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Lissabon war einmal in Portugal
Lissabon war einmal in Portugal. Jetzt scheint es in Utopia zu liegen. Jedenfalls dann, wenn man an jenes Lissabon denkt, das Schauplatz eines denkwürdigen europäischen Gipfels war. Im März 2000 beschlossen die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, im Jahr 2010 solle Europa zum dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt geworden sein. Die Spitzenpolitiker versprachen sich, auf ausgeglichene Staatshaushalte und auf Geldwertstabilität zu achten. Lang, lang ist's her…
Außerdem schwor man sich damals in Portugal auf das Ziel ein, drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Forschung und Entwicklung zu stecken: Innovationsfähigkeit als Schlüssel zur Zukunft! Doch: Liegt die Zukunft noch vor uns, oder durch die Finanz- und Wirtschaftskrise bis auf weiteres hinter uns?
Hohe Forschungsetats in der Chemie
Der aktuelle Bundesbericht zu Forschung und Innovation des Bundeswissenschaftsministeriums stammt aus 2008. Er zeigt, dass in der Bundesrepublik ab 2000 bis zum Jahr 2005, Jahr für Jahr stets um die 2,5 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung aufgewendet wurden. Damit lag die Bundesrepublik im guten Mittelfeld der Industrienationen: So gut, so schlecht. Etwa zwei Drittel dieser Aufwendungen schulterte die Wirtschaft. Mit leicht abnehmender Tendenz finanzierte der Staat lediglich ein Drittel aller Aufwendungen.
Die internen Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen der Unternehmen betrugen im Jahr 2005 im Schnitt 3,2 Prozent des Umsatzes, in der Chemie 3,7 Prozent und im Fahrzeugbau sogar 4,5 Prozent. Obwohl nur etwa jeder zehnte Beschäftigte des verarbeitenden Gewerbes in der Chemie arbeitet, hatte die Chemie im Jahr 2006 einen Anteil von knapp einem Fünftel an den gesamten Forschungsaufwendungen im verarbeitenden Gewerbe. Bricht man die Forschungsbudgets auf den einzelnen Mitarbeiter herunter, dann nimmt die Chemie 2005 mit 18.530,- € pro Mitarbeiter einen guten dritten Platz noch vor dem Fahrzeugbau mit 16.710,- € ein. An der Spitze steht mit deutlichem Abstand die Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft mit 26.500 €.
Je härter die jetzige Krise zuschlägt, umso weniger kann und darf es Zweifel daran geben, dass der Weg aus dieser Krise nur über vorzügliche Grundlagenforschung und zeitnahe Umsetzung neuer Ideen in der Anwendungsforschung führen kann.
Genveränderte Hefe bildet Karbonsäure
Kurze Meldungen, gut und schlecht, aus der Biotechnologie lassen deshalb aufhorchen. Die gute Nachricht betrifft neue Chancen zur Herstellung von Karbonsäuren aus nachwachsenden Rohstoffen. Mikrobiologen und Biotechnologen von der Technischen Universität Dresden und dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig haben die Hefesorte Yarrowia lipolytica gentechnisch manipuliert. Dadurch kann diese Hefesorte Kristallzucker als Nährstoff aufnehmen. Sie ist nicht mehr auf Parafine angewiesen, die auf der Basis von Erdölen hergestellt werden. Gemeinsam mit Forschern des Science-to-Business Centers der Evonik Degussa in Marl haben die Wissenschaftler aus Sachsen zeigen können, dass diese gentechnisch manipulierte Hefe durch ihren Stoffwechsel Alpha-Ketoglutarsäure (KGA) bilden kann. Diese Säure wird in der Pharmazie als Bestandteil von Infusionslösungen eingesetzt. Auch die Lebensmittelindustrie braucht Karbonsäuren wie etwa Zitronensäure.
Zeitgleich verkündet Bayer CropScience dagegen, seine agrobiotechnologische Forschung in der Bayer Bioscience von Potsdam nach Gent in Belgien zu verlagern. Der Direktor des Potsdamer Max-Planck-Instituts für molekulare Pflanzenphysiologie, aus dem die Bioscience ursprünglich ausgegründet worden war, zeigte sich betroffen, aber nicht überrascht, „da es in Deutschland keine politische Unterstützung für pflanzliche Biotechnologie gibt“, so Mark Stitt.
Die schwer verständliche Gegensätzlichkeit von Forschungserfolg hier und Umsetzungshindernissen dort, gespeist aus Ängsten und Forschungsfeindlichkeit, zeigt: Diese Krise ist womöglich nicht nur eine der Finanzwirtschaft, welche die an sich gesunde Realwirtschaft angesteckt hat. Sie könnte tiefer gehen, weil sich die Gesellschaft ihrer rationalen Handlungsgrundlagen nicht mehr sicher ist. Forschung aber gedeiht nur dort, wo das rationale Argument und nicht die wage Besorgnis zählt.
Ihr Dr. Thomas Fischer