Kündigungsschutz: Vertrauenskultur als Standortvorteil
In gut einem Jahr wird der Deutsche Bundestag neu gewählt. Für die Abgeordneten heißt das: Es ist allmählich an der Zeit, sich für den Wahlkampf in Stellung zu bringen. Sich abzugrenzen, sich stärker zu profilieren. Die alles beherrschende Finanzkrise bietet dafür wenig Spielraum. Rettungsschirme aufspannen und erweitern, um die Finanzmärkte zu beruhigen, das ist derzeit Parteiraison in allen Fraktionen jenseits der LINKEN. Eine echte Profilierung ist hier nur um den Preis zu haben, in der eigenen Fraktion als Abweichler zu gelten. Ein wenig aus der Zeit gefallen wirkt es, sich just den Kündigungsschutz als Feld der Profilierung auszusuchen. Gewiss, der Unmut vieler Mitglieder und Stammwähler der CDU über die gefühlte „Sozialdemokratisierung“ der Partei ist kein Geheimnis. Im Gegenzug zur stärkeren Regulierung der Zeitarbeit mehr Flexibilität für die Unternehmen durch eine Deregulierung des Kündigungsschutzes zu fordern, das mag dem einen oder anderen als probate Schärfung des wirtschaftspolitischen Profils erscheinen.
Im Grundsatz ist es auch nicht verkehrt: Unternehmen brauchen Flexibilität. Freie unternehmerische Entscheidungen sind eine der wichtigsten Grundlagen unseres Wirtschaftssystems. Doch ebenso gehört zu unserem Wirtschaftssystem die gewachsene Vertrauenskultur zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Durch das Vertrauen auf den Bestandschutz ihrer Arbeitsverhältnisse können die Arbeitnehmer ihr Know-how optimal einbringen. Durch das Vertrauen darauf, dass in der Krise dank atmender Arbeitszeitsysteme auch ohne Entlassungen genügend Flexibilität möglich ist, werden Unternehmen zum Erhalt und Ausbau dieses Know-hows ermutigt.
Für unsere wissensbasierte Volkswirtschaft ist das ein nicht zu unterschätzender Standortvorteil. Es ist aus wirtschaftspolitischer Sicht nicht profilbildend, sondern gefährlich, diese Vertrauenskultur zu Gunsten einer Kündigungsschutz-Reform, deren beschäftigungsfördernde Wirkung auf den Arbeitsmarkt bestenfalls als umstritten bezeichnet werden kann, in Frage zu stellen.
Dass im Aufschwung auch mit den bestehenden Kündigungsschutzregeln viele neue Beschäftigungsverhältnisse entstehen, zeigt die Arbeitsmarktstatistik. Und wer als Arbeitgeber im Abschwung wirklich entlassen muss, hat mit dem Mittel der betriebsbedingten Kündigung keine Probleme, sofern er rechtskundig beraten vorgeht.
Ohnehin sollten sich die Unternehmen angesichts der demografischen Entwicklung die Entscheidung für einen Arbeitsplatzabbau nicht allzu leicht machen. Mehr denn je gilt: einmal abgebautes Wissenskapital lässt sich nur schwer wieder aufbauen. Schon deshalb geht eine Diskussion um die Deregulierung des Kündigungsschutzes an der Realität des deutschen Arbeitsmarktes vorbei.