Interview mit Martin Bellof von chemstars.nrw

Innovationsstandort braucht mehr Start-up-Kultur

Was haben innovative Recyclingtechnologien für Textilien, Barrierebeschichtungen für Verpackungsmaterial und bakterielle Cellulose zum Ersatz von Mikroplastik in Kosmetika gemeinsam? Das alles sind Ideen, an denen Startups aus der Community von chemstars.nrw tüfteln. Zur Initiative chemstars gehören die Unternehmen Covestro, Currenta, Evonik, Henkel, Bayer und Braskem, die RAG Stiftung und der Landesverband Nordrhein-Westfalen im Verband der Chemischen Industrie (VCI NRW). Gefördert wird chemstars vom NRW-Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie. Im VAA Magazin erläutert Start-up-Experte Martin Bellof, wie wichtig es für die Zukunftsfähigkeit der Chemie ist, Start-ups zu unterstützen und neue Ideen schneller an den Markt zu bringen.

VAA Magazin: Die Initiative chemstars.nrw gibt es seit April 2021. Wie kam es dazu?

Bellof: Unter den Mitgliedern des VCI NRW gab es schon eine ganze Weile Diskussionen, warum hierzulande vergleichsweise wenige Start-ups in der Chemie entstehen. Schließlich gibt es eine fantastische Wissenschafts- und Forschungslandschaft in Deutschland – und in Nordrhein-Westfalen ganz besonders. Also hat man sich das Thema mal systematisch angeschaut. Die Gründe, das wissen wir heute, sind vielfältig.

Zum einen bereitet die akademische Ausbildung in Chemie oder Biologie bislang kaum auf eine Unternehmensgründung vor. Wir lernen regelmäßig Forscherinnen und Forscher kennen, die das eigene Fach, die Naturwissenschaft, ihre Technologien bis ins kleinste Detail verstehen und spannende Ideen haben. Diesen Personen fehlt jedoch wichtiges Know-how, weil Themen wie Scale-up, Regulatorik oder Finanzierung im Studium und der Promotion eine maximal untergeordnete Rolle spielen, wenn überhaupt.

Was ebenfalls häufig fehlt, ist Verständnis dafür, welchen Mehrwert die eigene Technologie bietet und für wen. Um hier gute Antworten zu finden, braucht es ein weitläufiges Netzwerk in der Industrie. Das haben jedoch nur die wenigsten. Insgesamt ist da schon auch nachvollziehbar, warum Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler andere Karriereoptionen in den Blick nehmen.

Mit chemstars möchten wir dem entgegenwirken und einen Beitrag dazu leisten, dass perspektivisch mehr und – wir nennen es – bessere, also professionellere, erfolgreichere Start-ups entstehen. Mit Covestro, Currenta, Evonik, Henkel, dem VCI NRW und dem Land NRW hatten wir auf dieser Mission von Beginn an extrem starke Partner.

Und da waren Sie mit ihren Erfahrungen in der Start-up-Szene der richtige Ansprechpartner.

Mir ist wichtig, mit chemstars etwas aufzubauen, das es Gründungsprojekten und Start-ups leichter macht, die nachhaltige chemische Industrie der Zukunft mitzuentwickeln. Dabei kann ich meine Erfahrung einbringen. Ich bin seit über zehn Jahren in der Start-up-Szene, in unterschiedlichen Rollen und Funktionen. Als Mitarbeiter, Gründer und Geschäftsführer eines Start-ups, das ich nicht selbst gegründet habe. Ich habe selbst erlebt, wie schwer es Gründungsteams in der chemischen Industrie haben können. Anders als in anderen Branchen sprechen wir hier über eine komplexe, hoch durchregulierte und für Außenstehende zuweilen schwer zugängliche Industrie. Ohne Know-how und ein starkes Netzwerk ist das schwierig. Umso schöner, dass ich bei chemstars nun zwischen den beiden Welten vermitteln darf, die sich so unglaublich gut ergänzen. Start-ups auf der einen Seite, mit ihren Ideen und ihrer Agilität. Und etablierte Unternehmen auf der anderen, mit ganz viel Marktverständnis, Entwicklungs- und Skalierungskompetenz und Marktzugang.

Wobei man in der Chemie natürlich schon seit mehreren Jahren davon spricht, sich für die Förderung von Start-ups einzusetzen. Es gibt beispielsweise die ChemTelligence-Initiative von ChemCologne oder auch das erfolgreiche Netzwerkevent European Chemistry Partnering. Was unterscheidet chemstars von bereits bestehenden Initiativen?

Ich finde, wir ergänzen uns gut. ChemTelligence und das European Chemistry Partnering sind wirklich tolle Initiativen mit ganz eigenem Fokus. Bei chemstars konzentrieren wir uns besonders auf den Hands-on-Support von Gründungsteams und Start-ups. Wir beraten, challengen und wo immer wir nicht weiterwissen, vernetzen wir mit Expertinnen und Experten unserer Partnerunternehmen. Und das über einen langen Zeitraum. Das Know-how, das Teams brauchen, liegt in etablierten Unternehmen mannigfaltig vor.

Zudem sind wir an Hochschulen aktiv, um Begeisterung für das Thema Start-up zu entfachen und so Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler dafür zu motivieren, mehr aus ihrer Forschung zu machen als eine hochrangige Publikation und ein schönes Forschungsprojekt.

Wenn eine Doktorandin oder ein Doktorand an der Uni eine interessante Idee hat, stünde chemstars also zur Verfügung, um zu unterstützen.

Ja, wir helfen schon in diesem Stadium. Bei solch frühen Projekten geht es häufig darum, herauszufinden, für wen die Idee oder Technologie grundsätzlich interessant ist. Wir erklären, wie man sich dieser Fragestellung nähert und geben Tipps aus der Praxis. Die Antwort muss der Doktorand oder die Doktorandin jedoch selbst finden, indem sie ganz viele Gespräche führen. Besonders schön ist dann, wenn sich eine ursprüngliche Idee durch Aha-Momente substanziell weiterentwickelt.

Fallen für die Unterstützung durch chemstars eigentlich Beratungsgebühren oder sonstige Kosten an? 

Nein. Unser Support ist komplett kostenfrei. Möglich ist das durch den finanziellen Beitrag unserer Partner und des Landes NRW, die den Wert einer lebhaften Start-up-Szene verstehen und mit uns gemeinsam einen Hotspot für Start-ups in der Chemie schaffen möchten.

Wie sieht es beispielsweise aus mit der Erstellung von Businessplänen?

Klar, auch da können wir helfen. Heute sind das allerdings keine 30-seitigen Dokumente mehr wie früher. Da hat sich in den vergangenen Jahren einiges getan. Was immer noch ganz zentral ist, ist die zugrunde liegenden Annahmen zu Papier zu bringen und dann systematisch zu überprüfen. Dabei unterstützen wir.

Was ist aus Sicht von chemstars ein Erfolg?

Das ist keine leichte Frage, weil sie sich aus verschiedenen Perspektiven sehr unterschiedlich beantworten lässt. Ganz zentral ist für den Erfolg von chemstars jedoch, dass wir einen Beitrag dazu leisten, dass es leichter wird, neue Geschäftsideen in der Chemie auszuprobieren. Denn dann kann ein neuer Gründergeist entstehen, der sich wiederum positiv auf den Transformationsprozess auswirkt.

Wie läuft denn der Austausch zwischen Start-ups und Industrieexperten?

Ein gutes Netzwerk muss man nicht nur pflegen, sondern auch behutsam behandeln. Bevor wir Start-ups vernetzen, definieren wir deshalb gemeinsam die Fragestellung, zu der ein Team Antworten sucht. Das ist wichtig, um sicherzustellen, dass der Austausch auch wirklich den gewünschten Mehrwert liefert. Mit der Fragestellung gehen wir dann auf die Suche nach Expertinnen und Experten. In unseren Partnerunternehmen haben wir Kontaktpersonen, die wir ganz gern als Superkonnektoren bezeichnen. Das sind Personen, die innerhalb ihrer jeweiligen Organisation hervorragend vernetzt sind und einschätzen können, wer sich für einen offenen und ehrlichen Austausch mit einem Start-up eignet. Ist eine Expertin oder ein Experte gefunden, klären wir auch mit dieser Person die Erwartungshaltung an das Gespräch. So stellen wir sicher, dass der Aufwand auf Seite unserer Partner minimal, der Impact für die Start-ups maximal ist.

Übrigens: Das Netzwerk, auf das wir zurückgreifen, beinhaltet natürlich nicht nur Kontakte unserer Partnerunternehmen. Wir sind offen für alle, die sich in die Start-up-Szene einbringen und Gründerinnen und Gründer unterstützen möchten. Wer Interesse hat, darf uns gern kontaktieren. Wichtig ist uns allerdings ein gewisser Idealismus. Eine Vermittlungsplattform für Unternehmensberaterinnen und -berater sind wir nicht.

Wie ist Deutschland eigentlich bei der Start-up-Kultur in der Chemie positioniert?

Sagen wir mal so: Es gibt deutliches Entwicklungspotenzial. Derzeit entstehen hierzulande gerade einmal 25 bis 30 Chemie-Start-ups pro Jahr. Im Vergleich mit 2.100 Promotionen ist das doch sehr überschaubar. Vor allem wenn man sich bewusst macht, vor welcher Herausforderung die chemische Industrie gerade steht. In den kommenden 30 Jahren müssen wir unsere Branche weitestgehend neu erfinden. Da ist es nicht nur wünschenswert, sondern notwendig, dass wir so viele Ideen wie irgendwie möglich mobilisieren. Dass sich so viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie irgendwie möglich an ihrer Vision für die nachhaltige chemische Industrie der Zukunft ausprobieren. Und, dass wir sie so gut wie möglich unterstützen. Ganz egal, ob Gründerinnen und Gründer aus der Academia oder der Industrie kommen.

Trotz aller Herausforderungen gab es nie einen besseren Zeitpunkt, um ein Unternehmen in der chemischen Industrie zu gründen.  Nie war der Veränderungsdruck der Industrie größer. Nie gab es mehr Kapital für nachhaltige Lösungen. Nie mehr professionellen Support. Was es jetzt noch braucht, sind mehr mutige Chemikerinnen und Chemiker.

Wer als VAA-Mitglied Start-ups mit der eigenen Erfahrung in der Branche unterstützen möchte, kann sich bei Martin Bellof unter martin@remove-this.chemstars.nrw melden.

Vertikale Landwirtschaft

Messe in Dortmund: VertiFarm 2023 präsentiert „Next Level Farming“

Im Dezember 2023 hat das VAA Magazin in einem Spezial zur vertikalen Landwirtschaft unter anderem über die Premiere der Fachmesse VertiFarm berichtet. Vom 26. bis 28. September 2023 öffnen sich die Tore der Messe Dortmund nun zum zweiten Mal für die „Internationale Fachmesse für Next Level Farming und New Food Systems“. Exklusiv für VAA-Mitglieder aus Unternehmen der Agrarchemie- und Pharmaindustrie besteht diesmal auch die Möglichkeit, zu vergünstigten Konditionen an der Messe teilzunehmen.

Auf der nach eigenen Angaben weltweit einzigen Branchenplattform für die urbane Lebensmittelversorgung der Zukunft werden zahlreiche Innovationen vorgestellt – von kontrollierten Produktionssystemen für Gemüse, Früchte, Salate, Kräuter über alternative Proteinquellen, sogenannte Microgreens und medizinische Pflanzen bis zu den neuesten Entwicklungen bei der Fisch- und Insektenzucht. VertiFarm bietet interessierten Forschern, Managern und Entscheidern aus der Agrarwirtschaft sowie der Lebensmittel- und Pharmabranche die Möglichkeit, auf neue Ansätze und Ideen für die nachhaltige Sicherung lokaler, gesunder und frischer Ernährung zu treffen.

Unterstützung erhält die Messe durch zahlreiche Partner, zu denen beispielsweise die Association for Vertical Farming (AVF), der Handelsverband Nordrhein-Westfalen/Westfalen-Münsterland, die Klimaschutzoffensive des Handels, der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband und Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) gehören. Die Aussteller kommen unter anderem aus Norwegen, Schweden, Italien, dem Vereinigten Königreich, der Niederlande, aber auch aus Nord- und Südamerika sowie Asien.

Wie bei der Premiere 2022 findet im Rahmen der Messe der zweitägige AVF-Summit statt. Auf dem Kongress werden renommierte Wissenschaftler, Branchen- und Regierungsvertreter sowie Investoren zu drei Themensäulen diskutieren: „Wissenschaft und Forschung“, „Technologie und Nachhaltigkeit“ und „Nahrung und Städte“. Es wird dabei auch beleuchtet, wie weit die Wissenschaft der vertikalen Landwirtschaft noch von der Realität entfernt ist und wie die Herausforderungen der Industrie besser zu verstehen sind.

In der zweiten VertiFarm-Ausgabe bietet die Messe Dortmund ein umfangreiches Rahmenprogramm mit lehrreichen und zum Teil interaktiven Wissensmodulen auf. Neben Fachleuten aus Landwirtschaft, Wissenschaft und Industrie sowie Vertretern verschiedener Start-ups können auch Anbieter das Bühnenprogramm mit Fach- oder Impulsvorträgen rund um die gesetzten Fokusthemen bereichern. Bis zum 20. Juni 2023 können Tickets für den Kongress zum Early-Bird-Tarif in Höhe von 280 statt 500 Euro erworben werden. Die Tickets beinhalten zusätzlich einen zweitägigen Zutritt auf die VertiFarm.

Alle wichtigen Informationen, Updates und Entwicklungen rund um die Messe gibt es unter www.vertifarm.de.

Exklusivangebot für VAA-Mitglieder

Exklusivangebot für VAA-Mitglieder

Für VAA-Mitglieder aus Chemie- und Pharmaunternehmen, die sich mit dem Thema befassen oder ein Interesse daran haben, bietet der VAA insgesamt zehn kostenfreie AVF-Summit-Tickets an. Interessentinnen und Interessenten können sich unter redaktion@remove-this.vaa.de mit dem Stichwort „AVF-Summit“ melden. Des Weiteren erhält der VAA ein Freikartenkontingent für den Besuch der VertiFarm-Messe. Hier lautet das Stichwort für interessierte VAA-Mitglieder „VertiFarm“. Die Verteilung sowohl der zehn AVF-Summit-Tickets als auch des VertiFarm-Freikartenkontingents erfolgt jeweils nach Eingangsdatum und -zeit der E-Mail. Wer keine Freikarten mehr erhalten konnte, kommt als VAA-Mitglied in den Genuss eines Rabatts auf die AVF-Summit-Tickets, die gleichzeitig den Zutritt zur Messe selbst beinhalten.