Verdienter Respekt statt geliehener Autorität
Joachim Gauck wird der neue Bundespräsident. Ginge es nach der Meinung einiger Staatsrechtler, das Amt wäre gar nicht erst neu besetzt worden: Bernhard Wegener, Direktor des Instituts für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Erlangen-Nürnberg, hält das Amt für einen "dummen Anachronismus“ und den Amtsinhaber – unabhängig von der Person – für einen „Hanswurst der Politik“. Hans Michael Heinig, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht der Universität Göttingen, plädiert dafür, die verfassungsrechtlichen Aufgaben des Bundespräsidenten auf den Bundestagspräsidenten zu übertragen.
Dass das Amt des Bundespräsidenten durch den über Wochen währenden Abgang von Christian Wulff Schaden genommen hat, dürfte außer Zweifel stehen. Sollte man allerdings deshalb den Ruf nach Abschaffung erheben? Das kommt wohl zu rasch. Die Parteien wirken in Deutschland laut Verfassung nur an der Willensbildung des Volkes mit. Auch die anderen Verfassungsorgane leisten in dem wohlaustarierten Verhältnis wichtige Beiträge. Man kann nicht einfach ein Amt abschaffen, ohne die gesamte Statik der Verfassung zu beeinträchtigen.
Die historischen Verfassungsgeber waren von der Besorgnis beseelt, dass die Parteien ohne hinreichende Kompromissfähigkeit ausgestattet seien; dass sie sich zänkisch gebärden könnten, machtbesessen und machtvergessen, wie es Richard von Weizsäcker einmal sagte. Deshalb schufen sie ein Amt, dessen zeitlose Modernität auf den zweiten Blick besticht: Weniger Staatsnotar, vielmehr Staatsmediator muss der Präsident sein. Derjenige, der die Parteien zur rechten Zeit mit der Autorität seiner höchstpersönlichen Glaubwürdigkeit zurück an den Verhandlungstisch rufen kann. Der die Bürger wahlweise zur Geduld mit der Politik ermahnt oder sie zur Ungeduld ermuntert: ihnen womöglich in moderner Zeit auch einmal ein "Empört Euch" zuruft, wenn denn Empörung angesagt sein sollte. Wenden wir den Blick nach Südeuropa, dann wird deutlich, dass die Menschen in der Krise die Kurzatmigkeit der mediengetriebenen Politik gern gegen gediegene Sachkompetenz tauschen.
Nicht nur persönliche Glaubwürdigkeit, sondern ein hohes Maß an Sachkunde verlangt das Amt vom Kandidaten, soll es seiner Integrationsfunktion entsprechend ausgeübt werden. Verfügt der Amtsinhaber über beides, persönliche und fachliche Autorität, dann ist der Mangel an Amtsautorität in Anbetracht der schmalen Kompetenzausstattung nicht Konstruktionsfehler, sondern entspringt großer politischer Klugheit. Nur, wem Macht aus der Kraft seiner Worte und Taten zuwächst, kann glaubhaft diejenigen kritisieren, deren Macht vom Amt geliehen ist. Genau das war einer der wesentlichen Fehler Wulffs: Er glaubte, sich weiterhin die Macht beim Staate leihen zu können, wo es galt, sie zu verdienen. Deshalb war er nicht der richtige Präsident.
Es ist Joachim Gauck eine glücklichere Hand bei seiner Amtsführung zu wünschen, sieht er sich doch zunächst mit der Hypothek einer kleingeistigen Diskussion um die Amtsausstattung seines Vorgängers belastet. Als noch kritischer mag sich aber herausstellen, dass seine Wahl Produkt genau eines solchen machtpolitischen Kalküls ist, das kraft persönlicher Integrität zu dämpfen seine Aufgabe werden wird. Da lässt sich ein Minister Philipp Rösler am politischen Aschermittwoch mit Blick auf die Rolle der FDP bei der Kandidatenkür zu einem auftrumpfenden und merkwürdig schieflastigen Weißwürstelvergleich hinreißen.
In Anbetracht solcher Verlautbarungen aus Betrieb und Apparat weiß jede Führungskraft: Nichts ist schwerer, als wirkungsvoll zu führen und dabei nicht latent mit der Vorführung des Instrumentenkastens zu disziplinieren. Gute Führung ist vor allem eine Frage des wechselseitigen Respekts.