Ingenieure in Chemie und Pharma

Augen auf und Mut für Neues

Bei einem Blick auf die Berufsbilder der VAA-Mitglieder überrascht es kaum, dass über 40 Prozent über eine Hochschulausbildung in einem Chemiestudiengang verfügen. Immerhin ist Deutschlands größter Führungskräfteverband in der chemisch-pharmazeutischen Industrie verankert. Doch ein Fünftel aller Mitglieder hat einen ingenieurwissenschaftlichen Hintergrund. Diese Mitgliederstruktur ist seit Jahrzehnten faktisch unverändert geblieben und belegt: Ohne Ingenieurinnen und Ingenieure läuft es nicht – auch in der Chemie. Dabei sind die Möglichkeiten und Wege für Ingenieurkarrieren in der Branche sehr vielfältig, wie Beispiele aus der VAA-Mitgliedschaft zeigen.

Den meisten der gut 30.000 VAA-Mitglieder dürfte Ruth Kessler spätestens seit Mai 2017 bekannt sein. Damals ist die Diplom-Ingenieurin von der Bayer AG auf der VAA-Delegiertentagung in Seeheim-Jugenheim in den Vorstand gewählt worden. Auch bei der letzten Wahl auf der digitalen Delegiertentagung im Mai 2021 hat sie sich erfolgreich durchgesetzt und übernimmt weiterhin Verantwortung im geschäftsführenden Vorstand. Neben ihrem zeitintensiven ehrenamtlichen Engagement hat die aus Holzminden stammende VAA-Schatzmeisterin alle Hände voll mit ihrem Tagesgeschäft zu tun. „Seit etwa einem Jahr bin ich Head of Risk Management CapEx Projects – da unterstütze ich unsere Projektleiter bei der Einschätzung und Vermeidung der Risiken in unseren Anlagenbauprojekten. Wir möchten unsere Projekte in der geforderten Qualität, Zeit und Kosten abwickeln.“ Gutes Risikomanagement ist dabei ein Bestandteil professioneller  Projektsteuerung. In einem Projekt kann es schon einmal ein bis zu anderthalb Jahren dauern, bis die grundsätzlichen Fragestellungen zu Technik und Planung geklärt sind. „Wer ein Haus baut, darf sich nicht mit dem Rohbau zufriedengeben, sondern muss auch bis zur letzten Steckdose alles planen.“

Zuvor hat Kessler sieben Jahre als Teamleiterin und Key Account Managerin gearbeitet und weitere neun Jahre im Projekteinkauf bei Bayer. Ihre ersten Berufsjahre hat die Ingenieurin aber ganz klassisch im Bereich der Verfahrenstechnik verbracht. „Nach fünf Jahren in Laboren und Technika habe ich mich stärker in Richtung Vertrieb und Marketing orientiert“, berichtet Kessler. „Unser Business Management hatte einen starken technischen Bezug, bei dem wir unsere technischen Leistungen sowohl für Bayer als auch für externe Kunden vermarktet haben.“ Kessler hat dabei gemerkt, dass sie gern mit Kunden zusammenarbeitet und Projekte weiterentwickelt. „Die Verbindung zur Technik hat mir auch im Vertrieb Spaß gemacht.“ 

Der Technik hat sich Ruth Kessler schon als Schülerin verbunden gefühlt. „Ich hatte die Chance, während der Schulzeit mit meinen Eltern für zwei Jahre in die USA zu gehen.“ Ein Vorteil der High School dort sei die gezielte Unterstützung bestimmter Talente bei Schülern gewesen. „Bei mir haben die naturwissenschaftlichen Lehrer eine Begabung entdeckt und mich gefördert. Als ich in der elften Klasse zurückkam, hatte ich die Möglichkeit, mich für ein naturwissenschaftlich-technisches Stipendium zu bewerben.“ Dieses Stipendium des Stifterverbandes für die deutschen Wissenschaft hat die künftige Chemieingenieurin auch erhalten. „Es hat mich sehr gut unterstützt und war für mich eine Mischung aus Selbstfindung und Karriereplanung.“ Ihr Studium hat Kessler nach Plan absolviert. „Zeitlich und intellektuell ist es sehr anspruchsvoll. Dafür hat man beim Berufseinstieg wirklich viele offene Türen – ob in der Wirtschaft oder auch im Öffentlichen Bereich.“

Von Erlangen nach Leverkusen

Nach dem Studium in Erlangen war klar: Nach fünfeinhalb Jahren an der Uni sollte es möglichst sofort in einem mittleren oder größeren Industrieunternehmen losgehen. „Mir war schon immer der Hands-on-Ansatz wichtig – die Anwendung.“ Als Chemieingenieurin kann man sehr breit in verschiedene Branchen einsteigen – praktisch in alle Unternehmen, die sich in irgendeiner Form mit Maschinentechnik oder der Herstellung von Industrieprodukten beschäftigen. Angefangen hat die Jungingenieurin schließlich 1998 bei Bayer in Leverkusen – im Chempark hat Kessler noch heute ihr Büro.

„Als Frischling wird man in einem Unternehmen natürlich etwas zurückhaltend betrachtet“, erinnert sich Ruth Kessler. „Und als Frau in einer damals noch sehr männlich dominierten Welt muss man u sich natürlich stärker behaupten.“ Vor allem im Betrieb selbst, wo die Anlagen stehen, habe es ein paar Jahre gedauert, bis man als Frau komplett akzeptiert war. „Hier kam es sehr auf Selbstmarketing und Durchsetzungsfähigkeit an.“ Zudem hatte sie Glück mit ihren Vorgesetzten, die sie unterstützen und förderten. „Heutige Mentoringprogramme gab es zu meinem Einstieg noch nicht – die Weiterentwicklung hing von der eigenen Netzwerkfähigkeit ab. Da muss man Kontakte in alle Ebenen und Bereiche knüpfen, um die Karriere voranzutreiben.“ 

Auch die Phase der Teilzeitarbeit nach der Geburt ihres Sohnes hat der Karriereentwicklung nicht geschadet. „Über zwei Jahre hinweg habe ich die Stundenzahl wieder hochgefahren.“ Mittlerweile ist der Sohn schon lange schulpflichtig – sowohl Ruth Kessler als auch ihr Mann arbeiten in Vollzeit. „Wobei sich im Unternehmen in den letzten Jahren viel getan hat in dieser Frage – auch was Frauen in Führungspositionen und Männer in Teilzeit betrifft“, bemerkt Kessler.

Für die studierte Ingenieurin läuft es in Sachen Familie und Karriere sehr gut. Nur im Betrieb – wie früher einmal – steht Ruth Kessler nicht mehr häufig. Trotzdem hilft ihr das technische Verständnis auch in ihrer gegenwärtigen Aufgabe im Risk Management weiter. „Ich weiß, wie Ingenieure denken und was sie antreibt. Ich weiß, welche Sprache Ingenieure sprechen und kann daher sehr gut zwischen den technischen, kaufmännischen und unternehmerischen Fragestellungen vermitteln.“ Sie bringt ihre Erfahrung mit ein, verschafft sich einen Überblick und darf trotzdem kritische Fragen stellen. „Weil ich als Ingenieurin ja aus demselben Haus komme wie unsere technischen Projektleiter.“

Vom Baukasten zu Beiersdorf

Begeisterung für Technik ist etwas, das auch Katja Bühl seit ihrer Kindheit mitbringt. Heute ist sie Teamleiterin des Bereichs Facility Management & Construction bei der Beiersdorf AG in Hamburg – ein Job, den sich Bühl mit ihrem Kollegen Carsten Althoff im Jobtandem teilt. Doch noch viel früher, als kleines Mädchen, das im Osten Deutschlands groß geworden ist, hat sie ihre Zeit lieber mit Baukästen und Lego verbracht. „Mein Bruder hat dagegen lieber mit Puppen gespielt – wir wurden also schon genderneutral erzogen“, erinnert sich Katja Bühl mit einem Augenzwinkern. Tatsächlich ist ihr Faible für „den Bau“ keine Überraschung: „Mein Papa ist Bauingenieur. Ich bin mit meinem Vater immer auf die Baustellen mitgegangen und fand es toll.“ Logisch, dass Bühl zunächst Maurerin werden wollte: „Weil ich dachte, dass Maurer für alles zuständig sind, was mit dem Hausbau zusammenhängt – dass es da noch andere Jobs gibt, habe ich als Kind nicht gewusst.“ 

Etwas später, nach einem Praktikum im Architekturbüro, war für Katja Bühl klar, dass sie einmal Bauingenieurwesen studieren wird. Doch vorher wollte sie noch eine Ausbildung machen – eigentlich direkt „auf dem Bau“. Das Problem: Bei Baufirmen gab es keinen Platz. „Weil doch damals tatsächlich Extratoiletten für Frauen weder vorhanden noch geplant waren.“ Heutzutage kaum vorstellbar, aber damals weit verbreitet. „So habe ich zwei Jahre Bauzeichnerin gelernt und danach vier Jahre an der FHTW in Berlin studiert.“ Ähnlich wie bei Ruth Kessler an der Uni Erlangen, wo der Frauenanteil in Ingenieurwissenschaften damals bei rund zehn Prozent lag, gab es auch bei den angehenden Bauingenieuren in Berlin nur vier Frauen und rund 80 Männer. „Da war ich schon eine Exotin. Doch als gelernte Bauzeichnerin konnte ich natürlich sofort mitreden und wurde sehr schnell akzeptiert.“ 

Nach einem Praktikumssemester bei Philip Morris als Bauingenieurin im Bereich Facility Management hat Bühl einen Werkstudentenvertrag erhalten. „Gebäude um Produktionsanlagen herum umzubauen, ohne die Produktion lahmzulegen – das ist eine besondere Herausforderung.“ Als sie fertig war mit dem Diplom – um die Zeit der Fußball-Europameisterschaft 2004 – gab es bei Philip Morris einen Vertrag für ein halbes Jahr als Jungingenieurin. „Als ich dann schwanger wurde, war klar, dass mein Vertrag natürlich nicht verlängert wurde – das war zu der Zeit noch überhaupt keine Diskussion, vor allem in einem amerikanischen Konzern.“

Danach zog die junge Familie Bühl durch die Gegend: In der Elternzeit hat Katja Bühls Mann Thomas in Nürtingen u studiert. 2007 hat sie bei Daimler in Untertürkheim angefangen – über ein Leasingunternehmen. Auch hier war es um die Gleichstellung von Frauen und Männern noch nicht gut bestellt: „Es gab sogar noch getrennte Gehaltstabellen für Frauen und Männer!“ Der Job selbst hat ihr aber Spaß gemacht. „Es ist auch Industriebau, aber mit anderen physikalischen Anforderungen an die Gebäude. Im Automobilbau sind zum Beispiel Schwingungen wegen ausgiebiger Motorentests zu berücksichtigen, bei der Zigarettenherstellung unter anderem der Schutz vor Schädlingen.“ Vieles hängt vom Produkt ab – ob Zigaretten, Motoren oder Kosmetik. Bühl lacht: „Jetzt bei Beiersdorf weiß ich natürlich auch eine Menge darüber, was man für Gebäude braucht, um Creme in Dosen zu bringen.“

Bevor Katja Bühl in der Teamleitungsfunktion bei Beiersdorf ankam, ist einiges passiert: Erst war das zweite Kind im Anmarsch und die Familie zog zurück nach Berlin. Kurz darauf fing Bühl als Projektingenieurin bei Beiersdorf im Berliner Werk an, um nach dreieinhalb Jahren zu Tesa nach Hamburg zu wechseln. „Ich bin zunächst ein Jahr zwischen Berlin und Hamburg gependelt. 2014 sind wir dann als Familie nach Hamburg umgezogen. Ich hatte dort einfach die besseren Karriereoptionen.“ Ihr Job war der Neubau des Headquarters. „Ich saß an der Schnittstelle zwischen Bau und Nutzern. Damit nicht jeder Tesaner mit der Bauleitung über die individuellen Anforderungen und die Gestaltung der verschiedenen Arbeitsbereiche spricht, haben wir das als Projektteam gebündelt und koordiniert.“ Nach der finalen Schlüsselübergabe ist dieses Team zur Abteilung Facility Management geworden. Bühl war zuständig für das infrastrukturelle Gebäudemanagement. Doch das war für sie auf Dauer wiederum zu wenig Bauingenieurwesen. „Deshalb bin ich 2016 zu Beiersdorf gewechselt und habe nach einem halben Jahr – praktisch über Nacht – die Führung des Teams Maintenance & Projects im Bereich Real Estate Hamburg übernommen.“ 

2021 ist eine wichtige Umstrukturierung erfolgt: Die drei Säulen des Gebäudemanagements bei Beiersdorf – Technik, Bau und Service – wurden zusammengelegt. „Jobsharing in Führungspositionen finde ich klasse“, sagt Katja Bühl voller Überzeugung. „Unser Team hat 22 Leute. Carsten und ich arbeiten dabei in Vollzeit und teilen die disziplinarische Führung nicht auf. Jeder ist zu 100 Prozent verantwortlich.“ Es ist ein Tandem nicht aus Teilzeitgründen: Aus drei Teamleitungsstellen wurde eine Funktion, die von zwei Leuten besetzt wird. „Ich habe nun viel mehr Führungsarbeit, kann aber trotzdem immer Baustellenluft schnuppern, wenn sie mir fehlt. Das macht richtig Spaß.“ Und für die Zukunft gibt es für das Team von „KatCar“ noch viel zu tun: „Bei Beiersdorf werden gerade ein neuer Campus und demnächst ein Technology Center gebaut.“ 

Katja Bühl fühlt sich wohl in ihrer Rolle und mit ihrem Job. Geholfen hat ihr, dass sie immer versucht hat, über den Tellerrand zu schauen. „Dass ich im Industriebau gelandet bin, war eher ein Zufall. Im Studium erzählt einem niemand, dass Unternehmen auch außerhalb der Baubranche Bauingenieure einstellen.“ Eigene Recherche und Mut für Neues zahlen sich also aus. „Auf den VAA-Hochschulveranstaltungen sage ich den angehenden Ingenieuren auch immer: Seid offen und probiert Dinge aus.“

Mit Maschinenbau nach Marl

Stichwort Hochschule: Heutzutage gebe es schon im Studium viel mehr Verknüpfungsmöglichkeiten von Chemie und Ingenieurwesen, findet Martin Kubessa von der Evonik Industries AG – mittlerweile freigestellter Betriebsrat am Evonik-Standort in Marl. Auch der Vorsitzende der VAA-Kommission Betriebsräte hat auf seinem nicht immer typischen Karriereweg viel erlebt. Der „echte Bochumer Jung“ hat an der Ruhr-Universität Bochum Maschinenbau studiert – mit dem Schwerpunkt Verfahrenstechnik. „Einige Jahre habe ich als studentische Hilfskraft gearbeitet. Ich hätte im Prinzip auch promovieren können.“ Für anderthalb Jahre ist Kubessa nach Kassel gegangen, um eine Klimaanlage mit überkritischem Kohlendioxid als Kältemittel zu entwickeln. „Aber am Ende war es für mich einfach an der Zeit, aus der Hochschulumgebung raus- und in die Industrie reinzugehen.“ u
1996 hat Martin Kubessa im Qualitätsmanagement des Rohrnetzbetriebs in der damaligen Hüls AG angefangen. „Man macht in den ersten Jahren im Grunde das, was man auch studiert hat“, erzählt der zweifache Familienvater. „Denn man hat ja das frische Wissen und bringt neue Methoden ein. Doch Wissen altert schnell: Nach fünf Jahren ist man meistens raus aus dem Thema.“ Aus der Fachkarriere entwickelt sich dann eine Managementfunktion, mit anderen Eigenschaften im Vordergrund. „Führung zum Beispiel: Das habe ich in verschiedenen Funktionen als Betriebsleiter und Bereichsleiter gelernt. Da geht es nicht mehr um die Fachlichkeit von Werkstoffproblemen, sondern um Mitarbeitermotivation und die Vermittlung von Managementideen.“ Kubessas Aufgabe war es, dafür zu sorgen, dass seine Mitarbeiter ihren Job ordentlich machen konnten. „Ich musste aber auch häufig geänderte Randbedingungen transportieren.“

In seiner letzten fachlichen Tätigkeit vor der Freistellung als Betriebsrat war Kubessa Key Account Manager BL Energy & Utilities für interne und externe Kunden. Im Prinzip gehörten Marketing und Vertrieb schon seit 2003 zu seinen Hauptaufgaben, als er Operate-Lease-Verfahren und kaufmännische Fragestellungen bearbeitet hat. Von Ingenieurwissenschaft war da wenig zu spüren, am Ende hat das langjährige VAA-Mitglied eher Jura und BWL umgesetzt. „Aber da meine Ansprechpartner meist keine klassischen Einkäufer, sondern interne Kunden waren – also Betriebsleiter, Technikleiter und Produktionsleiter –, hat es enorm geholfen, dass ich meine Kunden verstehen konnte und wir die gleiche Sprache gesprochen haben.“ Also genau der Vorteil, den auch Ruth Kessler auch Katja Bühl kennen. Kubessa hat Verträge geschlossen, begleitet – und fachlich verstanden. „Da hört es bei studierten Kaufleuten oft schon bei den ersten Fachbegriffen aus der Technik auf. Hier bin ich mit meinem Ingenieurhintergrund an der richtigen Stelle gewesen.“ 

Als Mitglied des Managementteams der Logistik in der Konzernserviceeinheit hat Martin Kubessa außerdem die Bereichsstrategie mitentwickelt und anschließend als Projektleiter die Strategieumsetzung standortübergreifend über zwei Jahre hinweg angestoßen. „Hier durfte ich unsere deutschen Standorte besuchen, Projektteams zur Umsetzung motivieren, intensiv mit Beratern zusammenarbeiten und fand mich wie vor vielen Jahren an der Hochschule wieder in hochtheoretischen Diskussionen zum Beispiel über Portfoliomanagement mit den Ausprägungen Richtung Outsourcing und Fertigungstiefe.“ Auch hier eher typische Fragestellungen eines Wirtschaftswissenschaftlers.

Um etwas anders gelagerte, aber für die Beschäftigten essenzielle Fragen geht es in Kubessas gegenwärtigem Vollzeitjob – im Betriebsrat. In seinem Sachbereich Personal gehe es schon richtig rund: „Jede Woche gibt es gut 50 Veränderungen zu besprechen, ob bei Arbeitszeit, Einstellung, Entgelt oder manchmal auch Entlassung. Da ist strukturiertes Arbeiten wichtig.“ Das modulare, ingenieurwissenschaftliche Denken helfe auch hier ungemein weiter.
  
An den Beispielen von Ruth Kessler, Katja Bühl und Martin Kubessa zeigt sich: Ingenieurwissenschaften sind extrem breit gefächert. Auch die Karrieremöglichkeiten sind reichhaltig. Doch um im Berufsleben weiterzukommen, kommt es auf die Soft Skills an. Kubessa betont: „Niemand wird Bereichsleiter, weil er ein Topingenieur ist und einen Wärmeübertrager in ein paar Minuten auseinandernehmen kann. Man wird Führungskraft, wenn man mit Menschen kommunizieren und das Team mitnehmen kann.“ Voraussetzung dafür: Man sollte seinen Job mögen. „Suche Dir etwas, wofür Du brennst und studiere es“, rät Kubessa mit Blick auf den akademischen Nachwuchs. „Mit Spaß und Freude schafft man es, auch die schwierigsten Phasen zu überstehen.“ 

Am Ende kommt es immer auf den individuellen Menschentyp an – der Charakter bestimmt den Berufsweg. Ein Weg, der bei den ingenieurwissenschaftlich geprägten VAA-Mitgliedern Martin Kubessa, Katja Bühl und Ruth Kessler manche Ähnlichkeiten, aber auch viele Unterschiede aufweist. Eines haben sie aber gemeinsam: Sie sind allesamt erfolgreich und glücklich mit dem, was sie tun.

Ingenieurwesen im Studium – Interview mit Laura Gebhardt

Ingenieurwesen im Studium – Interview mit Laura Gebhardt

Laura Gebhardt steht kurz vor ihrem Bachelorabschluss im Bereich Bioingenieurwesen und ist Studienbeauftragte am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Als angehende Bioingenieurin beschäftigt sich die 22-Jährige mit allen chemischen Prozessen, die zusammen mit Disziplinen wie Physik und Mathematik in der Ingenieurwelt zum Einsatz kommen.

VAA Magazin: Wie ist die Verteilung der Lehrfächer und Inhalte eines Bachelorstudiums?

Gebhardt: Jedes Bachelorstudium setzt sich aus sogenannten 180 ECTS zusammen. Diese Leistungspunkte stehen für das „European Credit Transfer System“, ein europaweit vergleichbares Lernsystem. Jeder dieser Punkte beinhaltet 30 Stunden Arbeitsaufwand, verteilt auf Vorlesungen, Übungen, Tutorien und Eigenarbeit. Ziel ist, diese 180 ECTS in sechs Semestern Regelstudienzeit zu absolvieren. Im Bachelor „Chemieingenieurwesen und Verfahrenstechnik“ werden am KIT lediglich elf ECTS in reinen Chemiefächern absolviert. Das Bachelorstudium ist aber auch nur ein Grundstudium, eine Spezialisierung in Teilbereiche erfolgt im anschließenden Master. Ab dem fünften Semester kann man eines von zwölf Profilfächern belegen, beispielsweise Lebensmittelverfahrenstechnik, Biotechnologie, Partikeltechnik oder Energie- und Umwelttechnik.

Wie lange dauert denn ein Masterabschluss am KIT? Ist der Master dort gewünscht?

Ein Masterabschluss ist am KIT möglich und sogar gewünscht. Er dauert vier Semester und hat 120 ECTS. In diesem vertiefenden Studium kann man sich auf ein Fachgebiet spezialisieren. Durch die umfassende Grundausbildung ist diese Spezialisierung jedoch nicht karrieregebend. Das Themengebiet „Chemieingenieurwesen und Verfahrenstechnik“ ist sehr vielfältig, spätere Arbeitsfelder können beispielsweise die Pharmaindustrie, die Petrochemie, die Umwelttechnik oder der Anlagenbau sein. In einem klassischen Labor arbeitet man eher selten.

Warum hast Du Dich für Bioingenieurwesen entschieden?

Ich habe mich damals für Bioingenieurwesen entschieden, weil das Fach sehr vielseitig ist. Ich kann mir vorstellen, im Bereich Pharmazeutische Biotechnologie oder Enzymtechnik zu arbeiten.

Zahlen und Fakten

5 große Chemiekonzerne

plus 30 Großunternehmen sowie mehrere hundert mittelständische und kleine Unternehmen stellen chemische Produkte im Bereich Chemie, Pharma, Lebensmittel, Textil und Kosmetik her. Der Arbeitsmarktexperte des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) Ingo Rauhut verdeutlicht: „Als Chemieingenieur kann man auch in der Automobilindustrie, der Energie- und Umweltwirtschaft oder im Anlagen- und Maschinenbau arbeiten, denn sowohl Industriekonzerne als auch mittelständische Marktteilnehmer haben Bedarf an Schnittstelleningenieuren, die in der Verfahrenstechnik arbeiten. Auch Forschungsinstitute, die sich auf technische Vorgänge spezialisiert haben, bieten Studienabsolventen spannende Aufgabenbereiche als Chemieingenieur.“

69.400 Chemieingenieurinnen und -ingenieure

arbeiten laut Mikrozensus in Deutschland (Stand 2018). Der Frauenanteil liegt bei 31,4 Prozent. Nachdem die Coronakrise vor allem im dritten Quartal 2020 noch deutlich negative Spuren auf dem Ingenieurarbeitsmarkt hinterlassen hat, zeigen sich dort vom ersten bis zum dritten Quartal 2021 deutlich positive Signale auf die Nachfrage, so der aktuelle VDI-/IW-Ingenieurmonitor. Betrug die Gesamtzahl der offenen Stellen in den Ingenieur- und Informatikberufen im dritten Quartal 2019 noch 128.900 und sank dann bis zum dritten Quartal 2020 auf 95.900, so stieg sie im dritten Quartal 2021 auf 132.000.

Um 6.600 Akademikerinnen und Akademiker

steigt der jährliche demografische Ersatzbedarf im Bereich MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik). Aktuelle Befragungen und Auswertungen zum Altersprofil der Erwerbstätigen zeigen, dass durch den demografischen Wandel, die Digitalisierung und die Dekarbonisierung der Bedarf an Ingenieuren und Informatikern in den kommenden fünf Jahren deutlich zunehmen wird. Bei größeren Unternehmen ab 250 Beschäftigten erwarten rund 63 Prozent einen zunehmenden Bedarf an Informatikern und 43 Prozent einen steigenden Bedarf an Ingenieuren beziehungsweise Umweltingenieuren für die Entwicklung klimafreundlicher Produkte und Technologien. Dazu sagen insgesamt 83 Prozent der größeren Unternehmen einen steigenden Bedarf an digitalen Expertinnen und Experten voraus, so aktuelle Zahlen des VDI im VDI-/IW-Ingenieurmonitors (3. Quartal 2021).

64.000 Euro pro Jahr

beträgt das durchschnittliche Bruttogehalt für Chemieingenieurinnen und -ingenieure. Laut dem Jobportal Jobted reicht die Spanne der Gesamtvergütung – also inklusive der variablen Vergütungsbestandteile – für Beschäftigte mit einem Abschluss im Chemieingenieurwesen auf dem Arbeitsmarkt zwischen 54.000 und 116.000 Euro. Was die Gehalts- und Bonusentwicklung für außertarifliche und leitende Angestellte in der chemisch-pharmazeutischen Industrie betrifft, so liefert die von der RWTH Aachen begleitete Einkommensumfrage des VAA zusätzliche Informationen. 2020 betrug das Median-Gesamteinkommen im Bereich des Akademiker-Manteltarifvertrages – einschließlich der Ingenieure – rund 129.179 Euro.