verband, hat immer für den VAA gebrannt und wollte sich für die Entwicklung der Werksgruppe am Shell-Standort in Wesseling  einsetzen. „Doch zwischendurch wurde ich für vier Jahre in die USA entsandt. Da wurde es etwas still in der Werksgruppe.“ Ohne Dusys Engagement sind die Aktivitäten „etwas eingeschlafen“. Es sei schmerzhaft gewesen, einen „nicht unerheblichen“ Abgang an qualifizierten Mitarbeitern und Kollegen zu verkraften. Höchste Zeit also für einen Neuanfang.

„Für mich kam der Wendepunkt mit der Wahl von Jörg Cramer zum neuen Werksgruppenvorsitzenden vor zwei Jahren“, berichtet Dusy. „Mit ihm haben wir wieder an Struktur gewonnen.“ Genauso, wie es die Fach- und Führungskräfte auch in ihrer täglichen Arbeit gewohnt seien. „Die Werksgruppe hat einen ganz neuen Drive bekommen.“ Cramer ist genau wie sein Werksgruppenkollege Michael Dusy studierter Ingenieur, aber etwas jünger und zehn Jahre später zum VAA gestoßen. Er habe echten „Case for Change“ für die bessere Vertretung der AT-Angestellten am Standort gesehen.

Im ersten Coronajahr haben sich Dusy und Cramer mit dem VAA-Pensionär Siegfried Lüdtke zusammengesetzt und eine Mitgliederversammlung vorbereitet. „Mit einer neuen Geschäftsordnung und einem frischen Mandat haben wir uns an die Arbeit gemacht“, berichtet Jörg Cramer. „Wir haben uns von Grund auf neu und strategisch aufgestellt – mit einem richtigen Positionspapier.“ Wofür steht die VAA-Werksgruppe nun? Cramer antwortet blitzschnell: „Dafür, dass wir zusammen mit dem Unternehmen unseren Arbeitsplatz gestalten wollen. Dafür, dass wir als ATs und LAs wichtig für das Unternehmen sind und auch gefragt werden wollen, wenn wichtige Entscheidungen anstehen.“ Dusy ergänzt: „Wir denken langfristig und wollen die Technologie dahin entwickeln, dass wir auch noch in 20 Jahren einen Standort hier haben.“

Geht es um wichtige Entscheidungen, spielt natürlich der Betriebsrat eine Schlüsselrolle. „Wir haben zweimal mit dem Betriebsrat zu reden versucht, aber die haben uns eiskalt sitzenlassen“, erinnert sich Jörg Cramer und kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Wir sind aufgestanden und haben uns aus der Schmollecke herausgewagt. Wenn der Betriebsrat uns nicht ernst nimmt, dann greifen u wir eben selbst an.“ Die Werksgruppe hat ihr Schicksal in die eigenen Hände genommen und ein Projekt aufgesetzt, um eine wirklich effektive AT-Interessenvertretung durchzusetzen. Etwa ein Dreivierteljahr vor der Betriebsratswahl 2022 hat sich die VAA-Werksgruppe Shell Deutschland – damals noch unter ihrem alten Namen Shell SDO Rheinland Raffinerie firmierend – endgültig entschieden, mit einem Erfolgsanspruch bei der Betriebsratswahl anzutreten.

„Wir haben geeignete VAA-Mitglieder für den Listenplatz gesucht, die sich mit einem klaren Mindset zu den VAA-Werten bekannt haben“, erklärt Michael Dusy, seit 2020 Stellvertretender Werksgruppenvorsitzender, das weitere Vorgehen. Nach intensiven Diskussionen hat der Werkgruppenvorstand mit Eric Arndt einen Kandidaten für den Spitzenplatz gefunden. „Wir drei sind wie bunte Hunde hier am Standort – alle sehr bekannt“, lacht Jörg Cramer. „Aber Eric ist genau der richtige Mann für diesen Job!“

Mit dem Titel als „Zugpferd“ konnte der gelernte Elektrotechniker Arndt sehr gut leben – unter einer Bedingung: „Für mich war das Gestalten wichtig – dafür braucht man eben auch ein Team im Betriebsrat, nicht nur Einzelkämpfer.“ Zudem legt Arndt Wert darauf, dass die beiden Gewerkschaften VAA und IG BCE lernen sollten, auch miteinander zu arbeiten. „Wir haben unterschiedliche Personenkreise, die wir vertreten, aber das sind am Ende alles Arbeitnehmer, die gute Arbeitsbedingungen für sich wollen.“

Überhaupt hat Eric Arndt einen etwas untypischen Weg für ein VAA-Mitglied. „Ich habe bei Shell ursprünglich als Mechaniker angefangen und mich dann Schritt für Schritt hochgearbeitet. Was akademische Titel angeht, habe ich auch nur einen Bachelor.“ Doch Arndt ist engagiert und zielstrebig. Sein Weg führte ihn vom Personalwesen über das Change Management bis hin zum Cultural Improvement Coach. „Ich habe also sehr viele Stationen hier bei Shell erlebt, bin bekannt und habe dadurch auch meine Baseline nie verloren.“

Arndt spricht sowohl die „Operatorsprache“ des Mechanikers als auch die Sprache der Werksleitung. „Damit bin ich ein guter Vermittler zwischen zwei Gruppen, die häufig miteinander sprechen, aber sich nicht immer verstehen.“ Als ehemaliger Vertrauensmann – und Betriebsratsmitglied – aufseiten der IG BCE kennt Arndt die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Chemiegewerkschaften aus eigener Erfahrung.

Projektplan für die Betriebsratswahl

„Wir haben die Betriebsratswahl als richtiges Projekt aufgestellt und durchgeführt“, erläutert Michael Dusy die Herangehensweise der Werksgruppe für die Wahlkampagne. Neben wöchentlichen Teammeetings, in denen die Kandidaten über die ihnen zugeordneten Themen berichteten, ging es nicht zuletzt um eine professionelle Außenwirkung. „Die Hilfe durch die VAA-Geschäftsstelle war hier der Schlüssel zum Erfolg“, so Dusy. „Von Fotos über Give-aways bis zum Internetauftritt: Die Zusammenarbeit mit dem Team der Geschäftsstelle war hervorragend.“ Ein weiterer Erfolgsfaktor sei Michael Dusy zufolge auch die sogenannte Klinkenputzertabelle gewesen. „Alle unsere ATs wurden unseren Mitgliedern der VAA-Liste zugeordnet – alle wurden angesprochen.“ Eric Arndt ergänzt: „Oft waren wir die einzigen, die sich persönlich bei den Wählerinnen und Wählern gemeldet haben.“

Doch der Erfolg bei der Betriebsratswahl hat die VAA-Mitglieder bei Shell nochmals überrascht: „Wir sind mit vier von insgesamt 17 Sitzen im Betriebsrat drin und ich habe auch eine Freistellung“, so Arndt, der zusätzlich zum Stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden gewählt worden ist. Vorbildlich sei mit zwei Frauen und zwei Männern auch die Geschlechtermischung. Die VAA-Mitglieder im Betriebsrat erarbeiten sich gerade Akzeptanz und setzen ihre Positionen durch. „Wir sind nicht die Typen mit der Brechstange, sondern versuchen, konstruktiv Einfluss zu nehmen“, berichtet Arndt.

Aus der Betriebsratswahlkampagne hat sich der Werksgruppenvorsitzende Jörg Cramer als leitender Angestellter zwar herausgehalten – er hat sich dafür bei den Wahlen zum Sprecherausschuss engagiert: „Mit dem Erfolg im Sprecherausschuss und als nachrückendes Aufsichtsratsmitglied war der dreifache Wahlerfolg für den VAA wirklich komplett.“ Bei den Wahlen habe man nicht nur Köpfe abgebildet, sondern auch Inhalte. „Das war mitentscheidend für den Erfolg.“

Jörg Cramer, Michael Dusy und Eric Arndt blicken mit Stolz auf die vergangenen zwei Jahre zurück. „Wir hatten 2020 lediglich 66 Mitglieder in der Werksgruppe. Heute haben wir bereits 90“, betont Cramer. „Wir haben gezeigt: Wenn man sich besser organisiert und gemeinsam als Team auftritt, nehmen uns sowohl unsere eigenen Mitglieder als auch unsere Sozialpartner ernst.“

Dr. Isabel Neuhaus im Porträt

Aufs Herz hören und mutig sein

Erst die Mitglieder füllen einen Verband wie den VAA mit Leben. Dabei handelt es sich um Menschen mit zum Teil sehr unterschiedlichen Berufsbildern und Lebenswegen. So haben etwa 20 Prozent der VAA-Mitglieder einen ingenieurwissenschaftlichen Hintergrund. Deshalb werden im Laufe des Jahres in einer Porträtserie Ingenieurinnen und Ingenieure aus den Reihen der VAA-Mitgliedschaft vorgestellt, die sich in verschiedenen Karrierephasen befinden und etwas zu erzählen haben. Dieses Mal im Porträt: Dr. Isabel Neuhaus von der Werksgruppe BASF Ludwigshafen.

Ihr Zuhause im südhessischen Dieburg liegt 75 Kilometer entfernt von der Arbeit im BASF-Stammwerk Ludwigshafen. Die gute Stunde Fahrzeit nimmt Dr. Isabel Neuhaus aber gern in Kauf, da sie in der Region fest verwurzelt ist: geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen. Ihren Mann, der praktischerweise ebenfalls bei der BASF arbeitet, hat Neuhaus schon zu Schulzeiten kennengelernt. „Wir waren später auch im gleichen Studiengang.“ Sie haben in all diesen Jahren viel zusammen gelernt und sind durch dick und dünn gegangen. „Das schweißt zusammen. Wir spornen uns gegenseitig an.“

Seit August befindet sich die Technische Chemikerin und promovierte Ingenieurin mitten in der Einarbeitung für ihre nächste Funktion als Produktionsmanagerin in Ludwigshafen. „Man kann es auch als stellvertretende Betriebsleiterin bezeichnen“, erklärt Neuhaus. „Das ist meine erste Stelle mit echter Personalverantwortung.“ Zu ihrem Verantwortungsbereich gehören sieben Produktionsmeister plus die Schichtmitarbeiter, insgesamt etwa 70 Beschäftigte. „Es ist schon eine Umstellung nach der langen Zeit im Homeoffice“, berichtet Isabel Neuhaus. Aber mittlerweile habe sie sich in der neuen Normalität gut eingefunden. „Ich plane meine Arbeit jetzt vier Tage vor Ort im Werk und einen Tag aus dem Homeoffice.“ Ein Arbeitsmodell, das erst durch die Erfahrungen der Coronazeit im betrieblichen Umfeld möglich geworden ist.

Chemie im Blut, Technik im Blick

Über achteinhalb Jahre ist Neuhaus mittlerweile für den größten Chemiekonzern der Welt tätig. Und mit Chemie hat sie seit ihrer Kindheit zu tun, denn schon ihr Vater war Chemiker und hatte unter anderem bei DuPont und Agfa gearbeitet. „Er hat mir früh Naturwissenschaften und Technik erklärt. Als Kind habe ich zusammen mit ihm in der Werkstatt gebaut und gebastelt und wollte immer mehr darüber wissen, wie die Welt funktioniert.“ Das habe vor allem in der Schule geholfen. 

Kein Wunder, dass sie Chemie als Hauptfach im Abitur belegte. Etwas überraschender für naturwissenschaftliche Talente mag dagegen der zweite Leistungskurs anmuten: Deutsch. Warum diese Wahl? „Ich habe schon immer gern kommuniziert – und das gilt nach wie vor“, lacht Neuhaus. Für Menschen mit einer naturwissenschaftlich-technischen Ader sei dies gerade im Arbeitsleben durchaus hilfreich.

2005 hat die damalige Abiturientin mit ihrem Studium an der TU Darmstadt begonnen – und damit eine Familientradition fortgesetzt. Schließlich hatte genau dort auch ihr Vater studiert. Ihr Vertiefungsfach – Technische Chemie – lag genau an der Schnittstelle zwischen Chemie und Ingenieurwissenschaften. „So kombiniere ich das Beste aus beiden Welten.“

In der Technischen Chemie geht es nicht nur um die chemische Reaktion, sondern vor allem auch um die verfahrenstechnische Realisierung in einzelnen Prozessstufen im industriellen Maßstab – von der Vorbereitung der Einsatzstoffe bis hin zur Aufreinigung und Konfektionierung des Produktes. Klarheit bringt spätestens der Abschluss: „Da ich meine Diplom- und Doktorarbeit in Technischer Chemie abgeschlossen habe, habe ich zunächst den Grad der Diplom-Ingenieurin und später den der Doktor-Ingenieurin Chemie erlangt.“ Isabel Neuhaus hat ihr Studium 2010 mit dem letzten Diplomstudiengang abgeschlossen – seitdem gibt es wegen der Umstellung aufs Bolognasystem nur noch Bachelor- und Masterabschlüsse.

Hohe Hürden im ersten Semester

Im Rückblick war für Isabel Neuhaus das erste Semester das herausforderndste: „Die Abbrecherquote nach dem ersten Semester lag bei 50 Prozent.“ Wer das überstand, schaffte es meist bis zum Abschluss. „Wenn man von der Schule kommt, hat man keine Ahnung, wie so ein Labor funktioniert. Man wird also direkt hereingeschmissen ins Geschehen – das fand ich sehr herausfordernd.“ Auch mit Niederlagen umzugehen, war zu Beginn schwierig für die Erstsemesterin. Für sie sei es damals zusätzlich privat eine harte Zeit gewesen: „Mein Vater lag im Sterben, aber ich habe mich – auch für ihn – durchgekämpft und es geschafft.“

Durchs Studium ist die Südhessin in der Regelstudienzeit gekommen, genau, wie sie es geplant hatte. „Praktika außerhalb der Uni habe ich nicht absolviert. Vielmehr habe ich in meiner Zeit an der TU Darmstadt eng mit mehreren Unternehmen der chemischen Industrie im Rahmen von Projektkooperationen zusammengearbeitet.“ Hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses sei es vom ersten Semester an ziemlich ausgewogen gewesen, erinnert sich Isabel Neuhaus. „Zumindest gilt dies für die Studierendenseite. Bei den Profs und Dozenten war es anders – am Anfang hatten wir nur eine Professorin und über 80 Prozent Männer bei den Assistenten.“ Im Laufe ihres Studiums habe sie aber auch dort immer mehr Frauen gesehen.

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus der Studienzeit? „Fleiß ist nicht alles“, so die heutige BASF-Produktionsmanagerin. „Praktische Erfahrungen kann man nicht theoretisch erlernen.“ Die harten Lernerfahrungen gehörten einfach zum Studium dazu. „Immerhin besteht es ja zu rund 50 Prozent aus Praxisarbeit. Man muss lernen, Probleme zu analysieren, Fehler zu finden und zu eliminieren – und das braucht einen langen Atem.“ Das Gute daran sei: Man werde frustrationstolerant und könne früh Problemlösungsstrategien erarbeiten.

Diese Strategien haben Isabel Neuhaus während der Promotion geholfen, die sie in Kooperation mit einem thailändischen Unternehmen von 2011 bis 2014 absolviert hat. „Konkret war ich im Bereich Polyethylen tätig und habe mich mit der Barrierebeschichtung für Getränkekartons beschäftigt.“ Die Produktion war Teil ihrer Doktorarbeit, die sie mit dem Prädikat „summa cum laude“ ausgezeichnet abgeschlossen hat. „Ich habe ein chemisch-technisches Modell zur Optimierung der Produkteigenschaften entwickelt. Dabei habe ich auch die Mitarbeiter geschult und die Anlage in Thailand besucht.“

Vom Arbeitskreis zum Jobangebot

Nahtlos hat sich dann der Übergang ins „echte“ Berufsleben gestaltet. Denn noch während Isabel Neuhaus ihre Diplomarbeit geschrieben hat, gehörte sie zu einem Arbeitskreis, der eng mit Produzenten von Polyethylen zusammengearbeitet hat. „Da habe ich gesehen, wie toll die Zusammenarbeit zwischen der Uni und der Industrie lief.“ Auch zwischen dem Arbeitskreis selbst und dem Ludwigshafener Weltkonzern BASF bestand eine Kooperation: „Es war eine richtig eingeschworene Polymergemeinschaft. Ich war auf Tagungen und habe Vorträge gehalten.“ Da war es keine Überraschung, dass später während der Promotion Vertreter der BASF selbst auf sie zugekommen sind und ihr ein Angebot unterbreitet haben. 

Zunächst hat sich Isabel Neuhaus gemeinsam mit ihrem Mann auf dieselbe Stelle beworben. „Das war kein Problem für uns – eher im Gegenteil. Aber am Ende gab es für mich doch noch eine andere Option, und zwar als Entwicklungsingenieurin in der Sicherheitstechnik.“ In ihrem ersten Job in Ludwigshafen hat sich die promovierte Technische Chemikerin um Untersuchungen zur Sicherheit von Einsatzstoffen, Produkten und chemischen Reaktionen gekümmert. 

Vier Jahre später hat Neuhaus von einem ehemaligen Kollegen aus der Sicherheitstechnik erfahren, dass seine Stelle als Senior Project Operations Manager frei werde. Dort hat sie dann sicherheitstechnische Projekte für zwei Produktionsbetriebe betreut, was auch die Auslegung von neuen Anlagenteilen beinhaltete. „Fürs normale Tagesgeschäft war ich jedoch nicht verantwortlich. Es war vielmehr eine Schnittstelle zwischen Produktion, Technologie, Planung und auch Marketing.“ Da sie nun sehr oft in Kontakt zu unterschiedlichen Produktionsstätten stand, hat sie ihre „Chemiebrille“ immer häufiger abgesetzt. „Es ging darum, was die Anlagen wirklich brauchen, um zu laufen, und nicht darum, was auf dem Papier optimal wäre.“ Es war also eine klassische ingenieurwissenschaftliche Aufgabe, die sie gemeinsam mit dem Projektteam stemmte.

Nach einer Umstrukturierung in der Abteilung hat Isabel Neuhaus als Prozessmanagerin für globale Technologie gearbeitet und globale Sicherheitskonzepte zur Harmonisierung der Produktion an mehreren Standorten entwickelt. Heute, in ihrer neuen Funktion als Produktionsmanagerin mit Führungsverantwortung, kann sie sich sehr gut vorstellen, sich im Management weiterzuentwickeln: „Dies ist genau die richtige Stelle, um mich zu kalibrieren. Kann ich Führung? Wie gehe ich mit Konflikten und Personalverantwortung um?“ Die Antwort braucht Neuhaus nicht zu geben, man sieht es ihr an: Diese Herausforderung nimmt sie motiviert und voller Tatendrang an.

Wer mit Chemie zu tun hat und in der Branche arbeitet, kennt natürlich auch die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh). Dort ist Isabel Neuhaus seit ihrer Studienzeit Mitglied: „2007 bin ich bei der GDCh eingestiegen – direkt als VAA-Doppelmitglied.“ Sie war unter anderem im JungChemikerForum (JCF) der GDCh aktiv und auch JCF-Sprecherin in Darmstadt. „Wir haben Vorträge für die Studierenden angeboten, zum Beispiel über Molekularküche oder über interessante Nobelpreisträgergeschichten, um Begeisterung für die Chemie zu wecken.“ Schon im Studium war also klar: Isabel Neuhaus ist eine Frau, die sich gern engagiert und mit Herzblut bei der Sache ist.

Bürobekanntschaft mit Folgen

Dies hat sich dann auch bei der BASF fortgesetzt. „Als ich bei der BASF eingestiegen bin, saß ich mit Dr. Günther Achhammer in einem Büro.“ Achhammer ist der langjährige Vorsitzende der VAA-Werksgruppe BASF Ludwigshafen. „Er hat mich auf die Kommission Diversity aufmerksam gemacht, die es damals gab und bei der ich auch sofort mitgemacht habe.“ Gemeinsam mit der Beiersdorf-Aufsichtsrätin Prof. Manuela Rousseau und dem heutigen VAA-Vorstandsmitglied Dr. Monika Brink hat Neuhaus auch zur Gründung des Netzwerks „VAA connect“ beigetragen.

Doch nicht nur beim VAA ist Neuhaus ein aktives Mitglied: Beim High-Potential-Netzwerk für Frauen im MINT-Bereich Femtec.Alumnae (FTA) ist die begeisterte Ehrenamtlerin seit vielen Jahren dabei. „Die TU Darmstadt ist ein Partner der Femtec GmbH“, erläutert Neuhaus den Hintergrund. „Femtec wiederum bietet sehr gute Stipendienprogramme für Frauen zum Careerbuilding an.“ Dazu gehören beispielsweise Softskilltrainings, Unternehmensplanspiele, Networkingveranstaltungen und Exkursionen zu Unternehmen aus unterschiedlichen Industriebranchen. „Ich habe mich im Hauptstudium 2007 beworben und bin auch durch das Assessment Center gekommen.“ Was keine Selbstverständlichkeit ist, da nur 50 junge Frauen pro Jahr aufgenommen werden. „Bei mir hat’s geklappt und nach zwei Jahren war ich dann fertig mit dem Programm.“

Immer noch in der Hochschulzeit ist Isabel Neuhaus dem FTA beigetreten. „Früher konnten dort wirklich nur Frauen eintreten, die das Femtec-Stipendienprogramm durchlaufen haben. Jetzt haben wir uns geöffnet und man kann sich bewerben, auch ohne Stipendiatin zu sein.“ Rund 90 Prozent der FTA-Mitglieder stammen aber nach wie vor aus dem „Alumnae-Pool“. Neuhaus hat schließlich – erneut gemeinsam mit ihrer „bewährten Kollegin aus dem VAA-Netzwerk“ Manuela Rousseau – den Anstoß für eine Kooperation zwischen FTA und VAA gegeben, die seit dem Frühjahr 2021 besteht. So können auch FTA-Mitglieder, die nicht in der Chemiebranche arbeiten, von einer vergünstigten VAA-Mitgliedschaft und den Leistungen wie dem umfangreichen Juristischen Service profitieren. Umgekehrt können natürlich auch VAA-Mitglieder – egal welchen Geschlechts – dem FTA als Fördermitglied beitreten.

Vorbildrolle im FTA-Vorstand

Seit Oktober 2021 ist Isabel Neuhaus zudem Mitglied im vierköpfigen FTA-Vorstand. „Unser Gremium ist gleichberechtigt und jede von uns hat ihr Ressort, das sie bearbeitet.“ Zurzeit kommen da schon rund 15 Stunden pro Woche an ehrenamtlicher Arbeit zusammen. Zeit, die Neuhaus jedoch sehr gern aufbringt. „Das Gute ist, dass man im Ehrenamt immer selbst entscheiden kann, wie viel Zeit man für welche Themen investieren möchte. Ich engagiere mich, weil mir die Sache am Herzen liegt.“ Wer mit Isabel Neuhaus spricht, merkt sofort, dass ihr sowohl ihre Arbeit als auch ihr ehrenamtliches Engagement wirklich Spaß machen. „Es gibt viel zu tun. Ich selbst halte meine Motivation hoch und versuche, andere zu motivieren.“ Und das lohne sich: „Man lernt in der Funktion weiter, ist Vorbild und Vermittlerin zugleich.“

Blickt die junge BASF-Führungskraft zurück auf ihren bisherigen Ausbildungs- und Berufsweg, hat sie für sich bereits einige wichtige Erkenntnisse fürs Leben gewonnen: „Man muss auf sein Herz hören, aber auch mutig sein. Manchmal zweifelt der Kopf, aber das Probieren lohnt sich immer.“ Und selbst wenn zunächst der „falsche“ Weg eingeschlagen werde, gewinne man an Erfahrung und finde dadurch zum „richtigen“ Weg zurück.

Erfahrungen hat Isabel Neuhaus reichlich gesammelt. „Echte“ Fehler hat sie dabei zum Glück nicht gemacht. Sie ist rundum glücklich mit ihrer Aufgabe und sieht sich zur richtigen Zeit am richtigen Platz: „Ohne Chemie und Technologie – und die Industrie dahinter – können wir die Herausforderungen der Zukunft nicht meistern. Man ist mit seinen Ideen wirklich am Hebel, die Welt ein Stückchen besser, sicherer und zukunftsfähiger zu machen.“