Wider die Herrschaft der Gefühle
Vor Kurzem hat der neue Präsident des VCI, der Vorstandsvorsitzende der Evonik Industries AG Dr. Klaus Engel, seine vielbeachtete Antrittsrede gehalten. Als neuer VCI-Chef hat Engel unter anderem gesagt: „Wir – die Industrie - müssen frank und frei die Leistungen der Ökologiebewegung einfach einmal anerkennen.“ Ohne den gesellschaftlichen Druck der Umweltbewegung hätte die Industrie kaum aus eigenem Antrieb die hohe Effizienz, den weitreichenden Umweltschutz und tiefere Nachhaltigkeit erreicht. Die Medien haben diesen Satz aufgegriffen. Das war so nicht erwartet: Gleich in der Antrittsrede der Ökologiebewegung die Hand auszustrecken! Wie immer, wenn man genau hinschaut, sind die Dinge vielschichtiger. Engel hat eine sehr ausgewogene Rede gehalten. Ich möchte dem VCI-Präsidenten im Namen unseres Verbandes an dieser Stelle viel Glück bei der Führung des neuen Amtes wünschen.
Er hat in seiner Rede ein Grundsatzproblem unserer Zeit angesprochen. Das mag ein anderes Zitat zeigen, das in der Presse nicht so aufgegriffen worden ist: „Wir müssen die Skepsis und die Bedenken gegenüber den neuen Technologien ernst nehmen. Es hat keinen Sinn, auf der technischen und wissenschaftlich rationalen Seite im Recht zu sein und auf der gesellschaftlichen Ebene nicht Recht zu bekommen.“ Das Zitat geht wie folgt weiter: „Deshalb brauchen wir einen offenen und fairen Dialog mit der Gesellschaft, der Ängste und Unsicherheiten ernst nimmt, aufgreift und zugleich das Vertrauen in die Forschung stärkt.“
Wir stehen in unserem Verband auf der Seite der Rationalität. Wir stehen für Forschung und Innovation. Wir leben in der Industrie, wir leben aber auch für die Industrie. Aber hat Engel nicht vollkommen recht mit seiner selbstkritischen Bemerkung: Dass die besten Argumente eben oft gegen die Tiefe der Ängste nicht ankommen. Mit seinen Worten: „Es ist zu oft ein Kampf der Ingenieure gegen die Theologen. Ingenieure vertrauen den Zahlen, sie unterliegen zu schnell den Argumentationen derer, die auf das Gefühl bauen.“
Wir dürfen uns mit solchen Entwicklungen in keiner Weise abfinden. Wankelmütigkeit ist keine politische Tugend, in der Industriepolitik ist sie aber geradezu Gift. Beharrlichkeit, Beständigkeit, Konzentration der Mittel und vor allem Augenmaß muss von der Politik erwartet werden, wenn die Pläne, die mit der jetzt verkündeten Hightech-Strategie 2020 gefasst wurden, nur ansatzweise Realität werden sollen.
Nur kann es nicht darum gehen, den Gegnern von industriellen Großprojekten vor Augen zu führen, dass ihre Ängste irrational sind. Ängste sind irrational! Sonst wären sie keine Ängste. Wer weiß, wie schwer es schon im Privaten ist, sich selbst Ängste einzugestehen, der kann ermessen, um wie viel schwerer es ist, Zukunftsangst öffentlich einzugestehen. Damit spielen darf man schon gar nicht! Und das sage ich ausdrücklich auch an die Adresse derjenigen, die für Nachhaltigkeit demonstrativ eintreten.
Es hilft also nichts: Wir mögen die rationaleren Argumente haben, aber wir müssen für sie werben! Wir als Führungskräfte sind dafür verantwortlich, dass die Zukunft in erster Linie als Raum der Chancen und nicht als Verlies der Bedrohungen wahrgenommen wird. Wir müssen dafür sorgen, dass technische Innovationen wieder als das erscheinen, was sie sind: Lösung weit mehr als Ursache zahlreicher Probleme.
Ihr
Dr. Thomas Fischer