Sozialauswahl bei Kündigung: Alter vor Unterhaltspflicht?
Das Alter eines Arbeitnehmers kann bei der Sozialauswahl im Kündigungsfall wichtiger sein als bestehende Unterhaltspflichten für Kinder. Das hat das Landesarbeitsgericht Köln entschieden.
Ein Metallverarbeitungsunternehmen hatte aus zwei Führungspositionen eine gemeinsame Stelle geschaffen und diese mit einem der beiden vorherigen Stelleninhaber besetzt. Der zweiten Führungskraft wurde die Kündigung ausgesprochen. Bei der Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) hatte das Unternehmen dabei einem 35-Jährigen mit zwei Kindern den Vorzug vor einem 53-Jährigen ohne Kinder gegeben und dem älteren Arbeitnehmer gekündigt. Dieser wandte sich vor Gericht gegen die Kündigung. Seine Klage wurde jedoch in erster Instanz vom Arbeitsgericht Siegburg abgewiesen, weil nach dessen Auffassung die soziale Auswahl bei der Kündigung nicht zu beanstanden war.
Dem widersprach in der Berufung das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) und erklärte die Kündigung des älteren Arbeitnehmers für unwirksam (Urteil vom 18.02.2011, Az. 4 Sa 1122/10).
§ 1 Abs. 3 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz
Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben.
Der 53-Jährige befinde sich mit seinem Alter hinsichtlich seiner Chancen auf dem Arbeitsmarkt im „schlechtestmöglichen Bereich“, so das LAG. Der 35-Jährige habe dagegen sehr viel bessere Chancen, eine neue Beschäftigung zu finden. Die Unterhaltspflichten für seine Kinder würden also mit hoher Wahrscheinlichkeit gar nicht beeinträchtigt. Anders als das Arbeitsgericht Siegburg stellten die Kölner Richter deshalb fest, dass dem Lebensalter des älteren Arbeitnehmers bei der Sozialauswahl in diesem Fall höheres Gewicht zukam als der Unterhaltsverpflichtung des Jüngeren. Da sich die Arbeitnehmer hinsichtlich der beiden anderen Kriterien des § 1 Abs. 3 KSchG (Betriebszugehörigkeit und Schwerbehinderung) nicht unterschieden, habe der Arbeitgeber seinen Wertungsspielraum bei der Sozialauswahl überschritten. Die Kündigung des älteren Arbeitnehmers sei deshalb unwirksam.
VAA-Praxistipp
Die vier Kriterien des § 1 Abs. 3 KSchG sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) prinzipiell gleichrangig. Wenn der Arbeitgeber die vier Kriterien ausreichend berücksichtigt hat, liegt die Entscheidung in seinem Wertungsspielraum. Laut BAG verstößt die Berücksichtigung des Lebensalters bei der Sozialauswahl aber gerade deshalb nicht gegen das Verbot der Altersdiskriminierung, weil es zur Einbeziehung der individuellen Arbeitsmarktchancen geeignet und erforderlich ist. Bei einem erheblichen Altersunterschied zwischen zwei Arbeitnehmern kann dem Lebensalter bei der Sozialauswahl daher besonderes Gewicht zukommen.