Erik Lehmann hat das Wort: Frieren für die Freiheit!

Erik Lehmann hat das Wort: Frieren für die Freiheit!

Was für Zeiten! Stehende Ovationen gab‘s Ende Februar im Bundestag, als Kanzler Scholz 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr ankündigte. Bravorufe, Begeisterungsstürme, starker Applaus. Es ist lange her, dass für Aufrüstung – so erforderlich sie auch begründet sein mag – mehrheitlich enthusiastische Zustimmung durch einen großen Saal hallte. 

Und es ist schon eine Ironie sondergleichen: Da hatten sich zahlreiche amerikanische Präsidenten über Jahre vergeblich bemüht, dass Deutschland seine NATO-Verpflichtungen wie das Zwei-Prozent-Ziel einhalten möge – es blieb ein scheinbar unerreichter Traum –, doch Wladimir Putin hat ihn innerhalb kürzester Zeit wahr werden lassen und wird sich sicherlich wundern, warum er eigentlich genau dafür sanktioniert wird. Und während man sich als Pazifist, der man trotz aller derzeitigen Entwicklungen noch bleiben dürfen muss, verwundert die Augen reibt und erstaunt die Ohren spitzt, ist es für die Rüstungsindustrie ein innerer Vorbeimarsch angesichts solcher in Aussicht gestellter Finanzmittel. 

Denn die Bundeswehr wird von den 100 Milliarden Euro nicht nur warme Unterwäsche und Walkie-Talkies kaufen. Jetzt sollen erst einmal ganz schnell 35 Tarnkappenbomber aus amerikanischer Produktion beschafft werden. Diese können dann ab 2027 die in der Eifel gelagerten amerikanischen Atombomben an gewünschte Ziele transportieren. Nukleare Teilhabe nennt man das in Fachkreisen. Ich wäre ja eher für den Begriff Abofalle. Denn wer zahlt schon freiwillig mehrere Milliarden Euro für eine Mitgliedskarte zu einem Event, das höchstwahrscheinlich für alle Beteiligten tödlich ausgeht. Aber weil eben beim drohenden Atomkrieg die eine Hälfte der involvierten Parteien nicht einfach zu Hause bleiben kann, weil für bisher genutzte Tornado-Jets Ersatzteile fehlen, das Kerosin zu teuer ist oder ganz schlicht und ergreifend die Piloten wegen eines positiven Coronatests in Quarantäne müssen, musste nun schnell entschieden werden. Wegen der Abschreckung. 

Dabei reicht oft zur Abschreckung schon ein Blick ins abendliche TV-Programm. Wenn unser Bundespräsident a. D. Herr Gauck vorschlägt, für die Freiheit einfach mal einen Winter lang zu frieren – was jemandem bei einem steuergeldfinanzierten Salär natürlich leicht über die Lippen geht –, läuft es so manchem sicherlich kalt den Rücken runter. Man könne auch einmal ein paar Jahre weniger an Lebensglück und Lebensfreude ertragen, meinte der Herr Gauck außerdem. Und da hat er recht. 

Diejenigen, die in den letzten Jahren nicht zu den Krisengewinnlern gehörten, sind durch Finanzkrise, Eurokrise, Flüchtlingskrise, Brexitkrise, Pflegekrise, Coronakrise und Klimakrise eh schon an den persönlichen Weltuntergang gewöhnt. Da ist doch so ein bisschen neuer kalter, lauwarmer, heißer Krieg – je nach Thermostateinstellung an der Weltheizung – auch noch aushaltbar. Von der Linkspartei kam seit vielen Jahren dazu endlich mal wieder ein ernst zu nehmender und fein beobachtete Kommentar: „Das ist zynisch!“ Ach was! Jedem dürfte doch klar sein, dass mit solchen unüberlegten, verallgemeinernden Sätzen wie dem von Herrn Gauck zahlreiche Leute in die Arme windiger Heilsbringer mit fraglichen politischen Ansätzen getrieben werden. 

Die Wahlergebnisse der letzten Jahre offenbaren doch, dass nicht alle, die nicht so wählen, wie sie wählen sollen, Querdenker und Reichsbürger sein können. Vielleicht liegt es doch an den entsprechenden Lebensumständen und der Teilhabe an unserer so oft zitieren Wohlstandsgesellschaft. Und da wirkt es schon ulkig, wenn nun vonseiten der Politik empfohlen wird, die Heizung herunterzudrehen – wobei viele Betroffene sicherlich interessieren würde, welche von den bereits grundsätzlich ausgeschalteten Heizkörpern gemeint sind. 

Gern wird auch der Hinweis bemüht, doch ab und zu das Auto stehenzulassen und auf den öffentlichen Nahverkehr umzusteigen. Auch hier wäre zu klären, welcher Bus es denn sein darf: Der Bus, der seit 15 Jahren im ländlichen Raum gar nicht mehr fährt, oder der Bus, der an ungeraden Tagen, bei Neumond, außerhalb der Schulferien und bei einer Inzidenz unter 150 früh um 06:12 Uhr im Fahrplan steht? 

Vom hohen Ross des Wohlstands herunter lassen sich immer prima Tipps zur Einsicht und Solidarität erteilen. Aber man soll ja nicht immer nur auf die Politik schimpfen, sondern auch mal offen sein für Vorschläge. Wirtschaftsminister Habeck sagte kürzlich, jeder Bürger könne einen Beitrag leisten. „Wenn man Putin ein bisschen schaden will, dann spart man Energie.“ Jawohl! Deswegen wird bei uns zu Hause jetzt konsequent durchgegriffen. Fernseher, Playstation und Handys bleiben nun dauerhaft aus. Die Kinder protestieren zwar lautstark, aber ich sage dann immer: „Was glaubt Ihr denn, wie sich erst der Putin darüber ärgert!“ In der Küche sind ebenfalls alle Geräte abgestellt. Gekocht wird nur noch im Garten über offener Flamme. Der Kühlschrank ist aus und das Gefrierfach abgetaut. Wir ernähren uns nur noch von Salzstangen, Dosenravioli und Keksen. Wäschewaschen ab jetzt nur noch einmal im Monat. Durch Homeschooling, Homeoffice und coronabedingtem Geruchsverlust eh überbewertet. 

Und weil Energiesparen auch gut für die Umwelt ist und Wohnen und Heizen echte Klimakiller sind und immerhin 18 Prozent unseres persönlichen CO2-Fußabdrucks ausmachen, wird bei uns ab März grundsätzlich im Garten gezeltet. Und aufs Auto habe ich als Kabarettist die letzten zwei Jahren durch ausgefallene Gastspiele so oft verzichtet, dass mein CO2-Fußabdruck mittlerweile dermaßen im Minus ist, dass ich eigentlich bis zum Jahresende mindesten fünf Shows in Las Vegas machen könnte – und jedes Mal mit dem Privatjet anreisen müsste, um wieder auf Null zu kommen. Aber nein, ich bin vernünftig – und es kommen ja bestimmt auch einmal wieder bessere Zeiten … Oder?

Mit seinen verschiedenen Kabarettprogrammen reist der Dresdner Kabarettist Erik Lehmann quer durch Deutschland und hat auch schon diverse Preise gewonnen. Unter dem Pseudonym Uwe Wallisch vertreibt der passionierte Hobbyimker zudem seinen eigenen Honig. Auf der Website www.knabarett.de ist Lehmann jederzeit käuflich und bestellbar. Honig gibt es auf uwes-landhonig.de.