Braucht es soziale Patrioten?

Als General De Gaulle die Formel vom Europa der Vaterländer prägte, mag das unter den Nachkriegsverhältnissen der einzige Weg gewesen sein, europäische Integration mit der gewachsenen Nationalstaatlichkeit zu verbinden. Klar war aber, dass er mit dem Appell an die Vaterlandsliebe nicht die Integration Europas zu beschleunigen gedachte. In ihrem historischen Erfahrungsschatz verfügt die SPD über ganz andere Wissensbestände, an die zu erinnern heute wichtig wäre. Es ging dieser Partei in ihrer Geschichte immer wieder auch darum, ins Bewusstsein zu rufen, dass Lebens- und Interessenlagen über die Grenzen der Nationalstaaten hinweg verbinden. Der griechische Angestellte, der um sein Einkommen und seine Stelle bangt, hat mit dem deutschen Angestellten, der sich vor wachsenden Steuerlasten und Inflation fürchtet, vieles gemein: trotz des harten Konflikts um den richtigen Weg aus der Krise, der sie unweigerlich trennt. Nur haben beide nicht die Möglichkeit, als Staatsbürger miteinander etwa in gemeinsamen Parteien in einem gemeinsamen Parlament, um ihre jeweiligen Rechte und Pflichten zu ringen. Das geben die europäischen Institutionen nicht her.

Jedenfalls stört an dem Lob des sozialen Patriotismus folgendes: Eine gar nicht so große Minderheit in der Bevölkerung schultert sehr solidarisch den Großteil des Einkommenssteueraufkommens. Sie genügt damit ihrer staatsbürgerlichen Pflicht, folgt man der Logik der SPD, dann erfüllt sie aber auch „nur“ ihre staatsbürgerliche Pflicht. Sie darf sich aber nicht, weil ihr der Gestus des Spendablen nicht vergönnt ist, mit dem Ehrentitel des sozialen Patrioten schmücken.

Möchte die SPD etwa wirklich die Staatsfinanzierung, wie der Philosoph Sloterdjik, zur freiwilligen Angelegenheit der Stolzen, der Vaterlandsliebenden machen? So ehrenwert, sozial sensibel und verantwortungsvoll das Angebot eines Müller-Westernhagen ist. Das kann nicht der Ernst der Sozialdemokraten sein. Sie sollten deshalb die Forderung nach einem höheren Spitzensteuersatz auch nicht mit dem Rauch höherer, patriotischer Weihen umgeben.

So sollte man in beiden Lagern darauf achten, nicht der kurzatmigen Umwertung grundlegender Werte das Wort zu reden: Das gilt für die Werte der selbstbestimmten Bürgerlichkeit und das gilt für den Grundwert der Sozialstaatlichkeit, der mit pathetischer Vaterlandsliebe nicht so viel, dafür mehr mit nüchternem Verfassungspatriotismus gemein hat.

Ihr

Dr. Thomas Fischer

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