Interview mit Hinnerk Wolff

Was ist ein Sozialplan?

Im Zuge der Energie- und Wirtschaftskrise stehen viele Unternehmen, gerade aus stromintensiven Branchen wie der Chemie, vor schmerzhaften Umstrukturierungen. Wenn aufgrund einer geplanten Betriebsänderung wesentliche Nachteile für die Belegschaft abgefedert werden sollen, werden Sozialpläne erstellt. Was dabei passiert und womit Beschäftigte rechnen müssen, erklärt VAA-Jurist Hinnerk Wolff im Interview mit dem VAA Magazin.

VAA Magazin: Wie grenzt sich ein Sozialplan von einem Interessenausgleich ab?

Wolff: Bei der Betriebsänderung im Sinne von § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes geht es um die Einschränkung oder Verlegung des ganzen Betriebes oder von wesentlichen Teilen, den Zusammenschluss mit anderen Betrieben oder die Spaltung, grundlegende Änderungen der Betriebsorganisation und des Betriebszwecks oder die Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren. Zunächst verhandeln dann die Betriebsparteien einen Interessenausgleich, der klären soll, ob, wann und in welcher Art und Weise die vorgesehene unternehmerische Maßnahme durchgeführt wird.

Diesen Interessenausgleich kann der Betriebsrat nicht erzwingen: Bei fehlender Einigung findet ein sogenanntes Einigungsstellenverfahren statt. Scheitern dort die Verhandlungen, so ist der Unternehmer frei, entsprechend seinen Vorstellungen die Personalmaßnahmen umzusetzen. Regelmäßig werden aber die Verhandlungen mit dem Abschluss eines Sozialplans verbunden, sodass am Ende eine Gesamtlösung steht.

Und wie kommt der Sozialplan zustande?

Im Grundsatz kann ein Betriebsrat bei jeder Betriebsänderung einen Sozialplan verlangen. Anders als beim Interessenausgleich kann der Betriebsrat den Sozialplan allerdings erzwingen. Kommt eine Einigung nicht zustande, so entscheidet gemäß § 112 Absatz 4 BetrVG die Einigungsstelle durch einen Spruch.

Dabei ist es regelmäßig das Ziel der Arbeitgeberseite, die Angelegenheit schnell durchzuziehen. Die Betriebsänderung als unternehmerische Entscheidung ist grundsätzlich nicht zu verhindern, allenfalls durch die Betriebsräte zu entschleunigen. Die Betriebsräte konzentrieren sich deshalb darauf, den Sozialplan mit einer Analyse der Nachteile der betroffenen Arbeitnehmer und deren bestmöglichen Ausgleich zu verhandeln. Dabei haben sie regelmäßig im Blick, die Beschäftigung erhaltende Maßnahmen durch die Kombination der Verhandlung mit dem Interessenausgleich mit einzubeziehen. Die Betriebsparteien sind nämlich im Wesentlichen für die Regelung einer zukunftsbezogenen Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion frei, eben dem Sozialplan.

Also geht es nicht darum, Betriebstreue und erbrachte Leistungen zu honorieren?

Nein. Das Bundesarbeitsgericht hat zuletzt Ende September 2017 entschieden, dass Sozialpläne eben nur eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion haben, nicht hingegen den gesetzlichen Kündigungsschutz kapitalisieren. Damit wird der Verlust des Arbeitsplatzes zumindest anteilig ausgeglichen und den von Entlassung Betroffenen eine Überbrückungshilfe bis zum neuen Arbeitsverhältnis oder dem Bezug des gesetzlichen Altersruhegeldes verschafft.

Darum gibt es seit über 20 Jahren immer stärker sogenannte Transfersozialpläne. Dabei wird die Unterstützung der Arbeitssuche zwischen Arbeitgeberzuschuss, Arbeitsverwaltung und professioneller externer Beratung kombiniert. Üblicherweise geschieht das mit einer sogenannten Transfergesellschaft. Dann wird ein dreiseitiger Vertrag geschlossen, der die Aufhebung des Arbeitsvertrages mit dem alten Arbeitgeber und gleichzeitig den Abschluss eines Null-Kurzarbeitsvertrages mit der externen Transfergesellschaft beinhaltet.

Während der Zeit in der Transfergesellschaft wird keine Arbeitsleistung geschuldet, sondern nur Engagement bei den berufsfördernden Maßnahmen wie Weiterbildung und Outplacement. Gleichzeitig werden unter Einrechnung von Kurzarbeitergeld regelmäßig mindestens 80 Prozent des zuletzt bezogenen Entgelts garantiert. Sobald man einen neuen Job gefunden hat, kann man jederzeit die Gesellschaft verlassen und bekommt regelmäßig einen Zuschlag zur Abfindung, der dem durch die Verkürzung ersparten Aufwendungen in der Transfergesellschaft entspricht.

Haben die Betroffenen direkt Einfluss auf die Gestaltung einer Betriebsänderung oder können sie sich darauf vorbereiten?

Grundsätzlich nicht. Die Verhandlungen über den Nachteilsausgleichs laufen ausschließlich über den Betriebsrat aufseiten der Belegschaft und dem Arbeitgeber. Die Einzelnen haben keinen Einfluss auf die Umsetzung der Betriebsänderung.

Wenn ich den Job kündige, weil ich weiß, dass da eine Betriebsänderung kommt: Erhalte ich auch die Sozialplanabfindung?

Ja und nein. Ist den betroffenen Beschäftigten vorher mitgeteilt worden, dass konkret der Arbeitsplatz entfällt und keine weitere Beschäftigungsmöglichkeit besteht, so besteht auch bei einer Eigenkündigung ein Abfindungsanspruch entsprechend dem gegebenenfalls auch später abgeschlossenen Sozialplan. Ist das nicht der Fall, geht der oder die Betroffene gegebenenfalls leer aus. Natürlich wollen Arbeitgeber ihre Pläne nicht frühzeitig offenlegen, um die Funktionsfähigkeit ihrer Belegschaft zu erhalten. Und der Betriebsrat möchte regelmäßig möglichst vielen Beschäftigten den Arbeitsplatz erhalten. In dieser Gemengelage werden denn die Verhandlungsergebnisse regelmäßig erst spät, das heißt abschlussnah mitgeteilt.

Welche allgemeinen Grenzen hat ein Sozialplan einzuhalten?

Ein Sozialplan muss den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und auch beispielsweise einfachgesetzliche Diskriminierungsverbote beachten. Gleichzeitig wird das Volumen für jüngere Beschäftigte erhöht. Wie das Bundesarbeitsgericht jüngst noch einmal festgestellt hat, können rentennahe Beschäftigte, die nach dem Ausscheiden oder einem möglichen Bezug von Arbeitslosengeld I eine gekürzte oder ungekürzte Altersrente in Anspruch nehmen können, sogar vollständig von Sozialplanansprüchen ausgenommen werden. Zwar stelle das eine Benachteiligung dar, diese sei jedoch gerechtfertigt. Anders sieht die Sache beim möglichen Bezug einer vorzeitigen Rente aufgrund einer Schwerbehinderung aus. Eine Kürzung oder ein Ausschluss von Ansprüchen führt hier zu einer Diskriminierung wegen einer Behinderung.

Und wie sieht das bei Teilzeit aus?

Auch da ist das BAG der Ansicht, dass wenn ein die Abfindungshöhe bestimmender Faktor das zuletzt bezogene individuelle Monatsentgelt ist, dies auch für Teilzeitbeschäftigte gültig ist. Als Begründung führt das Gericht aus: Schließlich werde der durch die Sozialplanleistungen auszugleichende oder abzumindernde wirtschaftliche Nachteil maßgeblich durch die im bisherigen Arbeitsverhältnis bezogene Vergütung bestimmt.

Üblicherweise wird aber bei Sozialplänen, um Härten und Privilegierung zu vermeiden, auf eine Durchschnittsberechnung abgestellt und danach unterschieden, ob die Arbeitszeitänderung in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses eingetreten ist oder bereits länger zurückgelegen hat. Bei Teilzeit während der Elternzeit ist aber in jedem Fall auf die Vergütung vor Antritt der Elternzeit abzustellen.

Wenn nun ein Sozialplan aufgestellt wird, wünschen die Betroffenen regelmäßig, dass der Arbeitgeber richtig bluten muss. Wie weit kann der Betriebsrat gehen?

Zum einen darf kein Ausgleich gewährt werden, der über alle wirtschaftlichen Nachteile bei den Beschäftigten hinausgeht. Und der Betriebsrat muss natürlich darauf achten, auch die verbleibende Belegschaft zu schützen. Nach BAG-Rechtsprechung ist die Grenze der wirtschaftlichen Vertretbarkeit dann überschritten, wenn die Erfüllung der Sozialplanverbindlichkeiten zu einer Illiquidität, zur finanziellen Überschuldung oder zu einer nicht mehr vertretbaren Schmälerung des Eigenkapitals führt. Es kommt demnach nicht darauf an, was man schon einmal im Unternehmen gehandhabt hat, sondern welche Nachteile konkret bei der Betriebsänderung auszugleichen sind und wie die wirtschaftliche Leistung des Arbeitgebers zu diesem Zeitpunkt aussieht. Arbeitgeber machen zunächst einmal ein niedrigeres Angebot und kalkulieren im Laufe der Verhandlungen immer neu. Darum ergibt es für die Betriebsräte ja auch Sinn, Sozialplan mit Interessenausgleich passgenau zu verbinden.

Gibt es noch weitere Begrenzungen der Gestaltung von Sozialplänen?

Natürlich, sogar einige. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass lediglich belastende Regelungen unzulässig sind. Ansprüche können daher nicht davon abhängig gemacht werden, ob eine Kündigungsschutzklage erhoben wird. Zusätzliche dotierungsübersteigende Leistungen, die abhängig von der Bedingung des schnellen Abschlusses einer Regelung sind, also Sprinterprämien, sind aber zulässig.

Gibt es weitere Leistungen neben der Abfindung, die typischerweise vorkommen?

Ja, es werden ja häufig nicht nur Entlassungen ausgesprochen, sondern auch Versetzungen oder Abgruppierungen oder Umsetzungen in andere Betriebsteile. So gibt es regelmäßig die Festlegung von Zumutbarkeitskriterien bei Versetzungsmaßnahmen, die Gewährung ausreichender Einarbeitungs-, Fortbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen oder Einmalabfindungen, wenn der Arbeitsplatz, der neu angeboten wird, nicht dem vorherigen Arbeitsplatz aus mannigfach möglichen Gründen entspricht. Auch Frühpensionierungsregelungen und Aufwertung der betrieblichen Altersversorgung für ausscheidende Beschäftigte gehören dazu.

Kommen wir zur Berechnung von Abfindungen. Welche Methoden sind gebräuchlich?

Die gängigsten Formeln sind die sogenannten Faktor-Formeln – Bruttomonatsgehalt mal Betriebszugehörigkeit mal Faktor – sowie die Divisor-Formeln, die zusätzlich noch das Alter berücksichtigen, also Bruttomonatsentgelt mal Betriebszugehörigkeit mal Alter durch Divisor. Diese Formeln sind zwar einfach nachzurechnen, verkennen jedoch die Überbrückungsfunktion des Sozialplans. Es handelt sich dann mehr um eine Art Gießkannenprinzip.

Wie genau die mit der Betriebsänderung verbundenen wirtschaftlichen Nachteile ausgeglichen werden, hängt am Ende von den Nachteilen selbst ab. Entlassungen kann man durch Überbrückungsgelder zur Aufstockung des Arbeitslosengeldes und Outplacementmaßnahmen unterstützen. Bei Betriebsverlagerungen kann man die Erstattung und Beihilfen zu Fahrt- und Umzugskosten vorsehen und bei der Einführung neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren die Übernahme von Umschulungs- und Fortbildungskosten.

Interessant in diesem Zusammenhang: 1994 war das Bundesarbeitsgericht der Auffassung, dass eine Berechnungsklausel, die allein auf das Einkommen und die Dauer der Betriebszugehörigkeit abstellt, nicht ausreichend sei. Wenn man sich Auswertungen von Sozialplänen ansieht, wird die Abfindung dennoch vorrangig nach Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Einkommen berechnet. Wegen der hohen Abfindungsbeträge bei langen Betriebszugehörigkeitszeiten wird regelmäßig eine Obergrenze eingeführt, die sogenannte Deckelung. So las ich kürzlich einen juristischen Aufsatz, der auf dem Vergleich von 350 Sozialplänen basierte und der bei der Abfindungsberechnung Unterschiede für die gleiche Person von bis zu 88 Prozent aufwies!

Kann man das nicht gerechter gestalten?

Ja, § 112 BetrVG weist eigentlich konkret auf die Milderung wirtschaftlicher Nachteile durch Einkommensminderung, Wegfall von Sonderleistungen, Verlust von Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung, Umzugskosten oder erhöhte Fahrtkosten hin. Einzelfallgerechtigkeit ist aber in der Praxis und in Verhandlungen unter Zeitdruck schwierig herzustellen. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Betriebsparteien einen weiten Ermessensspielraum haben.

Und damit schließt sich wieder der Kreis: Der Arbeitgeber will normalerweise so schnell wie möglich einen Sozialplan vereinbaren, der seinem Budget entspricht. Der Betriebsrat sollte aber von Beginn an die Diskussion führen und die Nachteile ermitteln, um im Anschluss daran zu verhandeln, ob und wie diese Nachteile bei den betroffenen Beschäftigten ausgeglichen oder nur gemildert werden. Genau dieses Vorgehen schlagen das BAG und weite Teile der Literatur vor.

Auf der Mitgliederplattform MeinVAA unter mein.vaa.de stehen für eingeloggte VAA-Mitglieder zahlreiche Infobroschüren zu arbeitsrechtlichen Themen zum Download bereit.

Urteil

EuGH: Mitbestimmung darf durch Gründung einer SE nicht unterlaufen werden

Bei der Umwandlung einer Gesellschaft nationalen Rechts in eine Europäische Gesellschaft (SE) darf die Beteiligung der Gewerkschaften bei der Zusammensetzung des Aufsichtsrats nicht verringert werden. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden.

Vor deutschen Gerichten hatten sich die Gewerkschaften IG Metall und ver.di gegen die Modalitäten der Bestellung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Europäischen Gesellschaft SAP gewandt, der paritätisch aus Mitgliedern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer zusammengesetzt ist. Diese Regelungen sahen vor, dass die Gewerkschaften nach der Verringerung der Anzahl der Aufsichtsratsmitglieder von 18 auf zwölf im Zuge der Umwandlung von SAP von einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht in eine europäische Aktiengesellschaft weiterhin Kandidaten für einen Teil der sechs Sitze der Arbeitnehmervertreter vorschlagen können. Diese Kandidaten werden jedoch nicht mehr in einem von dem der Wahl der übrigen Arbeitnehmervertreter getrennten Wahlgang gewählt, wodurch nicht mehr sichergestellt ist, dass sich unter den Vertretern der Arbeitnehmer in diesem Aufsichtsrat auch tatsächlich ein Gewerkschaftsvertreter befindet.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) war der Ansicht, dass unter Zugrundelegung des deutschen Rechts dem Antrag der beiden Gewerkschaften stattzugeben und die Unwirksamkeit der streitigen Regelungen festzustellen wäre. Denn nach deutschem Recht müsste bei der Gründung einer SE durch Umwandlung der Einfluss der Arbeitnehmer auf die Beschlussfassung der die Gesellschaft prägenden Elemente eines Verfahrens zur Beteiligung der Arbeitnehmer in einem gleichwertigen Umfang erhalten bleiben. Die Anwendung eines getrennten Wahlgangs für die Wahl der von den Gewerkschaften vorgeschlagenen Kandidaten habe gerade den Zweck, den Einfluss der Arbeitnehmervertreter auf die Beschlussfassung innerhalb eines Unternehmens zu stärken. So werde sichergestellt, dass zu diesen Vertretern Personen gehörten, die über ein hohes Maß an Vertrautheit mit den Gegebenheiten und Bedürfnissen des Unternehmens verfügten, und gleichzeitig externer Sachverstand vorhanden sei.

Da das BAG Zweifel hatte, ob die europäischen Regelungen zur SE-Gründung in dieser Hinsicht ein geringeres Schutzniveau vorsehen als das deutsche Recht, ersuchte es den EuGH um Auslegung der entsprechenden Richtlinie. Der EuGH entschied: Die für eine durch Umwandlung geschaffene SE geltende Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer für die Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat der SE muss in Bezug auf die von den Gewerkschaften vorgeschlagenen Kandidaten einen getrennten Wahlgang vorsehen, sofern das anwendbare nationale Recht einen solchen getrennten Wahlgang vorschreibt. Da im Fall von SAP das deutsche Mitbestimmungsrecht maßgebend ist, hätte also ein getrennter Wahlgang erfolgen müssen. Der Gerichtshof hob in seinem Urteil ausdrücklich hervor, dass der Unionsgesetzgeber eine Einschränkung oder Beseitigung der nationalen Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer bei der SE-Gründung gerade vermeiden wollte.

VAA-Praxistipp: Das Urteil des EuGH ist ein wichtiges Signal zur Stärkung der ausgeprägten Rechte der Arbeitnehmer in Deutschland im Rahmen der Mitbestimmung. Der VAA geht davon aus, dass die Entscheidung des EuGH auch auf den Sitz des leitenden Angestellten im Aufsichtsrat anwendbar ist.