Fracking: Argumente statt Bauchgefühle
Wer derzeit mit dem Auto in den ländlichen Gebieten Deutschlands unterwegs ist, entdeckt hier und da an Scheunen, abgestellten Anhängern oder einfach am Straßenrand Plakate, oft mit Totenköpfen und anderen drastischen Symbolen dekoriert. „STOP Fracking“ ist da häufig zu lesen oder auch „Keine Chemie in unserer Erde“. Nachdem die Atomkraft ihre gesellschaftliche Sprengkraft inzwischen weitestgehend verloren hat, ist Fracking – also die Gasförderung aus tiefliegenden Sedimentschichten mithilfe spezieller Bohrverfahren und Chemikalien – das neue Thema in der deutschen Energiedebatte. Kaum verwunderlich, denn während die Gegner der Fördermethode sie für rundweg gefährlich halten, verweisen die Befürworter auf die Vereinigten Staaten. Dort wurde mit dem flächendeckenden Einsatz des Verfahrens in der Erdgasförderung die Energiewirtschaft umgekrempelt: Der Preis für Erdgas ist in den USA auf unter ein Drittel des Höchstpreises von vor einigen Jahren gefallen. Auch der Strompreis ist spürbar gesunken. Solche energiepolitischen Erfolge werfen zu Recht die Frage auf, ob Deutschland auf diesen Zug aufspringen könnte und sollte.
Man kann sich der Antwort auf diese Frage mit sachlichen Argumenten nähern: Wir befinden uns mitten in einer Energiewende, deren Ausgang man – vorsichtig ausgedrückt – als ungewiss bezeichnen kann. Eine importunabhängige Basis für den Nachschub mit einem Energieträger, der klimaverträglicher ist als Kohle und flexibler als Sonne und Wind, hätte viel für sich. Sinkende Gas- und Strompreise wären für die deutsche Industrie ein Segen. Fraglich ist allerdings, ob die vergleichsweise kostspielige und flächenintensive Fördermethode im dicht besiedelten Deutschland ein vergleichbares Potenzial entfalten könnte wie in den USA. Hinzu kommt, dass die Risiken für die Umwelt noch nicht umfassend erforscht sind.
Diese Einwände gegen das Verfahren erhebt auch der Sachverständigenrat SRU, der die Bundesregierung in Umweltfragen wissenschaftlich berät. Ganz anders die Bundesanstalt für Geowissenschaft und Rohstoffe. Sie betont die Möglichkeit des umweltverträglichen Frackings und verweist darauf, dass selbst bei konservativer Schätzung die durch Fracking zu gewinnende Erdgasmenge in Deutschland die konventionellen Erdgasressourcen um ein Vielfaches übersteigt. Auch die regierungsnahen Experten sind sich also uneins.
Doch selbst der SRU hält es für erwägenswert, die vorhandenen Wissenslücken anhand von wissenschaftlich fundierten Pilotprojekten zu schließen. Das klingt nach einem Vorschlag, der den Fracking-Gegnern schon zu weit und den Fracking-Befürwortern vermutlich nicht weit genug geht. Und der sich gerade deshalb als brauchbarer Kompromiss hätte erweisen können. Hätte, weil die schwarz-gelbe Bundesregierung Anfang Juni ihren lange angekündigten Gesetzentwurf zum Fracking zumindest für diese Legislaturperiode beerdigt hat.
Christdemokraten und Liberale konnten sich weder auf eine Freigabe unter klar geregelten Auflagen noch auf ein ausdrückliches Verbot einigen und schieben sich dafür gegenseitig die Schuld in die Schuhe. Im Ergebnis bleibt es bei der unklaren Rechtslage, die schon bislang herrscht: kein Verbot, aber auch keine klaren rechtlichen Rahmenbedingungen für die Umsetzung. Am Ende gewinnen weder Umweltschutz noch Investitionssicherheit. Geradezu symptomatisch ist da der Kommentar eines Parteisprechers zum Scheitern des Gesetzentwurfes: Die Bürger müssten sich keine Sorgen machen, weil angesichts der weiterhin unsicheren Rahmenbedingungen kein Unternehmen bereit sein werde, hierzulande in die Technik zu investieren.
Das stimmt. Aber kann das der Anspruch sein? Bei der technologischen Entwicklung der Petrochemie haben deutsche Chemiker und Ingenieure eine wichtige Rolle gespielt. Warum sollten sie nicht in der Lage sein, eine umweltverträgliche Fracking-Lösung zu entwickeln, die sich obendrein vielleicht sogar als technologischer Export-Schlager erweist? Stattdessen wird das Thema aus Angst vor der unkalkulierbaren Reaktion der Wähler aufs Wartegleis geschoben und Deutschland verpasst die Gelegenheit, die potenziellen Chancen der Technologie auch nur fundiert zu ergründen. Für eine Regierungskoalition, die sich die Förderung des deutschen Industriestandortes auf die Fahnen geschrieben hat, ist das zu wenig. Auch und gerade drei Monate vor der Bundestagswahl.