Berufseinstieg in Chemie und Pharma
Gute Ausbildung schafft gute Aussichten
Von Timur Slapke und Simone Leuschner
Zurzeit befindet sich der Industriestandort Deutschland in einer schweren Krise. Während der Verband der Chemischen Industrie für seine Branche bereits seit einigen Jahren mahnt, warnt und Reformen fordert, ist zuletzt mit dem bröckelnden Automobilbereich ein weiterer Schlüsselsektor zurück in den medialen „Alarmfokus“ gerückt. Schlechte Zeiten also für Absolventinnen und Absolventen, um hierzulande eine Karriere in der Industrie zu starten? Nicht ganz. Eine differenziertere Betrachtung lohnt sich. Denn die Chancen auf einen erfolgreichen Berufseinstieg beispielsweise in den Chemie- und Pharmaunternehmen stehen immer noch sehr gut – und bieten nach wie vor eine langfristige Beschäftigungsperspektive, gerade für hochqualifizierte junge Menschen.
Wer sich in den letzten, von Corona, Krieg und Krisen geprägten Jahren allein aufs Bauchgefühl verlassen hat, ist oft Gefahr gelaufen, die Zuversicht zu verlieren. Das gilt nicht zuletzt für die junge Generation, die jetzt in den Arbeitsmarkt eintritt, um die Babyboomer abzulösen. Bietet dieser Markt überhaupt noch Chancen? Abseits des allgegenwärtigen politischen Jammertals gibt es langfristige Trends, die dafürsprechen. So werden infolge des demografischen Wandels bis 2027 voraussichtlich jährlich rund 283.000 Beschäftigte mehr in Rente gehen als nachrücken, berichtet das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in seiner aktuellen „IW-Arbeitsmarktfortschreibung 2027“. Auch wenn die Fachkräftelücke 2023 aufgrund der schwachen Konjunktur auf 573.000 im Jahresdurchschnitt leicht zurückging, bleibt der der Fachkräftemangel auf einem sehr hohen Niveau. Eine deutliche Entspannung am Arbeitsmarkt sei laut IW derzeit nicht in Sicht.
Wie sehen die Jobs aus, die in Zukunft gefragt sein werden? Sie sind wissensintensiv und erfordern Spezialisierung, Kreativität und analytische Fähigkeiten, hat das Beratungsunternehmen Deloitte noch im ersten Coronajahr 2020 in seiner Analyse „Die Jobs der Zukunft. Berufswelt bis 2035 – 5 Trends“ gezeigt. Sie weisen demnach einen fünfzigprozentigen Anteil von Berufen mit akademischen oder ähnlichen Qualifikationen auf und verfügen somit über einen dreimal höheren Akademikeranteil als die Berufe mit sinkender Nachfrage und erhöhter Automatisierbarkeit. Vor allem der Anteil an Berufen, die mindestens ein vierjähriges Studium voraussetzen, betrage bei den „Jobs der Zukunft“ ein Drittel und liegt um das Fünffache höher als bei den anderen Berufen. Eine Berufsgruppe, die diesen Anstieg sinnbildlich verkörpere, sei die der MINT-Experten, deren Anzahl sich bis 2035 um 16 Prozent erhöhen soll.
Wenn Schule Eindruck hinterlässt
Für Naturwissenschaften im Allgemeinen und die Chemie im Besonderen hat sich Dr. Anna Rustler schon in der Schule interessiert: „Im Gymnasium hatte ich zwei Chemielehrerinnen damals in der achten Klasse, die waren wirklich super begeisternd.“ Deswegen fand die Organische Chemikerin, die seit Juni 2024 als Trainee im Cross Divisional Development Program Innovation bei der Altana AG (Eigenschreibweise: ALTANA AG) in Wesel tätig ist, Chemie schon damals „cool“. Auch in der Oberstufe hatte sie einen Chemielehrer, der dem Klischee des „typischen Wissenschaftlers“ entsprach. „Der war noch von der alten Schule, aber einfach ein toller Kerl. Der hat einfach für die Chemie gebrannt.“
Bei der Vorarbeit lag die Wahl des Studienfachs für Rustler natürlich auf der Hand. Mit Enthusiasmus hat sie ihr Chemiestudium in Regensburg begonnen, wobei es am Anfang nicht einfach gewesen sei: „Es wird einfach extrem viel Wissen in extrem kurzer Zeit vermittelt, da bin ich ein bisschen an meine Grenzen gestoßen, weil ich in der Schule eigentlich nie etwas auswendig lernen musste.“ An der Uni ist das Leben eben anders: „Man ist vormittags in den Vorlesungen und nachmittags im Praktikum und hat nicht viel Zeit für andere Dinge.“ Gut, dass Anna Rustler als Ausgleich im Chor gesungen hat. „Das sage ich den angehenden Studierenden immer: Sucht Euch irgendein Hobby, das nichts mit Chemie zu tun hat. Geht da einfach hin und macht das einmal in der Woche.“
Für den Master im Anschluss an den Bachelorabschluss hatte Rustler ein sehr diverses Profil belegt: Neben Organischer Chemie kamen noch Physikalische Chemie und Biologie hinzu. „Außerdem hatte ich als Aufbaumodul auf der Physikalischen Chemie noch die Nachhaltige Chemie.“ In der Physikalischen Chemie konnte sie mehr in Richtung der Anwendung gehen: „Ich hatte Kolloide und Formulierung, weil man die im realen Leben anwendet. Und zur Biologie gehörten die Erstsemestervorlesungen.“ Es sei gut gewesen, um einen Überblick zu erhalten.
Dieser Blick über den Tellerrand hat Anna Rustler auch in der Promotionszeit geholfen. „Eine Promotion ist allgemein mit viel Stress verbunden. Da habe ich ein bisschen nach einem Ausgleich gesucht, der aber noch etwas mit Chemie zu tun hat.“ Deshalb hat sich die Promovendin im JungChemikerForum (JCF) der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) engagiert, unter anderem im Bundesvorstand. „Wenn ich Abstand von der Promotion brauchte, habe ich eben Sachen fürs JCF gemacht. Das hat sich gut ergänzt.“ Sie war auch viel unterwegs. „Ich habe mir dadurch ein riesiges Netzwerk aufgebaut und fand es toll, dass ich mich mit anderen Leuten innerhalb Deutschlands vernetzen konnte.“ So konnte Anna Rustler aus ihrer „Bubble“ in Regensburg herausgekommen. „Das ist sehr wichtig, auch über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen.“
Es hat ihr auch für die Jobsuche nicht geschadet, im JCF aktiv und auf zahlreichen Veranstaltungen vor Ort gewesen zu sein. „Wir hatten einen regelmäßigen Austausch mit der Industrie. Da lernt man einfach extrem viele Leute kennen und bekommt einen Einblick in die Arbeit von Unternehmen.“ Als es schließlich losging mit dem Bewerbungsthema, hat sich Rustler erst einmal umgeschaut, wen sie wo kannte. „Man fragt, wer jemanden kennt oder wer einen an die richtige Person vermitteln kann. Es hat auf jeden Fall sehr geholfen, diese Kontakte zu haben.“
Im Rahmen ihrer „Industrietouren“ war Rustlers JCF-Team auch mehrfach bei der Altana. „Dieses Cross-divisional Development Program Innovation – kurz: CDDPI – fand ich sehr cool. Ich kannte bereits relativ viele Menschen von der Altana.“ Sie hat sich beworben – und es hat geklappt. „Das Programm ist für mich perfekt, weil ich zweieinhalb Jahre intensive Einblicke in einem internationalen Spezialchemiekonzern sammeln kann. Dabei habe ich Stationen in allen Geschäftsbereichen der Altana AG. Und das ist für mich einfach perfekt.“
Der Bewerbungsprozess selbst habe etwas gedauert, blickt Rustler zurück, weil man mit den CTOs der Divisionen sprechen müsse. „Man sollte ja gut zur kompletten Firma passen.“ Anfang dieses Jahres hatte Anna Rustler die Zusage, bat jedoch darum, erst Mitte des Jahres einzusteigen, damit sie ihre Promotion fertigstellen konnte. „Ich habe gegenüber den Unternehmen immer klar kommuniziert, wann ich einsteigen möchte und das war auch gar kein Problem.“ Sie hatte natürlich auch Jobinterviews für andere Positionen. „Meine Erfahrung ist, dass Firmen und Kandidaten oder Kandidatinnen ein gemeinsames Einstiegsdatum finden, wenn sie voneinander überzeugt sind.“
Von Elektrokatalyse zu Glaschemie
Einen individuellen Einstieg als Kandidat hatte Dr. Patrick Wilde bei der Schott AG (Eigenschreibweise: SCHOTT AG) in Mainz. „Anfang 2022 habe ich als angestellter Wissenschaftler in der zentralen Forschungs- und Entwicklungsabteilung in der Materialentwicklung angefangen.“ Doch die konkrete Jobanbahnung war ungewöhnlich: Sie fand im Rahmen der Verleihung des Exzellenzpreises der VAA Stiftung im November 2021 in Köln statt, als ihn ein gewisser Dr. Roland Leroux angesprochen hatte. „Leroux war langjähriges Vorstandsmitglied beim VAA und Führungskraft bei Schott. Er hat Synergien zwischen meiner Forschungsarbeit und dem Themenfeld bei Schott gesehen und mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, mein Feld bewusst zu ändern.“ Für Wilde war das ein ganz bewusster Schritt. Er kommt ursprünglich aus der Elektrokatalyse und ist in einen neuen Bereich gegangen. „Ich wollte neue Materialien kennenlernen, um mein Spektrum zu erweitern.“
Wo die Reise hingehen solle, hat der Exzellenzpreisträger mit dem Unternehmen besprochen. „Das ist ein Vorteil bei einer Initiativbewerbung, denn das war es ja letztlich.“ Deswegen waren die Grenzen nicht so hart gesteckt wie bei einer Projektanstellung, die es viel häufiger gibt. „Mir hat man gesagt: Sorge Dich nicht darum, wo du eingesetzt wirst. Wir schauen erst einmal, welche Aufgaben auf dich warten, wo Du Dich besonders hervortust und was Dir besonders liegt.“ Das sei eine Flexibilität, die Wilde sehr schätzt. „Bei Schott hatte ich das große Glück, dass ich eine Vorgesetzte hatte, die sehr schnell erkannt hat, wo meine Neigungen liegen.“
Es gibt verschiedene Karrierepfade für Menschen mit Wildes Profil: einerseits das klassische Management von Forschungsgruppen, dann das klassische Projektmanagement und schließlich die klassische Wissenschaftsprojektarbeit. „Ich fülle zurzeit eine Art Hybridstellung aus zwischen Wissenschaftler und Projektmanager, ungefähr 40 zu 60 Prozent.“ Heute managt er ein recht großes Forschungs- und Entwicklungsprojekt und arbeitet als Wissenschaftler noch in anderen Projekten mit. Unter anderem geht es dabei um neue Materialien für biegsame Smartphonedisplays: „Wir entwickeln bei Schott ein ultradünnes Glas, das auch für Mobiltelefone verwendet wird, die klappbar sind. Und das ist das Materialentwicklungsprojekt dafür.“
Patrick Wilde wirkt mit sich im Reinen, ist glücklich mit seiner Aufgabe und scheint längst angekommen zu sein im Alltag seiner Industriekarriere. Das passt zu ihm, denn auch sein Studium und seine Promotion an der Ruhr-Universität Bochum hat der Chemiker zielstrebig und zügig absolviert, angereichert mit Auslandsaufenthalten in Australien und im Vereinigten Königreich. Und trotz Pandemie und Wirtschaftskrise haben aus seinem Umfeld alle Kommilitoninnen und Kommilitonen relativ zeitnah zueinander den Absprung geschafft. „Wir hatten unsere Promotion im Sommer 2020 abgelegt und sind dann auch spätestens im Frühjahr 2022 in den Job gegangen. Da sind alle sehr gut untergekommen.“ Dass jemand in die Arbeitslosigkeit gegangen wäre, sei Wilde nicht bekannt. An dieser Stelle erwähnt er aber auch seinen Doktorvater, der seiner Gruppe Sicherheit gegeben habe: „Er hat gesagt: ‚Ihr müsst Euch keine Sorgen machen, Ihr macht so lange hier den Postdoc bei mir, bis Ihr etwas gefunden habt, was euch gefällt!‘ Ich bin ihm dafür sehr dankbar, dass er uns diesen Druck von den Schultern genommen hat.“
Für Forschungsnachwuchs ist gesorgt
An Popularität scheint das Chemiestudium, das auch Patrick Wilde und Anna Rustler hinter sich haben, nicht eingebüßt zu haben: Im Jahr 2023 haben insgesamt 8.248 Personen einen Chemiestudiengang in Deutschland begonnen und damit 1,4 Prozent mehr als im Vorjahr. Das zeigt die im Juli 2024 veröffentlichte jährliche Statistik für Chemiestudiengänge der GDCh. Die Anzahl der derjenigen, die einen Chemiestudiengang mit einem Master oder dem Ersten Staatsexamen abgeschlossen haben, beläuft sich auf dabei auf 3.483. Auch die Zahl der Promotionen stieg nach einem Einbruch im Vorjahr von 1.883 wieder auf 2.040. Und von knapp 50 Prozent der promovierten Absolventinnen und Absolventen ist der erste Schritt ins Berufsleben bekannt. So traten nach Daten der Hochschulen etwa 42,4 Prozent eine Stelle in der chemisch-pharmazeutischen Industrie an – also genau dort, wo Rustler und Wilde ihre noch jungen Karrierewege beschreiten.
Als forschungsaktive Hochschule kooperiert auch die Technische Hochschule (TH) Köln national und international mit Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen. Der Ausbau der Zusammenarbeit mit Unternehmen und Institutionen ist ein weiteres Ziel. Die Beteiligung am BMBF-Förderprogramm „FIT – Förderung internationaler Talente“ und am DAAD-Projekt „Ready, Study, Go“ soll verstärkt Studentinnen und Studenten der MINT-Fächer mit Unternehmen und wirtschaftsnahen Einrichtungen zusammenbringen. „Wir sind als Hochschule fest in der Region verankert und empfinden daher auch eine besondere Verantwortung, den regionalen, aber auch den gesamtdeutschen Arbeitsmarkt zu stärken“, betont der Leiter des Projekts „Ready, Study, Go“ Stephan Herma vom Hochschulreferat Internationale Angelegenheiten der TH Köln. „Mit unserem Vorhaben fokussieren wir uns auf internationale Studierende, die in den mathematisch-ingenieurwissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Studiengängen an unserer Hochschule einen Abschluss anstreben. Wir möchten sie vom ersten Ankommen bis zum Jobangebot begleiten.“
Anfang der Nullerjahre war ein praxisnahes Studium wie an der TH Köln noch nicht so verbreitet wie heute. Aber schon damals gab es duale Studiengänge und Ausbildungen, die den Schülerinnen und Schülern einen viel stärkeren Anwendungsbezug vermittelten. Mit Freude erinnert sich Claudia Steikert an diese Zeit zurück. „Das gab es so vorher nicht und wir waren auch einer der ersten Jahrgänge, die in dieser Ausbildungsrichtung angefangen hatten.“ Die heutige Managerin bei der Beiersdorf AG in Hamburg gehörte zum ersten Jahrgang, der den Abschluss gemacht hatte – parallel zum Abitur. „Wir hatten Kooperationen mit anderen Hochschulen und waren dann in Breda an einer biotechnologischen Schule und durften Versuche und Analysen durchführen.“ Mit diesem Rüstzeug hat Steikert anschließend Ingenieurwissenschaften mit den Schwerpunkten Lebensmitteltechnologie und Pharmatechnik studiert.
Ihren damaligen akademischen Weg würde die Stellvertretende Vorsitzende der VAA-Community bei Beiersdorf uneingeschränkt weiterempfehlen. „An der normalen Universität wäre mir das praktische Element etwas zu kurz gekommen.“ Steikert ist häufig auf Hochschulveranstaltungen des VAA dabei und kennt die Sorgen und Nöte des heutigen akademischen Nachwuchses. „Die Theorie ist natürlich wichtig, aber die Praxis sollte man genauso erfahren.“ Es falle einem auch leichter, das Gelernte sofort anzuwenden. „Für mich persönlich war es ein effektiveres Lernen.“
Pharmatechnik als Sprungbrett zur Kosmetik
Noch während des Studiums, vor rund 20 Jahren, ist Claudia Steikert zu Beiersdorf gegangen. „Mit dem Studiengang selbst ist das nicht in Stein gemeißelt. Ich hätte mich auch in der Lebensmittelindustrie bewerben können, weil die Herstellungsprozesse trotzdem den sehr strengen Pharmarichtlinien entsprechen.“ Für sie war Pharmatechnik eine Absicherung, um sich wirklich breit aufzustellen. „Warum ich dann tatsächlich zur Kosmetik gegangen bin? Ich fand die Technologie dahinter gut.“ Denn auch da sei man mit Wirkstoffen und komplexen Herstellungsprozessen unterwegs. „Die Frage nach der Wirksamkeit und Verträglichkeit für so ein Produkt – ob es jetzt in der Apotheke oder im Supermarkt steht –, war für mich spannend. Die Herausforderung, gute wirksame Produkte in der Kosmetik herzustellen, hat mich in dem Moment einfach gereizt.“
Bei Beiersdorf hat Claudia Steikert eine „klassische“ berufliche Entwicklung eingeschlagen: Schritt für Schritt kamen neue Aufgaben hinzu und wurden bestehende Aufgabenbereiche erweitert. Heute befasst sie sich als Global Category Manager Procurement Development unter anderem mit dem Supplier Management. Sie hat mit dem Lieferantengeschäft sowie externen Kooperationspartnern zu tun. „Dazu gehören auch das gesamte Contracting und das Servicelevel dahinter.“ Dies zu managen und unter Beiersdorf-Compliance-Gesichtspunkten zu bewerten und zu führen, sei ebenso Teil ihres Jobs wie Preis- und Serviceverhandlungen. „Des Weiteren beschäftige ich mich mit dem Purchase-to-pay-Prozess.“ Zu ihrem Bereich gehören die Kategorien HR Development und R&D Services: „Wir unterstützen HR Corporate Learning und D&I in der Zusammenarbeit mit Externen, in Bezug auf Trainings, Coachings und Developement Programs vom Sourcing über Contracting bis hin zur Beauftragung.“ Zudem ist sie zuständig für die Kategorie R&D Services, die inhaltlich für die Zusammenarbeit mit externen Instituten steht, in denen Beiersdorf Studien und Analysen für Kosmetik und Medizinprodukte in Bezug auf Verträglichkeit und Wirksamkeit durchführt. Auch der Einkauf von Laborausrüstung fällt in ihr vielfältiges Aufgabengebiet.
Zusätzlich zu ihrem ausfüllenden Joballtag ist Steikert seit 2022 ordentliches Mitglied im Betriebsrat des Unternehmens. Wie bekommt die dreifache Mutter das alles unter einen Hut? „Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist bei Beiersdorf wirklich ausgezeichnet.“ Und bereits vor 15 Jahren ist Claudia Steikert das erste Mal für ein Jahr in Elternzeit gegangen – darauffolgend noch zwei weitere Male. „Ich hatte die Möglichkeit, mich nach jeder Rückkehr nach der Elternzeit weiterzuentwickeln und neue spannende, herausfordernde Aufgaben anzunehmen.“ Kinder und Karriere haben schon damals funktioniert. „Es war damals schon klasse, zu erleben, dass man in seiner Entwicklung unterstützt und gefördert wurde, auch in Teilzeit, auch mit Kindern. Aber natürlich gehört auch Mut zu einem Wechsel dazu, denn jeder Change beginnt bei einem selbst.“
Beiersdorf war in Sachen Familienfreundlichkeit sehr früh „dabei“, so Claudia Steikert. „Wir werden von Jahr zu Jahr immer stärker und besser in dem Thema Vereinbarkeit von Job und Familie.“ Den Mitarbeitenden werde viel Unterstützung geboten, was sie als einen gegenseitigen Mehrwert empfindet. „Menschen erfahren Erfüllung durch den Job mit dem Job, aber auch durch die Familie mit der Familie. Beides ist wichtig.“ Gerade junge Menschen, die vor dem Einstieg ins Berufsleben stehen, setzen dies bei ihren potenziellen Arbeitgebern voraus – und können es sich erlauben. „Die Zeiten sind für Absolventen trotz Krise immer noch sehr gut“, weiß Steikert zu berichten. Vor Kurzem hat sie ihren damaligen Verfahrenstechnikprofessor nach über 20 Jahren getroffen und sich darüber ausgetauscht. „Das Verhältnis von Absolventen zu offenen Stellen in der Industrie ist nach wie vor super. Natürlich gucken die Unternehmen sehr stark darauf, wer ins Unternehmen passt, sowohl bezogen auf die Fähigkeiten als auch den ‚Cultural Fit‘.“ Denn jedes Unternehmen will bestens ausgebildete Arbeitskräfte. Die habe man in Deutschland aber auch: „Die jungen Menschen können sich die Jobs fast aussuchen, wenn sie etwas dafür tun.“
Weniger Wechsel bei guter Führung
Bestätigung dafür ist die hohe Wechselbereitschaft: Der EY-Jobstudie aus dem Jahr 2023 suchen mehr als ein Viertel der Beschäftigten aktiv oder gelegentlich nach einer neuen Stelle. Weitere 37 Prozent geben an, interessiert zu sein, wenn sich etwas Passendes ergebe. Vor allem in der jungen Generation spiele das Führungsverhalten der Vorgesetzten eine wichtige Rolle. „Junge Menschen, die am Anfang ihrer Karriere stehen oder erst einige Jahre gearbeitet haben, ergreifen ganz offensichtlich schneller drastische Maßnahmen als die Generation der sogenannten Babyboomer“, wird das Mitglied der Geschäftsleitung bei EY Jan-Rainer Hinz in einer Pressemitteilung zitiert. „Viele von ihnen kündigen, wenn ihnen der Führungsstil und die Unternehmenskultur im Arbeitsalltag nicht passen.“ Den Grund nennt der Leiter Personal und Arbeitsdirektor ebenfalls: „Sie können sich dies aktuell erlauben, weil der Arbeitsmarkt es hergibt und viele Unternehmen weiter vor allem nach gut ausgebildeten Fachkräften suchen.“
Eine gute Ausbildung, ein Studiengang im MINT-Bereich, dazu als Sahnehäubchen möglicherweise eine Promotion: Dies sind die besten Zutaten für einen gelungenen Berufsstart und eine erfolgreiche Karriere, wie sie beispielsweise Claudia Steikert bei Beiersdorf hingelegt hat. Ihre Empfehlung lautet: „Man sollte sich genau anschauen, in welchen Bereich man eigentlich möchte. Man sollte wissen, wie viele Entwicklungsmöglichkeiten das Unternehmen bietet.“ Patrick Wilde von Schott weist außerdem auf die Bedeutung eines möglichst authentischen Auftretens hin: „Gerade wenn man von der Uni kommt, ist der erste Sprung in die Industrie ein recht hoher Sprung.“ Verunsichert zu sein und unbedingt den ersten Job „ergattern“ zu wollen, ist da kontraproduktiv. „Man sollte wissen und sagen, was man will. Unternehmen erkennen, wenn jemand wirklich für etwas arbeiten möchte.“
Doch beim Übergang vom Studium zum Beruf kommt es auch auf ein gutes Zeitmanagement an. Das ist der Ratschlag von Altana-Trainee Anna Rustler: „Leute, fangt immer frühzeitig an, Euch zu bewerben!“ Sie habe ein halbes Jahr nach der richtigen Stelle gesucht und nebenher etwas für die Promotion gemacht. „Ich habe mir bewusst die Zeit genommen, weil ich dann auch nicht diesen Druck dahinter hatte, dass ich jetzt irgendetwas annehmen muss, damit ich einen Job habe und mich finanzieren kann.“
Interview mit Prof. Matthias Hochgürtel: Vernetzung von Studium und Praxis
Prof. Matthias Hochgürtel ist Dekan der Fakultät für Angewandte Naturwissenschaften am Campus Leverkusen der Technischen Hochschule (TH) Köln. Zu den Forschungsgebieten des promovierten Chemikers gehören die Medizinische Chemie, die Entwicklung von Drug-Discovery-Technologien und die Naturstoffchemie mit dem Schwerpunkt auf marinen Naturstoffen. An der TH Köln lehrt Hochgürtel Pharmazeutische Chemie und Analytik, Drug Design sowie Organische Chemie.
VAA Magazin: Warum ist die TH Köln eine gute Adresse für Studieninteressierte im MINT-Bereich?
Hochgürtel: Die TH Köln bietet eine breite Auswahl von Studiengängen mit MINT-Bezug und hervorragende Studienbedingungen. Projektorientiertes forschendes Lernen ist ein besonderes Merkmal der akademischen Ausbildung an unserer Hochschule, etwa im Bereich der Angewandten Naturwissenschaften am Campus Leverkusen, den ich vertrete.
Wie gelingt es Ihnen, mit Unternehmen der chemischen Industrie zu kooperieren und was bedeutet dies für Ihre Studentinnen und Studenten?
Wir sind sehr gut und individuell aufgestellt in den Forschungskomplexen Green Chemistry, industrielle Synthesechemie, Materialchemie und Umweltanalytik, außerdem bei der biochemischen Verfahrenstechnik sowie der Pharmazeutischen Technologie, Pharmazeutischen Biotechnologie und Wirkstoffforschung. Darüber hinaus haben wir uns etabliert im Bereich Arzneimittelzulassung und Market Access – da bei vielen kooperierenden Firmen Geheimhaltungspflichten bestehen, ist eine öffentliche Sichtbarkeit in diesen Bereichen zum Teil nicht so gut möglich. Kooperationen zur Industrie ergeben sich also aus Forschungsprojekten – und aus diesen Kontakten entstehen naturgemäß auch Kooperationsmöglichkeiten auf anderen Ebenen, etwa für Projekt- oder Abschlussarbeiten von Studierenden.
Haben Studierende der TH Köln somit mehr Chancen auf ein praxisorientiertes Studium? Sichern sie sich auf diese Weise mögliche Erstkontakte in die chemisch-pharmazeutische Industrie?
Wir sind als Fakultät am Standort Leverkusen sehr gut vernetzt mit der chemischen Industrie vor Ort und waren lange Zeit mitten im Chempark mit allen direkten Kontaktmöglichkeiten beheimatet. Darüber hinaus pflegen wir überregionale Kontakte in die chemische und pharmazeutische Chemie und entwickeln unsere internationalen Netzwerke kontinuierlich weiter. Studierende mit Interesse an ersten Kontakten in die Industrie können auf diese Netzwerke zurückgreifen, etwa wenn sie vermittelt durch die betreuenden Professorinnen und Professoren Abschlussarbeiten in oder zusammen mit Unternehmen schreiben.
Wie lauten Ihre Tipps für einen guten Berufseinstieg in der Industrie?
Wichtig ist zuerst einmal, ein praxisorientiertes Studienfach aus dem Bereich der Chemie zu wählen. Dabei sollten die Studierenden neben ihrer fundierten fachlichen Ausbildung auf die Möglichkeit achten, durch Praktika, Praxissemester und Abschlussarbeiten Einblicke in die reale Welt der Industrietätigkeit zu gewinnen und dabei erste Netzwerke zu knüpfen. Parallel dazu ist es wichtig, sogenannte Future Skills wie zum Beispiel Teamarbeit, digitale Kompetenz und Problemlösungsfähigkeiten zu entwickeln und unter realen Bedingungen immer wieder zu erproben.
Wie wichtig ist das Thema der Gewinnung von Fachkräften?
Diese Fragestellung ist sehr aktuell und immer wieder Thema im Austausch mit unseren Kooperationspartnern aus der Praxis. Wir bieten attraktive Bachelor- und Masterstudiengänge jeweils mit den Schwerpunkten Angewandte Chemie und Pharmazeutische Chemie beziehungsweise Drug Discovery and Development an und zudem die Möglichkeit zur Promotion. Somit ermöglichen wir Berufseinstiege auf unterschiedlichen Karriereleveln – beste Voraussetzungen für Studierende und Absolventinnen und Absolventen, den Berufseinstieg nach eigenen Interessen zu gestalten.
Zahlen und Fakten
Mit 120 Millionen
Euro unterstützt der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) ein Förderprogramm, um internationalen Talenten den Weg von der Hochschule in den deutschen Arbeitsmarkt zu ebnen. Initiator ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit dem Programm „FIT – Förderung internationaler Talente zur Integration in Studium und Arbeitsmarkt“. Die Idee lautet, internationale Studentinnen und Studenten auf ihrem Ausbildungsweg mit passgenauen Angeboten zu begleiten und sie zum Studienerfolg sowie anschließend in eine Berufstätigkeit in Deutschland zu führen. Die BMBF-Fördermittel fließen bereits seit dem 1. April 2024 an 89 Hochschulprojekte und laufen bis einschließlich 2028. Der DAAD zählt Themen wie die Vergabe von Stipendien, die Förderung der Internationalisierung der Forschung in Deutschland und die Unterstützung von Entwicklungsländern beim Aufbau leistungsfähiger Hochschulen zu seinen wichtigsten Aufgaben. „Wandel durch Austausch“ beschreibt das Leitbild des DAAD, denn Austausch führe zu Verständnis zwischen Völkern und Individuen und damit zur Friedenssicherung. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse helfen, globale Herausforderungen zu bewältigen, und Kooperation tragen zu politischem und sozialem Fortschritt bei.
An sechs
Standortenauf zwölf Fakultätenin Köln, Gummersbach und Leverkusenverteilt, bietet dieTechnische Hochschule (TH) Köln aktuell 21.500 Studentinnen und Studentenrund 100 Bachelor- und Masterstudiengänge unter anderem aus den Bereichen Angewandte Naturwissenschaften, Informatik, Information und Kommunikation, Ingenieurwissenschaften sowie Umwelt und Energie an. Wissenschaftliche Themen stehen derzeit in einem besonderen Fokus: Mit dem im April 2024 gestarteten Projekt „Ready, Study, Go“ sollen Studierende der MINT-Fächer mit Unternehmen und wirtschaftsnahen Einrichtungen vernetzt werden.
Rund 3.000
Studentinnen und Studentenschließen jährlich an der TH Köln ihr praxisnahes Studium ab. Viele von ihnen haben ihre Abschlussarbeit in Kooperation mit einem Unternehmen oder einer Institution durchgeführt. Die Abschlussarbeiten werden durch wissenschaftliche Betreuung vonseiten der Lehrkräfte der TH Köln qualitätsgesichert – die Kooperationspartner sorgen für eine praxisorientierte Betreuung. Auf diese Weise profitieren alle Involvierten von der Zusammenarbeit. Die Lehrinhalte bleiben aktuell, die Praxis erlebt wissenschaftlichen Input und die Studierenden werden zu den Fachkräften von morgen ausgebildet.
Etwa 420
Professorinnen und Professoren an der TH Köln verfügen zusammen über mehr als 1.200 Personenjahre Erfahrung in Unternehmen und Institutionen. Für eine Berufung an die TH sind eine langjährige Praxiserfahrung und eine namhafte berufliche Karriere abseits des akademischen Betriebes Voraussetzung. Dies sichert den Praxisbezug von Lehre und Forschung. Häufig legt dies den Grundstein für den künftigen Wissens- und Technologietransfer zwischen Wissenschaft und externen Stakeholdern. Die Hochschule unterstützt Unternehmen und Institutionen, geeignete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für Forschungs- und Entwicklungsaufgaben, Beratungen und Dienstleistungen zu finden und innovative Projekte durchzuführen.
Mehr als 240
Promovendinnen und Promovenden forschen derzeit an der TH Köln. Die Promotionen werden am Promotionskolleg für Angewandte Forschung NRW (PK NRW) beziehungsweise in Kooperation mit Universitäten im In- und Ausland durchgeführt. Thematisch haben die Promotionen in aller Regel einen hohen Praxisbezug, weswegen die Promovierten sich sowohl für die Wirtschaft als auch für den Wissenschaftsbetrieb eignen. Eine sehr gute Grundausstattung für viele Forschungsgebiete kann die TH selbst aufweisen. Darüber hinaus werden Promotionsstellen sehr häufig über Drittmittelprojekte finanziert. Eine weitere Finanzierungmöglichkeit für eine Promotion kann außerdem über eines der 13 Begabtenförderungswerke in Deutschland beantragt werden.
Bis 2025
plant die TH Köln die Entwicklung bis zu drei neuer Forschungscluster mit besonders hoher Forschungsleistung, in denen transformative Forschung realisiert werden soll: Am neu gegründeten Forschungscluster „Circular Transformation Lab“ sind allein zehn Fakultäten beteiligt. Die Vision aller Beteiligten ist die Beschleunigung der gesellschaftlichen Transformation hin zu einer nachhaltigen, zirkulären Lebens- und Produktionsweise. Mithilfe eines fach- und sektorübergreifenden, nationalen und internationalen Netzwerks in Industrie und Forschung soll das Wissen für die Gesellschaft wirksam gemacht werden.