Bitte keine kübelweise Kampf-Erleuchtung
Haben Sie schon einmal versucht, eimerweise Licht in ein fensterloses Rathaus zu schleppen? Nein, werden Sie die Idee empört von sich weisen. Das machen doch nur die Schildbürger. Nun ja: In Sachen Gesundheitspolitik scheinen sich die Koalitionäre untereinander derzeit im Kampfeseifer bevorzugt Kübel um Kübel der Erleuchtung zu verabreichen. Nur für den Bürger erhellen die diversen Stellungnahmen nicht wirklich den Zweck der Übung.
Die Bundesregierung hat vergangene Woche die Eckpunkte der neuen Gesundheitsreform vorgestellt. Versprochen wurde der ganz große Wurf. Herausgekommen ist die Mutter aller Kompromisse. Klares Konzept? Fehlanzeige. Viele kleine Änderungen wurden vorgenommen, in ihrer Gesamtheit passen sie jedoch nicht so recht zusammen. Statt einer nachhaltigen Strukturreform wird kurzfristig der Schaden begrenzt. Das drohende Defizit von 11 Milliarden Euro im kommenden Jahr wird durch eine einfache Beitragserhöhung und unsystematische Einsparungen abgewendet. Grundlegende Ansätze für mehr Effizienz und Wirtschaftlichkeit sucht man vergebens. Das ist schade, denn an einigen Stellen stimmt der eingeschlagene Weg. Es fehlen jedoch der Mut und die nötige Geschlossenheit, diese Punkte konsequent und stimmig umzusetzen.
Begrüßenswert ist der Wille der Bundesregierung, mehr Transparenz und Wettbewerb unter den Kassen zu fördern. Der 2009 eingeführte Gesundheitsfonds der Großen Koalition hatte hierzu freilich wenig beigetragen. Das haben die Großkoalitionäre damals im Widerstreit der Ideen zwischen dem Einstieg in die Volksversicherung und dem Ausstieg aus der beitragsfinanzierten gesetzlichen Krankenversicherung billigend in Kauf genommen. Nun arrangiert man sich anscheinend, frei nach der Devise: Nichts ist beständiger als das Provisorium.
Die schwarz-gelbe Gesundheitsreform hat, zum wievielten Mal das Ziel, den Wettbewerb im Gesundheitssystem zu stärken? Das Instrument höherer Zusatzbeiträge greift hier jedoch nur bedingt. Es ist bedauerlich, dass den Kassen die vor dem Gesundheitsfonds noch bestehende Möglichkeit, direkt über unterschiedliche Beitragssätze zu konkurrieren, genommen ist. Denn jetzt führt der Umweg über den Gesundheitsfonds und die höheren Zusatzbeiträge in erster Linie dazu, dass die Arbeitgeber aus ihrer Verantwortung für die Begrenzung des Ausgabenanstiegs zum Teil entlassen werden. Künftige Ausgabensteigerungen dürften immer stärker zu Lasten der Versicherten gegenfinanziert werden. Die aus konjunkturellen Gründen zur Stärkung der Binnennachfrage dringend erforderliche Entlastung der mittleren Nettoeinkommen bleibt aus.
Das könnte von den Gewerkschaften in der anstehenden Tarifrunde mit der Forderung nach höheren Tariflohnsteigerungen beantwortet werden. Sollte das der Effekt sein, dann wäre die Bundesregierung mittelbar dafür verantwortlich, womöglich in der derzeit unsicheren Konjunkturlage eine Lohn-Preis-Spirale in Gang gesetzt zu haben. Ein gefährlicher Inflationsanstieg wäre die Folge.
Auch auf der Ausgabenseite muss gespart werden. Jedoch sollten die Lasten hier auf alle Schultern gleichermaßen verteilt werden. Nicht nachvollziehbar ist für mich beispielsweise, dass Apotheken von den Sparvorgaben weitgehend ausgenommen werden, während die Pharmaindustrie mit willkürlich gesetzten Zwangsrabatten belastet wird. Unbestritten muss der Arzneimittelmarkt neu geordnet werden. Hier sollten Strukturen geschaffen werden, die einen fairen Wettbewerb ermöglichen. Die Medikamentenversorgung ist jedoch nicht alleine für die Ausgabenentwicklung verantwortlich und kann deshalb auch nicht alleine das grundlegende Finanzierungsproblem lösen.
Die Pharmaindustrie schultert die Hauptlast des Sparziels von 3,5 Milliarden Euro. Größter Ausgabenposten mit 56,4 Milliarden Euro waren 2009 hingegen die Krankenhäuser. Die Ausgaben stiegen hier im vergangenen Jahr um 6,6 Prozent je Versicherten an. Geschuldet ist dies unter anderem der Honorarreform, die den Krankenhäusern einen ordentlichen Nachschlag sicherte. Gerade im größten Ausgabenposten sollte jedoch eine stabile Basis für mehr Wirtschaftlichkeit geschaffen werden.
Die Bundesregierung hat sich mit der Reform ein wenig Zeit verschafft. Es wird ihr indes nichts anderes übrig bleiben, als das ungeregelte Verfahren der kübelweisen Kampf-Erleuchtung durch einen gesitteten, aufgeklärten politischen Diskurs zu ersetzen. Er muss sich auf der Höhe der erheblichen Herausforderungen durch den demografischen Wandel bewegen, soll er wirklich zur Erhellung und damit zur Lösung der massiven Systemprobleme beitragen.
Ihr Gerhard Kronisch