Kurzarbeit während der Coronapandemie

06.05.2020 Kategorie:  Urteile und Recht

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Viele Unternehmen haben aufgrund der COVID-19-Pandemie Kurzarbeit eingeführt, um Entlassungen zu vermeiden. Damit ist jedoch zugleich ein nicht unerheblicher Eingriff in das arbeitsvertraglich vereinbarte Austauschverhältnis von Leistung und Gegenleistung verbunden.

Im Zuge der Coronakrise hat der Gesetzgeber einige Erleichterungen bei den Kurzarbeitsregeln geschaffen. Wenn alle Formalien eingehalten sind, müssen sich die betroffenen Arbeitnehmer auf Kurzarbeit einlassen und sich daran halten – gleichgültig, ob es ihnen gefällt oder nicht.

Was ist Kurzarbeit?

Bei Kurzarbeit werden die Arbeitszeit für maximal zwölf Monate um einen bestimmten Prozentsatz reduziert und das Bruttoentgelt entsprechend abgesenkt. Aufgrund eines am 13. März 2020 beschlossenen Gesetzes hat die Bundesregierung eine Verordnung über Erleichterungen der Kurzarbeit (KugV) erlassen, nach welcher Kurzarbeitergeld unter anderem gewährt werden kann, wenn zehn Prozent der Beschäftigten vom Arbeitsausfall betroffen sind.  Diese Verordnung gilt rückwirkend zum 1. März 2020.

Wenn durch den Arbeitgeber die entsprechenden arbeits- und sozialrechtlichen Regelungen eingehalten sind, erfolgt mit der Zahlung von Kurzarbeitergeld durch die Bundesagentur für Arbeit ein teilweiser Ausgleich des Verdienstausfalls, entweder in Höhe von 60 Prozent oder – bei Unterhaltsverpflichtungen mindestens für ein Kind – in Höhe von 67 Prozent des Entgelts für die ausgefallene Arbeitszeit. Dies gilt allerdings nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung von derzeit maximal 6.900 Euro brutto. Anmerkung der Redaktion: Für 2021ist die Beitragsbemessungsgrenze auf 7.100 Euro brutto angehoben worden.

Ab dem vierten Monat erhöht sich das Kurzarbeitergeld auf 70 respektive 77 Prozent, ab dem siebten Monat auf 80 beziehungsweise 87 Prozent des Entgelts für die ausgefallene Arbeitszeit. Die Berechnungsgrundlage für das Kurzarbeitergeld richtet sich nach der sogenannten Nettoentgelttabelle, die in einer Bundesverordnung geregelt ist. Unabhängig von der tatsächlichen Höhe des Nettoentgelts werden pauschale Nettoeinkommensbeträge aus dieser Tabelle als Berechnungsgrundlage entnommen.

Prämienzahlungen, Weihnachtsgelder, Urlaubsgelder und andere Zahlungen bleiben bei der Berechnung unberücksichtigt, nicht aber Entgelt aus Nebenbeschäftigungen.  Bei leistungsbezogenen Vergütungsbestandteilen kommt es auf den Turnus der Auszahlung an.

Das Kurzarbeitergeld selbst ist steuerfrei, unterliegt aber dem Progressionsvorbehalt. Beiträge zur Sozialversicherung für das Kurzarbeitergeld trägt aktuell pauschal die Agentur für Arbeit. Die Auszahlung des Kurzarbeitergeldes nimmt der Arbeitgeber vor und rechnet sie anschließend mit der Agentur für Arbeit ab.

Mitbestimmung des Betriebsrats

Nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG hat der Betriebsrat bei der Einführung von Kurzarbeit mitzubestimmen, das heißt, der Arbeitgeber kann Kurzarbeit nicht einseitig anordnen. Hier nimmt der Betriebsrat eine Prüfung der Rechtmäßigkeit für alle von ihm vertretenen Arbeitnehmer im Betrieb wahr, also auch für den Bereich der außertariflichen Angestellten (AT-Angestellte).

Voraussetzung für die Einführung der Kurzarbeit ist der Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung. In dieser Betriebsvereinbarung müssen die betroffenen Bereiche des Betriebes benannt, der Start und die Länge der Zeit der Kurzarbeit festgelegt sein sowie die betroffenen Arbeitnehmer aufgeführt und der Umfang der Verkürzung der Arbeitszeit im Verhältnis zur Vollarbeitszeit bestimmt sein. Dabei muss die Betriebsvereinbarung die tariflichen Regelungen beachten.

In Unternehmen ohne einen Betriebsrat bedarf es der Zustimmung jedes einzelnen Arbeitnehmers. Nur wenn diese Voraussetzungen eingehalten werden, gewährt die Bundesagentur für Arbeit Kurzarbeitergeld. Der Arbeitgeber ist in der Nachweispflicht für jeden einzelnen betroffenen Arbeitnehmer.

Kurzarbeit für leitende Angestellte

Für leitende Angestellte, die aufgaben- und nicht arbeitszeitbezogen arbeiten, ist Kurzarbeit kein geeignetes Instrument. Ein politischer Solidarbeitrag dieser Personengruppe, zum Beispiel in Form einer Gehaltskürzung um zehn Prozent, kann aus VAA-Sicht nur freiwillig erfolgen. Für leitende Angestellte ist hier eine Sprecherausschussrichtlinie im Sinne von § 28 Abs. 1 Sprecherausschussgesetz denkbar. Sie bedarf jedoch immer der einzelvertraglichen Umsetzung mit der Folge, dass es in jedem Fall ein freiwilliger Solidarbeitrag bleibt.

Was regeln die Chemie-Tarifverträge?

In § 7 des Manteltarifvertrages der IG BCE ist der tarifvertragliche Zuschuss zum Kurzarbeitergeld für Tarifmitarbeiter/innen geregelt. Bemessungsgröße sind 90 Prozent des Nettoarbeitsentgelts, das der Arbeitnehmer ohne Kurzarbeit im Abrechnungszeitraum erzielt hätte. Allerdings ist dieser Zuschuss steuerpflichtig. Überschreitet der Zuschuss zusammen mit dem Kurzarbeitergeld 80 Prozent des ausgefallenen Bruttoarbeitsentgelts (Fiktivlohn), besteht für den darüber hinaus gehenden Betrag Beitragspflicht in der Sozialversicherung, sofern die Beitragsbemessungsgrenze nicht überschritten wird. Am Ende kommen so weniger als 90 Prozent des bisherigen Nettoentgelts zusammen, aber der Einkommensverlust wird in einem erheblichen Maße ausgeglichen.

Die Ankündigungsfrist für die Durchführung der Kurzarbeit in tarifgebundenen Unternehmen beträgt nach § 7 I MTV Chemie üblicherweise 14 Tage. Diese Ankündigungsfrist kann durch Arbeitgeber und Betriebsrat oder aufgrund tariflicher Regelung verkürzt werden – gegenwärtig auf drei Tage.

Die tarifrechtlichen Grundlagen finden sich für VAA-Mitglieder im Anwendungsbereich des Akademiker-Manteltarifvertrages (MTV) in § 5 Ziff. 3. Diese Vorschrift regelt in Satz 1, dass bei Kurzarbeit ein Pauschalabzug vom Gehalt zulässig ist. Was das bedeutet, ist auslegungsfähig. Ein Anspruch auf die Aufstockung auf 90 Prozent wie bei Tarifmitarbeitern besteht nicht. Allerdings muss der Gehaltsabzug im Anwendungsbereich des Akademiker-MTV einen Monat zuvor angekündigt werden. Außerdem kann er frühestens zwei Monate nach Beginn der Kurzarbeit erfolgen, das heißt, die Mitarbeiter sind drei Monate vor einer Gehaltskürzung geschützt. Ist die Kurzarbeit vor Ablauf von drei Monaten wieder vorbei, haben die Mitarbeiter, die unter den Akademiker-MTV fallen, keine Gehaltseinbußen.

Diese Regelung ist aber nur vorteilhaft, wenn die Kurzarbeit kurze Zeit andauert. Derzeit ist jedoch davon auszugehen, dass die Kurzarbeit länger andauern dürfte. In diesen Fällen ist die Regelung im Akademiker-MTV nachteilig, da sie keine tarifvertragliche Aufstockung auf 90 Prozent enthält. Diese Aufstockung ist vor allen Dingen auch für die Mitarbeiter im AT-Bereich vorteilhaft, deren Bruttomonatsentgelt sich oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze von derzeit 6.900 Euro brutto bewegt. Denn für diesen Anteil am Entgelt gibt es kein Kurzarbeitergeld.

Tarifliche Öffnungsklausel

Aus Anlass der durch die COVID-19-Pandemie verursachten konjunkturellen Einbrüche in der Auftrags- und Ertragslage vieler Unternehmen der chemisch-pharmazeutischen Industrie haben der Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) und der VAA bereits am 23. März 2020 eine Öffnungsklausel zu § 5 des Manteltarifvertrags für akademisch gebildete Angestellte in der chemischen Industrie vereinbart.

Der Klausel zufolge „kann zur Erreichung einer unternehmens- oder betriebseinheitlichen Regelung der Kurzarbeit von den Vorschriften des § 5 abgewichen werden“, sofern die konjunkturelle Entwicklung infolge von Auftragsrückgängen und Ertragseinbrüchen größere Produktionseinschränkungen erforderlich macht. Die Regelung gilt rückwirkend ab 1. März 2020 und ist bis zum 31. Dezember 2020 befristet.

„Die Sozialpartner in der Chemie tun alles in ihrer Kraft Stehende, um die Ausbreitung der durch das neuartige Coronavirus verursachten COVID-19-Pandemie einzudämmen“, ordnet VAA-Hauptgeschäftsführer Gerhard Kronisch die Vereinbarung ein. Dazu gehöre selbstverständlich, dass sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer und Führungskräfte Verantwortung übernehmen, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

Die befristete Öffnungsklausel gibt den Unternehmen die nötige Flexibilität für schnelle und notwendige Reaktionen auf die konjunkturelle Entwicklung. „Wir sind davon überzeugt, dass wir am Ende gestärkt aus der Krise kommen“, so Kronisch. „Unser Akademiker-Manteltarifvertrag in der jetzigen Fassung gilt bereits seit 1976 und hat sich auch in Krisenzeiten stets bewährt.“

Wozu soll die Öffnungsklausel genutzt werden?

In einer solchen Situation ist es sinnvoll, für die vom Betriebsrat vertretenen Arbeitnehmer einheitliche Regelungen zur Kurzarbeit zu vereinbaren und den AT-Mitarbeitern die gleiche Aufstockung zu gewähren wie allen anderen vom Betriebsrat vertretenen Mitarbeitern. Dies geht nur mit einer Öffnungsklausel, wie sie zwischen VAA und BAVC vereinbart wurde. So wird eine unternehmens- und betriebseinheitliche Regelung zur Kurzarbeit ermöglicht, die zu einer Gleichbehandlung aller vom Betriebsrat vertretenen Mitarbeiter führt. Für VAA-Mitglieder, die unter den Akademiker-Manteltarifvertrag fallen, entfällt damit zwar die bis zu drei Monaten dauernde „Schonfrist“, sie erhalten dafür aber die Aufstockung auf 90 Prozent.

Neuer VAA-Rechner zum Kurzarbeitergeld online

Es ist davon auszugehen, dass es in Sachen Kurzarbeit nach wie vor vielfältigen Beratungsbedarf geben wird. Die VAA-Juristen stehen jederzeit zur Verfügung. Um einen Anhaltspunkt geben zu können, insbesondere für VAA-Mitglieder, die gegebenenfalls vom Bezug von Kurzarbeitergeld ausgeschlossen sind, hat der Verband unter MeinVAA.de/Service/Kurzarbeitergeld-Rechner exklusiv für seine Mitglieder einen Onlinerechner zur Berechnung des individuellen Monatsentgelts bei Kurzarbeit bereitgestellt.

Allgemeine Informationen zur Kurzarbeit für außertarifliche und leitende Angestellte gibt es in den entsprechenden VAA-Informationen. Einen kurzen Überblick bietet auch der VAA-Videoblog „Alles, was recht ist“ in seiner Spezialausgabe zur Kurzarbeit.