Wer fördert, ist gefordert
Jung ist das Jahr, aber schon reich an Ereignissen, Überraschungen und sogar Grundsatzdebatten. Nun sind jüngst zwei Studien erschienen, die ein für Deutschland hochrelevantes Thema – die demografische Entwicklung – aus zwei verschiedenen, aber miteinander zusammenhängenden Blickwinkeln beleuchten.
Zum einen geht es um die Zuwanderung von Arbeitskräften. Hier konstatiert eine Analyse der OECD einigen Nachholbedarf, will Deutschland die „Versorgung“ des Arbeitsmarktes mit qualifizierten Fachkräften nachhaltig sicherstellen. Zum anderen rückt die Familienpolitik wieder in den Vordergrund: Denn für das derzeitige System der staatlichen Familienförderung gibt es schlechte Noten, und zwar vonseiten eines von der Bundesregierung berufenen Gutachtergremiums. Zuwanderung – ausbaufähig, Familienpolitik – mangelhaft? Beides zusammen ergibt keine gesunde Mischung für die Zukunft – wenn alles bleibt, wie es ist.
Eine offene Bestandsaufnahme der Wirkung familienpolitischer Leistungen war längst überfällig. So hat beispielsweise der politische Dachverband des VAA, die ULA, schon 2009 die im Koalitionsvertrag angekündigte „Gesamtevaluation“ der Familienpolitik begrüßt. Und nun, fast vier Jahre später, zum lähmenden Ende einer eher holprigen denn produktiven Legislaturperiode, gibt es endlich den Ansatz einer Diskussion. Denn mit seinen Investitionen in die Familienförderung liegt Deutschland im internationalen Vergleich in der Spitzengruppe. Doch geht es um die Wiedereingliederung von Müttern ins Erwerbsleben, positioniert sich Deutschland ganz weit hinten. Ähnliches gilt für die kränkelnden Geburten- und Fertilitätsraten.
Nahezu unüberschaubar ist die Zahl der 156 verschiedenen Leistungen und zuständigen Träger bei Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherung. Die Gutachter bescheinigen die Unwirksamkeit und Kontraproduktivität vieler Förderinstrumente. Speziell werden das Kindergeld, das Ehegattensplitting, die Mitversicherung Familienangehöriger und das Betreuungsgeld kritisiert. Überspitztes Fazit: Qualifizierte Frauen werden vom Arbeitsmarkt ferngehalten, was die soziale Schieflage verschärft und die Altersarmut fördert.
Natürlich kann Familienpolitik nicht nach rein ökonomischen Kriterien beurteilt werden. Familienplanung ist schließlich kein industrielles Projektmanagement. Ein monetärer Return on Investment ist nur indirekt gegeben. Hier müssen andere, gesamtgesellschaftliche Maßstäbe gelten. Aber komplett ignorieren darf man wirtschaftliche Gesichtspunkte deshalb auch nicht. Der Vergleich zu den europäischen Partnern sollte erlaubt sein, samt ehrlicher Analyse und den daraus folgenden Schlüssen.
Dabei geht es nicht allein um das arbeitsmarktpolitische Interesse der Unternehmen an Fachkräften oder das fiskalische Interesse des Staates. Familienpolitik muss sich ebenso am Interesse der Eltern und vor allem an den Bedürfnissen der Kinder ausrichten.
In ähnlicher Weise muss sich auch die Zuwanderung noch stärker an den Bedürfnissen der Wirtschaft orientieren. Da ist man auf einem guten Weg, belegt die OECD. Mittlerweile gehört Deutschland zu den Ländern mit den niedrigsten Zuwanderungshürden für hochqualifizierte Fachkräfte: Durch die Einführung der Blue Card der EU wurden die Mindesteinkommensschwellen herabgesetzt. Außerdem ist die längst fällige Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse erleichtert worden. Seit zwei Jahren wandern mehr Menschen nach Deutschland zu als ab.
Das Problem: Nur die Hälfte der qualifizierten Zuwanderer bleibt länger als drei Jahre. Nach wie vor größte Herausforderung für potenzielle Zuwanderer sind die fehlenden Sprachkenntnisse. Hier regt die OECD mehr Investitionen in eine verstärkte Sprachförderung im Ausland an. Hinzu kommt der monetäre Aspekt: Hochqualifizierte Arbeitnehmer verdienen gut, werden aber steuerlich umso stärker belastet. Die zuletzt am Widerstand der Bundesländer gescheiterte Abmilderung der Kalten Progression dürfte Deutschland nicht unbedingt in die Karten spielen. Doch auch die Unternehmen müssen ihre Hausaufgaben erledigen: Nicht in allen Branchen und Berufen gehört perfektes Deutsch zur Grundvoraussetzung für eine Arbeitsaufnahme. Oft fehlt Arbeitgebern schlicht der Wille zur Auslandsrekrutierung. Viele überschätzen den bürokratischen Aufwand – und unterschätzen den Nutzen.
Insgesamt stellt die OECD Deutschland ein mit zahlreichen Verbesserungsvorschlägen gespicktes, aber durchaus positives Zwischenzeugnis aus. Warum schafft es Deutschland dann nicht, zur wesentlich höheren Fachkräftemigration in Skandinavien oder Kanada aufzuschließen? Es fehlt an einer echten Willkommenskultur. Und ein wichtiges Zeichen dieser Kultur ist übrigens die Familienfreundlichkeit, womit sich der Kreis schließt. Ob Bürger, Unternehmen oder Politiker: Alle sind hier gemeinsam in der Pflicht.