Biotech aus dem Meer

Alleskönner Algen

Von Timur Slapke und Simone Leuschner

Bis zu einer Million verschiedene Algenarten gibt es auf der Erde –schätzungsweise. Denn nur 30.000 bis 40.000 Arten sind nachgewiesen, wovon wiederum lediglich rund 100 wissenschaftlich genutzt werden. Das lässt viel Raum für die Forschung, schließlich sind die Wasserpflanzen als alternative Protein- oder Energielieferanten interessant. So vielfältig wie der Artenreichtum sind auch die Einsatzmöglichkeiten von Makro- und Mikroalgen für die industrielle Weiterverarbeitung – ob als Nahrungsergänzungsmittel, als Fischersatzprodukt oder auch als Omega-3-Fettsäurelieferanten in der Fischzucht selbst.

In den malerischen Fjorden Norwegens sind sie häufig anzutreffen: Lachsfarmen. In Aquakulturen tummeln sich Tausende Schwärme Atlantischer Lachse, um den wachsenden Bedarf an gesunden und proteinreichen Lebensmitteln für eine wachsende Erdbevölkerung zu decken. Doch Zuchtfische wollen ebenfalls gefüttert werden – meist mit Fischöl. „Die traditionelle Fischölgewinnung aus Wildfischbeständen nimmt ab, die Überfischung nimmt hingegen zu“, benennt der Chief Executive Officer von Veramaris Karim Kurmaly das Schlüsselproblem. Veramaris ist ein Joint Venture von Evonik und dem niederländischen Chemiekonzern DSM. „Weniger als 20 Prozent der Fischereien sind mit dem Nachhaltigkeitssiegel von MSC zertifiziert.“

Um weiterhin Aquakulturen wie in Norwegen zu betreiben, braucht die Industrie dringend Omega-3-Fettsäuren. Doch die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage wird immer größer. Sowohl DSM als auch Evonik haben 2017 das Dilemma erkannt und sich zusammengetan. „Gemeinsam wollen wir eine nachhaltige Omega-3-Ölversorgung sicherstellen“, erklärt Kurmaly. DSM liefert dabei die biotechnologische Expertise und einen speziell gezüchteten Algenstrang, Evonik die industriell skalierte Fermentationstechnologie. 

Warum wird überhaupt Fischöl genutzt? „Weil es sowohl EPA als auch DHA in seinen Omega-3-Fettsäuren hat“, erläutert der studierte Meeresbiologe Kurmaly. „Wer Fischöl ersetzen will, braucht beide.“ Diese beiden wichtigen Fettsäuretypen werden auch vom Algenrohstoff produziert. „Damit unterstützen wir die marine Biodiversität und gleichzeitig die Nahrungsketten. Denn wir fermentieren an Land, da gibt es keine Auswirkungen auf die Ozeane.“ 

Drei Sorten Omega-3

Es gibt drei verschiedene Typen von Omega-3-Fettsäuren. Die als ALA bezeichnete Alpha-Linolensäure kommt in pflanzlichen Quellen vor, zum Beispiel in Leinsamenöl und Sonnenblumenöl. Sie wird vom menschlichen Körper aber nur zu 0,5 Prozent in die eigentlich benötigten Omega-3-Säuren der Typen Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DPA) umgewandelt. Hinzu kommt, dass ALA einen hohen Omega-6-Fettsäureanteil hat. Davon haben Menschen ausreichend. Außerdem neutralisiert Omega-6 den Omega-3-Anteil beträchtlich.

Zurück zum Fisch: Schon jetzt ist Veramaris laut CEO Kurmaly in der Lage, 15 Prozent der weltweiten EPA- und DHA-Nachfrage zu bedienen. „Zugleich verbessern wir die Wirksamkeit unserer Algen. Am Anfang standen wir bei einem Potenzial von 50 Prozent, nun steuern wir bereits 65 Prozent an.“ Wichtig ist Veramaris auch der gesamte Produktlebenszyklus. „Nachdem wir das Algenöl extrahiert haben, wird es als Fisch- und Garnelenfutter verwendet.“ Die restliche Abfallbiomasse wird an Rinder verfüttert, da sie reich an Nährstoffen ist. Kurmaly betont: „Wir haben insgesamt ein abfallfreies System – wir verwerten und verkaufen komplett alles, was wir produzieren.“

Für die nachhaltige Bewirtschaftung von Aquakulturen spielt die Verfügbarkeit von EPA und DHA also eine Schlüsselrolle. „Aber eben nur dann, wenn man das Fischöl ersetzt“, so Karim Kurmaly. Aufgrund der Überfischung sei auch nicht klar, wie lange Fischöl der Industrie noch in ausreichenden Mengen zur Verfügung stehe. Doch zurzeit ist die Hauptkonkurrenz für das junge Industrieunternehmen nach wie vor die herkömmliche Fischölproduktion, die billig aus Wildfischbeständen hergestellt wird. „Wir sehen uns als nachhaltiges Produkt. Unser Algenöl ist sauber, das heißt, es ist nicht durch Schwermetalle oder Schadstoffe belastet.“ Veramaris sei im Übrigen der erste Algenölproduzent, der speziell für Futtermittel die ASC- und MSC-Zertifizierung durchlaufen hat.

Die größte Herausforderung ist die Veränderung der Denkweise der Stakeholder in der Fischzucht- und Lebensmittelindustrie. „Wie überzeugen wir sie, dass es nachhaltiger und am Ende preiswerter ist, auf die saubere Omega-3-Quelle Algenöl umzusteigen?“, stellt der Veramaris-CEO die Gretchenfrage. In Sachen Überzeugung hat das Unternehmen in den letzten Jahren ganze Arbeit geleistet: „Wir haben mit global agierenden Unternehmen verhandelt, um Lachs anzubieten, der mit Algenöl gefüttert wurde.“ Einige der größten Lachsfarmen in Norwegen, darunter einer der weltgrößten Zuchtlachskonzerne Lerøy Seafood, wurden Kurmaly zufolge bereits als Partner gewonnen. „Was wir nun brauchen, ist die Unterstützung von NGOs und der Politik, um 50 Prozent des Fischöls durch Algenöl zu ersetzen – und damit nachhaltiges Wachstum der Aquakulturen einerseits und die Erholung der Fischbestände andererseits zu gewährleisten.“

Fischersatz vom Food-Start-up

Während das Joint Venture von Evonik und DSM daran arbeitet, die Fischzucht mithilfe von Algen nachhaltiger zu gestalten, möchte das Münchener Start-up Koralo komplett auf Fisch als Lebensmittel verzichten. „Wir versuchen, die Natur nachzuahmen“, erklärt Koralo-Gründer Dr. Guido Albanese. Der Vergleich zu trendigen Fleischersatzprodukten etwa von Beyond Meat mag sich hier aufdrängen, ist aber nicht angebracht. „Eher zu Impossible Foods“, lacht Albanese. „Wobei wir bewusst auf genetisch modifizierte Rohstoffe verzichten. Wir nutzen Fermentation als traditionelle Technologie, um die Textur zu verbessern.“ Dieses Rohprodukt wird dann in ein konsumfertiges Produkt mit minimalem Processing umgearbeitet. „Eine Handvoll Zutaten reichen – wir wollen das auch aufrechterhalten. Das differenziert uns vom Wettbewerb.“ 

Koralo ist ein Teil der TUM Venture Labs, einer Ausgründung der Technischen Universität München für junge Unternehmen. „Wir sind im Venture Lab zu Food, Agrotech und Biotech angesiedelt“, berichtet Albanese. An der TUM hat der spätere Start-up-Gründer Metallorganische Chemie studiert und promoviert. „Ich habe so das nötige Rüstzeug für die Weiterentwicklung zur Biotechnologie erhalten.“ Lebensmittel in all ihren Komponenten hat Guido Albanese anschließend bei Unilever kennengelernt, wo er lange in der Forschung und Entwicklung, später in der Produktion und im Vertrieb gearbeitet hat. Nach einem Zwischenstopp in der Spielwarenbranche bei Lego war Albanese reif für etwas Neues. „Die letzten vier Jahre war ich in Start-ups aktiv, darunter anderthalb Jahre bei Mushlabs, die sich mit Fleischersatz auf Pilzbasis beschäftigen.“ 

Im Frühsommer 2021 hat Guido Albanese mit seiner Tochter einen Spaziergang an der Nordsee unternommen. „Da haben wir Algen gesehen, die ans Ufer gespült worden sind. Meine Tochter fragte mich dann: Kann man da nicht etwas daraus machen, um etwas für unseren Planeten zu tun?“ Denn Überfischung und zerstörte Ökosysteme hängen miteinander zusammen. „Nur neun Monate hat Koralo von der Idee bis zum ersten Upscaling gebraucht“, sagt Albanese nicht ohne Stolz. Anfang März fand bereits die erste Verkostung mit Testverbrauchern statt. „Der spannende nächste Schritt ist der Übergang vom Pilot- zum Produktionsmaßstab.“

Anfang 2023 will Koralo in den Markt treten. „So sorgen wir für ein hohes Tempo – und wenn es Mitte nächsten Jahres wird, ist es auch gut. Wir verhandeln gerade mit unterschiedlichen Partnern aus dem Handel und dem Foodservicebereich.“ Mit den Millennials und der Generation Z im Fokus, versucht Albaneses Team, ein Angebot für alle Menschen zu schaffen, denen neben Umweltaspekten auch der Geschmack und die Textur wichtig sind.

Dass vielen Verbrauchern das „Look-and-feel“ veganer Lebensmittel wichtig ist, zeigt der nach wie vor boomende Markt der Fleischersatzprodukte. Laut einer exklusiven Auswertung des Marktforschungsunternehmens Nielsen IQ für das Handelsblatt, ist der Umsatz mit Fleischalternativen im Lebensmitteleinzelhandel 2021 um 32 Prozent auf 611 Millionen Euro gestiegen. Doch zwischen Fleisch- und Fischersatz gibt es große Unterschiede, weiß Guido Albanese zu berichten: „Die Textur ist völlig anders: Beim Fleisch kommt es auf das langfaserige Muskelfleisch an. Beim Fisch bricht es dagegen viel schneller ab und zerfällt in fischtypische Scheibchen.“ Der Koralo-Gründer hat selbst viel an Proteinen für Fleischersatz geforscht und kommt zum Ergebnis: „Wirklich gesund ist das nicht für uns. Es ist gut für den Planeten, aber nicht gesünder für den Konsumenten als Fleisch.“ Fisch dagegen sei auch „im Original“ gesund. „Es ist eine fettarme Proteinquelle mit reichlich Omega-3-Fettsäuren.“

Hier schließt sich der Kreis zu den Algenölspezialisten von Veramaris. Denn wie das Evonik-DSM-Joint-Venture setzt auch Koralo mit EPA und DHA auf die beiden „Omega-3-Sorten“, die wichtig für den menschlichen Körper sind. „Wir versuchen, DHA und EPA so zu kombinieren, als würde man wirklich Fisch essen. Der Umweg über die Umwandlung von ALA zu DHA und EPA fällt damit weg.“ Da die wenigsten Dinge im Alleingang geschaffen werden, hat Koralo außerdem einen erfahrenen Upscalingpartner für den Fermentationsbereich gewonnen. „Denn wir wollen Masse produzieren statt einzelner Moleküle.“ 

Als Rohstoff für die künftige Massenproduktion werden Mikroalgen genutzt, die bereits für die Lebensmittelindustrie zugelassen sind. „Sie werden häufig für Nahrungsergänzungsmittel eingesetzt“, so Albanese. „Ich habe sie sogar schon in einem Burger gegessen.“ Das Problem: Sie sorgen für starke Farben und haben Geruchseigenschaften, die nicht unbedingt massentauglich sind. Hier kommt unser Know-how ins Spiel: Aus grün wird weiß.“ 

Bioreaktor im Binnenhafen

Für das Wachstum von Mikroalgen setzen Unternehmen wie Koralo Photobioreaktoren ein. Ein innovativer Reaktor der etwas anderen Art steht im Binnenhafen von Hamburg-Harburg. In einem Pilotprojekt der Technischen Universität Hamburg (TUHH) werden auf 39 Quadratmetern Mikroalgen mit einem Produktionsvolumen von 160 Litern gezüchtet. Verfahrenstechniker Leonard Francke vom Bereich Circular Resource Engineering and Management nutzt lokal isolierte Mikroalgen der Art Tetradesmus obliquus in lichtdurchlässigen, bewässerten Behältern und den Prozess der Photosynthese, um aus Licht und Kohlendioxid eine Mikroalgenbiomasse entstehen zu lassen. „Das Wasser reichern wir mit Nährstoffen wie Stickstoff, Phosphor oder Magnesium als Nahrung für die Algen an“, so der TUHH-Wissenschaftler. „Mikroalgen reagieren auf ihre Umgebung sehr sensibel. So sind sie von Temperaturen abhängig und reagieren mit mehr oder weniger Wachstum und Entwicklung.“ Zudem könne ihre Eigenschaft und Funktion als Träger von Nährstoffen jederzeit „ohne genetischen Eingriff“ beeinflusst werden, je nachdem wie Faktoren wie Sonne oder Umweltstress auf sie einwirken.

Die Reaktoranlage aus den zusammenhängenden Röhren ist skalierbar und kann als schwimmende Fläche innerhalb eines kanisterförmigen Pontons ober- oder unterhalb der Wasseroberfläche platziert werden, um die Algenproduktion zu regulieren. Eine Temperaturregelung für die Alge sei tagsüber notwendig für eine erfolgreiche Kultivierung, erzählt Francke, denn im Sommer könne die Temperatur innerhalb eines ungekühlten Reaktors schnell 40 bis 60 Grad Celsius erreichen. 

Verfärbt sich der Inhalt der Röhrenbehälter tiefgrün, ist die Zeit der „Ernte“ gekommen. Leonard Francke geht ins Detail: „Dann sorgen die Zentrifugalkräfte eines Separators für das vorsichtige Trennen von fest und flüssig – bis eine konzentrierte Biomasse erhalten wird, die abgeschöpft werden kann.“ Der Prozess des Downstreamings beginnt mit der Weiterverarbeitung der Masse. Mithilfe analytischer Verfahren werden Produkte charakterisiert und nachgewiesen. „Nach dem Trocknen der Mikroalgenbiomasse, dem Verfeinern und dem Aufschluss der Zellen, beginnt nun das Extrahieren in Extraktionsketten von Proteinen, Pigmenten und Fetten, denn eine Alge hat so gut wie keine Abfallstoffe: Auch die ungenutzten Stoffe wie Kohlenhydrate werden an Biogasanlagen für die Energiegewinnung weitergeliefert.“

Die Wissenschaftler der Technischen Universität Hamburg haben es geschafft: Sie sind ihrer Vision von einer Mikroalgentechnologie „zurück auf dem Wasser“ nähergekommen. Leonard Francke erklärt die weiteren Pläne: „Da ein Großteil der nutzbaren terrestrischen Flächen von der Landwirtschaft genutzt wird, ist unsere Vision, eine neue Landwirtschaft zur nachhaltigen Generierung von Ressourcen zu entwickeln.“ Photobioreaktoren, die auf Wasserflächen beispielsweise offshore betrieben werden, böten hier eine Möglichkeit, neue Flächen auszuschöpfen, ohne mit der bestehenden Landwirtschaft in Konkurrenz zu treten oder terrestrische Ökosysteme weiter zu dezimieren. „Weiterhin kann das umgebende Wasser zur energieeffizienten Temperierung der Photobioreaktoren genutzt werden.“

Mehrwert aus Meeresalgen

Einen anderen Ansatz haben verschiedene europäische Forschungspartner, darunter die Universität Hohenheim, in ihrem Projekt BIOCARB-4-FOOD verfolgt: die Entwicklung von Extraktionsverfahren für Inhaltsstoffe aus Meeresalgen. „Im Besonderen war unser Ziel, die Prozesseffizienz über die Reduzierung der Extraktionszeiten und des Energieaufwands für die Gewinnung von Inhaltsstoffen aus Meeresalgen zu verbessern“, hebt Projektkoordinatorin Amparo López Rubio vom Institut für Agrochemie und Lebensmitteltechnologie (IATA) des Obersten Rats für wissenschaftliche Forschung (CSIC) in Spanien hervor. „Wir haben neuartige, umweltfreundliche und effizientere Verfahren wie Ultraschall, Mikrowellen und Enzyme sowie auch Kombinationen dieser Verfahren ausprobiert.“ Konzentriert habe man sich vor allem auf die Extraktion von Agar und Alginat, weil diese Kohlenhydrate in der Lebensmittelindustrie sehr breit als Wirkstoffe zur Texturierung eingesetzt werden.

Konkret hat das Projektteam mit roten Meeresalgen für die Agarextraktion und mit drei Arten brauner Meeresalgen für die Alginatextraktion gearbeitet, die alle bereits industriell genutzt werden. „Mehr noch“, betont die promovierte Agraringenieurin López Rubio: „Wir haben auch die Reststoffe der Meerespflanze Posidonia oceanica untersucht, die sich an der Mittelmeerküste ansammelt und für Kosten durch deren Entsorgung bei lokalen Behörden sorgt.“ Die Phycokolloidindustrie – als Phycokolloide werden Polysaccharide aus Algen bezeichnet – produziert große Mengen an Abfall, da die Agar- und Alginatextraktion normalerweise nur eine Extraktionsausbeute von unter 30 Prozent generiert. „Unser Ziel war, aus diesen Abfällen einen Mehrwert zu schaffen.“ Untersucht wurde beispielsweise, ob sie als Inhaltsstoffe für biobasierte und biologisch abbaubare Verpackungen infrage kommen. „Dabei haben wir ein großes Potenzial als Ersatz für Plastikverpackungen erkannt.“

Meeresalgenreste haben sehr interessante Bestandteile, die verwertet werden können. Das größte Problem aus Sicht von Amparo López Rubio ist die Matrix: „Die zelluläre Zusammensetzung ist sehr komplex, aber zugleich interagieren die verschiedenen Komponenten intensiv miteinander.“ Sie zu extrahieren, ohne die Bioaktivität zu zerstören, sei die größte Herausforderung. „Wir müssen Extraktionsverfahren entwickeln, in denen wir den unterschiedlichen Bestandteilen erlauben, ihre Funktionalität zu behalten.“ Deswegen soll in einem Folgeprojekt eine „blaue Bioraffinerie“ zur Verwertung von Reststoffen verschiedener Meeresalgenarten entwickelt werden, um die Prozesse zur Gewinnung veganer Proteine, interessanter Kohlenhydrate und spezieller Lipidbestandteile mit Potenzial für die Lebens- und Futtermittel- sowie Kosmetikindustrie zu optimieren. Ziel sei die Steigerung der Algenbiomassenutzung um 15 bis 25 Prozent. „Es ist immer noch ein großes Verwertungspotenzial vorhanden.“

Schon mittelfristig könnte sich die Nutzung von Algen in ganz unterschiedlichen Industriebranchen durchsetzen. „Auf lange Sicht werden wir kein Fischöl in der Fisch- und Garnelenzucht mehr einsetzen“, ist sich auch Veramaris-CEO Karim Kurmaly sicher. „Es ergibt einfach keinen Sinn, Wildfisch zu fangen, um Zuchtfisch oder Nutztiere zu füttern.“ Die Verbraucher entwickeln ein immer stärkeres Bewusstsein für den Tierschutz und einen schonenden Umgang mit Ressourcen. Für die Zukunft eröffnen sich damit dank Mikro- und Makroalgen immer neue, nachhaltigere Alternativen.

Verpackungen aus Algen – Interview mit Lisa Klusmann

Verpackungen aus Algen – Interview mit Lisa Klusmann

Lisa Klusmann gehört zum Forschungsteam an der Hochschule Bremerhaven, das sich im Rahmen des Projektes „Mak-Pak Scale-Up“ mit der Entwicklung biologisch abbaubarer Verpackungen auf Algenbasis beschäftigt. Ebenfalls beteiligt sind das Alfred-Wegener-Institut und die Restaurantkette Nordsee. Im nächsten Schritt steht die Skalierung für eine industrietaugliche Verfahrensoptimierung an.

VAA Magazin: Mit welchen Algenarten arbeitet Ihr Team? 

Klusmann: Im Meer kommen sie in drei verschiedenen Arten vor: als grüne, rote und braune Makroalgen. Für die Produktion einer Verpackung können alle drei Arten hervorragend eingesetzt werden. Die grüne Makroalge ist besonders reich an Ligninen. Dabei handelt es sich um feste Stoffe, die in die pflanzliche Zellwand eingelagert sind und die Verholzung der Zelle bewirken. Durch diese celluloseartige Struktur zeigt die grüne Mikroalge bereits eine gute Grundbeschaffenheit für eine Verpackung. Die roten und braunen Makroalgen hingegen unterstützen in ihrer Beschaffenheit eher funktionelle Eigenschaften. Sie weisen hohe Gelierstoffe auf, die in der industriellen Verarbeitung eine hervorragende Wasser- und Fettbarriere in der Verpackungsschicht darstellen können. Damit wären Verpackungen sozusagen wasserdicht und stellen einen guten Kunststoffersatz dar. 

Makroalgen sind dafür bekannt, ein hohes Maß an Antioxidantien und antimikrobiellen Stoffen zu enthalten. Sie schützen die Alge vor dem Verderb: Antioxidantien zum Beispiel vor einer Fettoxidation – Ranzidität –, die antimikrobiellen Stoffe vor mikrobiellem Verderb, vor dem Verderben unter der Anwesenheit von Bakterien oder Schimmelpilzen. Widerstandsfähig machen sie die Verpackung also durch eine Haltbarmachung. Mit dem angenehmen Nebeneffekt: Sie sind auch gut für den menschlichen Körper. Die Algen werden im Institut auf Herz und Nieren untersucht und getestet. Eine Ernte vor Ort würde auch Transportwege sparen und ist klimafreundlich. Eine Alge auf dem Land ist keinen Schwermetallen ausgesetzt, die sie gewöhnlich aus dem Meer herausfiltert.

Wo könnten die Algen am Ende verarbeitet werden – können Sie ein Beispiel nennen?

Unsere Algenverpackung soll zum Projektende als Menüschale für Nordsee bei der Firma Pulp-Tec produziert werden. Die Schalen sollen in Zukunft nicht nur kompostierbar, sondern auch essbar sein. Der Geschmack ist eher neutral, ähnlich der ummantelnden Alge beim Sushi.

Zahlen und Fakten

Etwa 80 Prozent

der Wasseralgen sind winzig kleine Mikroalgen, einige davon nur Einzeller. Sie leben im Süß- und Salzwasser. Rund 20 Prozent der Algen sind Makroalgen, von denen die meisten im Meer leben. Als Speisealgen werden Makroalgen aus dem Salzwasser geerntet. Die größten, am Meeresboden festgewachsenen Tange messen manchmal mehr als 50 Meter, berichtet der Blog Zukunftsessen.de.

30-mal mehr

Öl kann aus Algen im Gegensatz zu Pflanzenarten wie Raps oder Mais erzielt werden. Bislang wird Ethanol für Biosprit aus Raps, Mais, Zuckerrohr und Getreide gewonnen. Dafür ist allerdings viel Ackerland nötig, berichtet das Magazin GEO. Die Alge Chlorella vulgaris eigne sich besonders für die Herstellung von Biodiesel, weil ihr Fettgehalt während der Gewinnung entscheidend erhöht werden kann. Geerntet und getrocknet werden aus dem Algenpulver Öl extrahiert und dieselfähige Stoffe analysiert. Die Qualität, Treibstoff daraus zu erzeugen, ist derzeit allerdings noch nicht erreicht. So wird weiter daran geforscht, Verfahren für einen höheren Fettgehalt zu entwickeln.

2 bis 10 Tausendstel

Millimeter Durchmesser misst die kleinste einzellige Süßwasseralge Chlorella. Mikroalgen wie Chlorella und Spirulina sind besonders proteinreich: Laut Zukunftsessen.de bestehen sie auf 100 Gramm gerechnet zu über 50 Prozent aus reinem Protein, das alle essenziellen Aminosäuren enthält. Außerdem liefern sie Omega-3-Fettsäuren, Beta-Carotin, B-Vitamine sowie die Vitamine A, C, E und etwa fünf Prozent Mineralstoffe wie Zink, Eisen, Selen, Kalium und Calcium. Meeresalgen liefern zudem Jod.

In rund 2.000

Studien haben Experten den Klimaeffekt von Algen berechnet. Algen entziehen der Atmosphäre Kohlendioxid (CO2) und binden es in organischer Materie. Dadurch können sie das Klima verändern und dem Treibhauseffekt zum Teil entgegenwirken. Algen wandeln dreimal mehr CO2 um als Nutzpflanzen. Das Institut für Meereskunde am Obersten Rat für wissenschaftliche Forschung (CSIC) in Spanien hat ein riesiges Datenarchiv ausgewertet, das circa 50.000 Messungen aus aller Welt umfasst. Dem Magazin GEO zufolge kühlen Algen vor allem über den Ozeanen der Südhalbkugel das Klima, weil die Wärme dort die Algen besonders zur Schwefelbildung anregt.

2.500 Quadratmeter

groß ist das Gewächshaus, in dem Algenbauer Maarten Heins auf seinem Hof Bröös in Rockstedt Mikroalgen der Gattung Spirulina züchtet. Auf eine natürliche Art und Weise reift dort an Land eine gesunde Alge ohne Schadstoffe und Schwermetalle aus dem Meer heran – klimafreundlich und kostengünstig produziert zwischen Hühnern und Feldern. Das Endprodukt: getrocknete Algenchips, aus denen Produkte für die Kosmetik- oder Lebensmittelindustrie hergestellt werden können. Heins gehört zu den Partnern der Hochschule Bremerhaven im Projekt „Mak-Pak Scale-Up“.

70 Prozent

der verarbeiteten Meeresalgen sind bislang Abfallprodukte. Aus diesen Abfällen kann ein Mehrwert geschaffen werden. Das ist eines der Ergebnisse des Projektes BIOCARB-4-FOOD. Die Zusammensetzung der Meeresalgenreststoffe ist essenziell für deren spätere Verwertung.