Nach Europawahl: Ringen um Klima-Milliardenhilfen
Das Europaparlament ist gewählt. Nur 43 Prozent der Wahlberechtigten haben ihre Stimme abgegeben. Das ist bedauerlich. Ein kräftiger Legitimationsschub durch die Wahlen wäre willkommen gewesen.
Naseweis fragt ein kleiner Dreikäsehoch vor dem Wahllokal: Habt ihr jetzt die „Abgesetzten von Europa“ gewählt? Versprecher und Treffer zugleich! Hat man doch einst wirklich manchen "Polit-Opa" im Straßburger Europaparlament abgesetzt? Als politisches Altenteiler-Pöstchen wird inzwischen aber kaum einem der Abgeordneten der Job in Straßburg mehr zugeschanzt. Dafür hat das Parlament zu viel zu sagen.
Allerdings gilt wohl auch: Könnte man jemanden mit konkreter Regierungsmacht bei der Europawahl absetzen, dann gingen die Bürger vielleicht mit mehr Begeisterung zur Wahl. Kann man aber nicht. Die „Regierung von Europa“ ist der Europäische Rat, die Zusammenkunft der Regierungschefs. Sie beschließen als europäischer Gesetzgeber über die Richtlinien und Verordnungen. Die Europäische Kommission bereitet die europäischen Gesetze vor und führt die Geschäfte. Das Parlament berät die Gesetzesvorhaben mit. Die mächtigen Regierungschefs, die zur Regierung Europas zusammenkommen, werden indessen zuhause in ihren jeweiligen Mitgliedsstaaten gewählt: Und nur dort können sie auch die Macht verlieren.
Wer Demokratie als Chance auf Machtwechsel versteht, wird deshalb an der Wahlurne ungeduldig. Wem die Stimme geben, wenn die zuhause so mächtigen Parteien im Europaparlament kaum denselben Einfluss haben? In Deutschland stöhnt man bereits über die Schwierigkeiten, im Fünf-Parteien-System eine Regierungskoalition aufzustellen. Im Europäischen Parlament machen sich stattliche sieben Fraktionen nebst allerlei fraktionslosen Abgeordneten ans Gesetzeswerk. Die einzelnen Parlamentarier können unter diesen Umständen viel unabhängiger von Fraktionsdisziplin rein nach Sachlage entscheiden. Sie müssen aber als Preis für diese Sachorientierung damit leben, dass ohne europäische Parteien eine europäische Öffentlichkeit fast nie hergestellt werden kann.
Als Verbandsvorsitzender beschäftigt mich Europa, weil es seine Unverzichtbarkeit unter Beweis stellt, je unsteuerbarer es ob seiner Vielfalt zu werden scheint.
Zwei aktuelle Themen dazu: Die Finanzkrise hat der Wirtschaft vor Augen geführt, ohne effektive Kontrolle der Banken und Finanzdienstleister kann jederzeit die nächste Spekulationsblase entstehen.
Man kann sich nach den Erfahrungen der vergangenen Monate nur schwer vorstellen, es bei einer europaweit verteilten Aufsicht über diesen Wirtschaftssektor zu belassen. Mehr noch: Europa sollte bei der Umsetzung der Beschlüsse der G 20 für eine Weltfinanzarchitektur nach Möglichkeit die Führung übernehmen. Nur jetzt ist das Fenster der Möglichkeiten weit aufgestoßen. Im November 2008 noch hatten die Regierungschefs der G 20 versprochen, alle Finanzprodukte weltweit der Kontrolle zu unterwerfen. Das Versprechen ist einzulösen.
Ordnungspolitischer Kompass für Klimaschutzpolitik
Ein anderes Thema, der Weltklimaschutz: Aufmerksam hat die auf Planungssicherheit im Energiebereich und im Emmissionsschutzrecht angewiesene Chemieindustrie die Haltung der Europäer auf der UN-Klimaschutzkonferenz verfolgt. Bis vor kurzem versuchten die 192 Delegationen in Bonn Kompromisse vorzubereiten. Sie sollten auf dem Gipfel der Mitgliedsstaaten der UN-Klimakonvention Anfang Dezember in Kopenhagen in ein neues globales Klimaschutzabkommen nach Kyoto gegossen werden.
Immer deutlicher zeichnet sich ab, dass die Industrienationen hunderte von Milliarden als Hilfe zum Einstieg der Schwellenländer in den Klimaschutz bereitstellen sollen. Immer deutlicher wird auch, dass dieses gigantische Programm im Ergebnis erheblichen Einfluss auf die jeweilige Standortqualität und die Wettbewerbssitutation haben würde. Hier hilft kleinteiliger Nationalstaatsegoismus genauso wenig wie gutgläubige Klimaschutzeuphorie. Dringend muss die Klimaschutzpolitik durch einen ordnungspolitischen Kompaß eingenordet werden. Jedenfalls muss in dem innereuropäischen Klärungsprozess vermieden werden, dass Deutschland zugleich die Rolle des Zahlmeisters und des Emissionsmusterknaben spielt, während sich andere einen Dreck um ihren Dreck scheren dürfen.