EU-Finanzpolitik: Kann der Weg das Ziel bleiben?
Der Herbst ist angebrochen – glaubt man den jüngsten Prognosen, könnte es für Deutschland gar ein goldener werden. Die Produktion wächst, der Exportmotor läuft und die Beschäftigtenzahlen bleiben stabil. Dem aktuellen VCI-Quartalsbericht zufolge hat die chemische Industrie den durch die Finanz- und Wirtschaftskrise verursachten Einbruch schon fast kompensiert. Doch erste konjunkturelle Lichtblicke dürfen nicht den Blick dafür verstellen, dass der Bereich der Finanzpolitik noch mitten in der Bewältigung der Krisenfolgen steckt.
Zwei Dinge sind hier bemerkenswert: Zum einen haben die weltweit wichtigsten Zentralbanken und Bankenaufsichten das Reformwerk „Basel III“ beschlossen, zu dessen Hauptbestandteilen die überfällige Verschärfung der Eigenkapitalquote für Banken gehört. Dass lange Anpassungszeiten gewährt werden, halte ich im Sinne ausreichender Versorgung der Realwirtschaft mit Krediten für angemessen. Fraglich ist, ob die Standards wirklich zu weltweiten Spielregeln werden. Die amerikanischen Banken haben sich in der Vergangenheit nicht durch allzu große Folgebereitschaft hervorgetan. Zum anderen haben sich die EU-Finanzminister auf eine gemeinsame, aus drei EU-Behörden bestehende Finanzaufsicht für Banken, Börsen und Versicherungen geeinigt. Beides leuchtet ein: Es ist nur fair, die durch massive staatliche Subventionen vor dem Kollaps bewahrte Finanzwirtschaft klareren Regeln zu unterwerfen und an der Krisenvorsorge zu beteiligen. Ob aber diese Maßnahmen für eine effektive Krisenvermeidung ausreichen?
Die EU-Antwort auf die Finanzkrise war jedenfalls eine Politik der großen Worte und kleinen Taten. Abgesehen von auf nationaler Ebene eingeführten, eher bescheiden ausgefallenen Bankenabgaben ist nicht viel passiert. Noch immer wird über eine Finanztransaktionssteuer gestritten, wie sie etwa Wolfgang Schäuble fordert. Aber der deutsche Finanzminister steht in dieser Sache weitgehend allein, mit Ausnahme Frankreichs und Österreichs. Eine derartige Steuer würde helfen, ausufernde kurzfristige Spekulationsgeschäfte zumindest etwas einzudämmen. Denn im Gegensatz zur Bankenabgabe, deren Höhe sich nach Bilanzsumme und Risikoeinstufung der jeweiligen Kreditinstitute richtet, bezöge sich eine Finanztransaktionssteuer auf sämtliche an den Börsen und im außerbörslichen Handel getätigten Geschäfte. Das Wirkungsspektrum wäre somit wesentlich breiter.
Auch die EU-Kommission ist skeptisch eingestellt und warnt vor Risiken für europäische Finanzplätze im globalen Wettbewerb. Untätig ist die Kommission deshalb in der Steuer- und Finanzpolitik keineswegs. Die prekäre EU-Haushaltslage dient als willkommener Anlass oder Vorwand im permanenten Kampf um die Festigung und Erweiterung der eigenen Kompetenzen gegenüber den Mitgliedsstaaten. Erst kürzlich hatte EU-Kommissar Janusz Lewandowski die Schaffung einer EU-Steuer angeregt. Der Aufschrei war – erwartungsgemäß – groß. Eine eigene EU-Steuer ist unpopulär, auch in Deutschland. Auch ein Wolfgang Schäuble warnt vor dem drohenden Souveränitätsverlust und der Transferunion, die es zu verhindern gelte. Ein eigenes Steuerheberecht der EU würde sie vermutlich endgültig in Richtung eines föderalen Staatswesens steuern.
Die Transferunion als Vorstufe eines EU-Steuerstaates ist indes näher, als man das Wahlvolk glauben lassen mag. Das im Zuge der Griechenland-Krise aufgelegte 750-Milliarden-Euro-Programm zur Stabilisierung des Euros – und, ganz nebenbei, auch etlicher westeuropäischer Banken, die zahlreich in griechischen Staatsanleihen investiert waren – kann de facto den Einstieg in ein koordiniertes EU-internes Transfersystem bedeuten. Ergänzt man den Rettungsschirm durch die geplante Reform des Stabilitätspaktes, wonach die 27 EU-Finanzminister ihre jeweiligen Budgetpläne vorab mit der EU abstimmen müssen, zeichnen sich zusehends Konturen einer Europäischen Wirtschaftsregierung am EU-Horizont ab. Dies birgt erhebliche politische Risiken. Wie sollen etwa Griechen und Deutsche unter den heutigen Bedingungen in eine sinnvolle politische Diskussion über das sie inzwischen gleichermaßen berührende Thema der griechischen Haushaltskonsolidierung treten? Ex-Außenminister Joschka Fischer hat in einer berühmten Rede an der Berliner Humboldt-Universität die Frage nach der Finalität Europas aufgeworfen: Sie stellt sich dringender denn je!