BAG stärkt Prinzip der Lohngleichheit zwischen Frauen und Männern

06.04.2023 Kategorie:  Urteile und Recht

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Frauen haben Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit, wenn der Arbeitgeber männlichen Kollegen aufgrund des Geschlechts ein höheres Entgelt zahlt. Dies hat das Bundesarbeitsgericht entschieden.

An diesem Anspruch ändert sich auch nichts, wenn der männliche Kollege ein höheres Entgelt fordert und der Arbeitgeber dieser Forderung nachgibt. Im konkreten Fall war eine Arbeitnehmerin bei ihrem Arbeitgeber als Außendienstmitarbeiterin im Vertrieb beschäftigt. Ihr einzelvertraglich vereinbartes Grundentgelt betrug anfangs 3.500 Euro. Ab dem 1. August 2018 richtete sich ihre Vergütung nach einem Haustarifvertrag, der unter anderem die Einführung eines neuen Eingruppierungssystems regelte. Die für die Tätigkeit der Arbeitnehmerin maßgebliche Entgeltgruppe des Haustarifvertrags sah ein Grundentgelt in Höhe von 4.140 Euro vor. Der Haustarifvertrag enthielt eine Deckelungsregelung, nach der bei einer Überschreitung des bisherigen tariflichen Entgeltes durch das neue tarifliche Grundentgelt die Anpassung in den Jahren 2018 bis 2020 auf 120 Euro begrenzt wurde. In Anwendung dieser Bestimmung zahlte der Arbeitgeber der Arbeitnehmerin ab dem 1. August 2018 ein Grundentgelt in Höhe von 3.620 Euro, das in jährlichen Schritten weiter angehoben werden sollte.

Neben der Arbeitnehmerin waren als Außendienstmitarbeiter im Vertrieb des Unternehmens zwei männliche Arbeitnehmer beschäftigt, einer davon seit dem 1. Januar 2017. Der Arbeitgeber hatte auch diesem Arbeitnehmer ein Grundentgelt in Höhe 3.500 Euro angeboten, was dieser jedoch ablehnte. Er verlangte für die Zeit bis zum Einsetzen einer zusätzlichen leistungsabhängigen Vergütung am 1. November 2017 ein höheres Grundentgelt in Höhe von 4.500 Euro. Der Arbeitgeber gab dieser Forderung nach. Nachdem der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer in der Zeit von November 2017 bis Juni 2018 ein Grundentgelt in Höhe von 3.500 Euro gezahlt hatte, vereinbarte er mit diesem ab dem 1. Juli 2018 eine Erhöhung des Grundentgelts auf 4.000 Euro. Zur Begründung berief sich der Arbeitgeber unter anderem darauf, dass der Arbeitnehmer einer ausgeschiedenen, besser vergüteten Vertriebsmitarbeiterin nachgefolgt sei. Ab dem 1. August 2018 zahlte das Unternehmen dem männlichen Arbeitnehmer ein tarifvertragliches Grundentgelt nach derselben Entgeltgruppe wie der Arbeitnehmerin, das sich in Anwendung der Deckelungsregelung des Haustarifvertrags auf 4.120 Euro belief.

Die Arbeitnehmerin vertrat die Auffassung, das Unternehmen müsse ihr ein ebenso hohes Grundentgelt zahlen wie ihrem fast zeitgleich eingestellten männlichen Kollegen, weil sie die gleiche Arbeit verrichte. Sie klagte vor dem Arbeitsgericht auf die Zahlung rückständiger Vergütung für die Zeit von März bis Oktober 2017 in Höhe von monatlich 1.000 Euro brutto und von 500 Euro monatlich für die Zeit von Juli 2018 bis Juli 2019. Da das Unternehmen sie beim Entgelt aufgrund des Geschlechts benachteiligt habe, forderte sie zudem die Zahlung einer angemessenen Entschädigung in Höhe von mindestens 6.000 Euro. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht wiesen die Klage ab.

Die Revision der Arbeitnehmerin beim Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte dagegen Erfolg (Urteil vom 16. Februar 2023, Aktenzeichen: 8 AZR 450/21). Das BAG entschied, dass der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin in der Zeit von März bis Oktober 2017 sowie im Juli 2018 aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt hat, weil er ihr ein niedrigeres Grundentgelt zahlte als dem männlichen Kollegen, obwohl beide die gleiche Arbeit verrichteten. Die Arbeitnehmerin habe aufgrund der gleichwertigen Tätigkeit nach Artikel 157 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union sowie § 3 Absatz 1 und § 7 des Entgelttransparenzgesetzes Anspruch auf das gleiche Grundentgelt wie ihr männlicher Kollege.

Der Umstand, dass die Arbeitnehmerin für die gleiche Arbeit ein niedrigeres Grundentgelt erhielt als ihr männlicher Kollege, begründe nach § 22 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) die Vermutung einer die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts. Dem Arbeitgeber sei es nicht gelungen, diese Vermutung zu widerlegen. Insbesondere könne er sich für den Zeitraum von März bis Oktober 2017 nicht darauf berufen, das höhere Grundentgelt des männlichen Kollegen beruhe lediglich auf dem Umstand, dass dieser ein höheres Entgelt ausgehandelt habe. Für den Monat Juli 2018 kann das Unternehmen die Vermutung der Entgeltbenachteiligung aufgrund des Geschlechts laut BAG zudem nicht mit der Begründung widerlegen, der Arbeitnehmer sei einer besser vergüteten ausgeschiedenen Arbeitnehmerin nachgefolgt.

Für den Zeitraum ab dem 1. August 2018 ergibt sich laut Urteil der höhere Entgeltanspruch der Arbeitnehmerin bereits aus dem Tarifvertrag. Entgegen der Auffassung des Unternehmens findet die Deckelungsregelung des Haustarifvertrag auf die Arbeitnehmerin keine Anwendung, weil diese zuvor kein tarifliches, sondern ein einzelvertraglich vereinbartes Entgelt erhalten hatte. Das BAG sprach der Arbeitnehmerin zudem eine Entschädigung wegen einer Benachteiligung aufgrund des Geschlechts in Höhe von 2.000 Euro zu.

VAA-Praxistipp: Mit seinem Urteil hat das BAG das Prinzip der Lohngleichheit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gestärkt und klargestellt, dass allein das Verhandlungsgeschick von Beschäftigten keine geschlechtsbezogene Ungleichbehandlung rechtfertigt.

Dieser Artikel ist erstmals im VAA Magazin in der Aprilausgabe 2023 veröffentlicht worden.

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